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„Mehr als beschämend"

Brief von Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand an Regens Herbert Baumann vom Priesterseminar Würzburg vom 22. Mai 2013

Was in den vergangenen Tagen an Vorkommnissen aus dem Priesterseminar bekannt beziehungsweise diskutiert wurde, bewegt mich sehr. In unserem heutigen Telefonat hast Du mich gebeten, einige Gedanken schriftlich zu äußern, damit Du sie an Eure Studenten weitergeben kannst. Ich komme dieser Bitte nach und tue dies zum einen als Generalvikar unserer Diözese, zum anderen als früherer Regens und ebenso als ein Christ, für den der Dialog mit dem Judentum ein zentrales Anliegen ist.

 1. Wenn es stimmt, dass von Studenten des Priesterseminars sogenannte „Judenwitze" erzählt werden und bei Feiern im Bierkeller beziehungsweise auf Verbindungszusammenkünften an Nazirituale angelehnte „Zeremonien" stattgefunden haben, so ist dies in doppelter Hinsicht nicht zu tolerieren:

- Zum einen darf alles, was mit der nationalsozialistischen Ideologie in Verbindung steht, niemals bagatellisiert werden. Zu viele Verbrechen sind gerade durch die systematisch geplante Judenvernichtung geschehen, als dass – gerade bei uns in Deutschland – despektierlich über das jüdische Volk geredet werden dürfte. Es gibt keine „harmlosen" Judenwitze; dahinter verbergen sich vielmehr in der Regel dumpfe (und dumme!) Ressentiments, die eines gebildeten Menschen (und das will ein Theologiestudent seinem eigenen Anspruch zufolge doch wohl sein) unwürdig sind. Solche Vorfälle sind sowohl im Blick auf die Geschichte wie auf den intellektuellen Anspruch mehr als beschämend.

- Zum Zweiten ist ein solches Verhalten intolerabel im Blick auf junge Menschen, die den Priesterberuf anstreben. Als Grundkriterium in der Ausbildung gilt nach unserer Rahmenordnung die Durchdringung von geistlichem Leben und menschlicher Reife, theologischer Bildung und pastoraler Befähigung. Die geschilderten Vorkommnisse laufen all dem zuwider: Zum geistlichen Leben eines katholischen Priesters gehört das Bewusstsein der jüdischen Wurzeln unseres christlichen Glaubens; zur menschlichen Reife zählt der Respekt vor dem jüdischen Volk und der Schmerz über das, was ihm – auch von Christen – angetan wurde; zur theologischen Bildung gehört die Einsicht, dass eine tragfähige ökumenische Annäherung der getrennten christlichen Kirchen nur dann gelingt, wenn sie gemeinsam ihre Beziehung zum Judentum vertiefen, wie es nicht zuletzt Papst Johannes Paul II. immer wieder angemahnt hat. Zur pastoralen Befähigung für künftige Priester zähle ich nicht zuletzt ein sensibles Gespür für ein angemessenes Ausdrucksverhalten im Reden über andere Religionen und insbesondere über das Judentum. Wenn es an all dem fehlt, ist jemand in meinen Augen für den Priesterberuf nicht qualifiziert. Die bloße Neigung dazu genügt nicht; entscheidend ist, ob die Eignung gegeben ist.

2. Was die in Frage stehenden Vorfälle und Verhaltensweisen betrifft, sind diese gerade im Blick auf die jüngste Geschichte unseres Priesterseminars höchst beschämend. Schließlich besteht unsererseits eine besondere Verpflichtung: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das ehemalige Synagogengebäude hinter der Domerschulstraße von einer jüdischen Organisation in Amerika, die als Rechtsnachfolgerin der früheren Gemeinden festgesetzt war, an die Diözese verkauft, die es dann dem Seminar überlassen hat. Diese Aktion geschah gegen den ausdrücklichen Willen der wenigen noch in Würzburg und Unterfranken verbliebenen Juden, für die dieser Vorgang äußerst schmerzlich war. Dies weiß ich aus persönlichen Gesprächen mit Senator David Schuster (1910-1999), dem langjährigen Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde. Hinzu kam die Verbitterung über die Haltung der damaligen Leitung des Priesterseminars, als Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine Gedenktafel an den ehemaligen Synagogenstandort erinnern sollte: Man weigerte sich, das verbrecherische Naziregime beim Namen zu nennen, und sprach nur verharmlosend von den „damaligen Machthabern", wie heute noch auf der inzwischen am Diözesanarchiv angebrachten Bronzetafel zu lesen ist. Von daher rechne ich es heute noch David Schuster hoch an, dass er bei einer vom Priesterseminar im November 1988 veranstalteten Feierstunde zum Gedenken an den 50. Jahrestag der Reichspogromnacht von 1938 erstmals wieder zusammen mit jüdischen Glaubensbrüdern das ehemalige Synagogengelände betrat. In seiner Ansprache ermutigte er seinerzeit unsere Studenten zu einer aktiven Aufarbeitung des Geschehens: „Gerade Sie als künftige Priester der katholischen Kirche müssen im Wissen um die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens aktiv im Dienst der Erinnerung und Versöhnung stehen." Uns alle hat damals dieser Schritt über trennende Gräben der Vergangenheit hinweg sehr bewegt. Umso beschämender sind die kürzlich bekannt gewordenen Verhaltensweisen einiger Seminaristen, die dieser Intention nicht nur völlig zuwiderlaufen, sondern geeignet sind, das inzwischen gewachsene Vertrauensverhältnis erheblich zu stören.

3. Was den weiteren Umgang mit den bekannt gewordenen Vorwürfen betrifft, so warne ich vor allem davor, Verharmlosungs- und Verdrängungsmechanismen zu akzeptieren:

- Nicht selten geschieht es, dass Betroffene in solchen Situationen den „Spieß umdrehen" und Kommilitonen, die derartige Verhaltensweisen abstoßend empfinden, als „Verräter" oder „Nestbeschmutzer" bezeichnen beziehungsweise ihnen mangelnde Mitbrüderlichkeit vorwerfen. Eine solche Verhaltensweise verdreht Ursache und Wirkung, weil damit von einem unentschuldbaren Verhalten abgelenkt werden soll. So richtig es ist, dass nicht ungeprüft gegenüber Einzelnen Verdächtigungen ausgesprochen werden dürfen, so wichtig ist es, intolerable Vorkommnisse nicht zu bagatellisieren, sondern sie klar zu benennen und entsprechende Konsequenzen in den Blick zu nehmen. Mitbrüderliches Verhalten kennt auch klare correctio und hat nichts mit männerbündischer Kumpanei zu tun.

Weiterhin befürchte ich, dass das Priesterseminar insgesamt in ein schiefes Licht gerät, wenn solche Verhaltensweisen nicht individuell aufgeklärt und beim Namen genannt werden. Dabei geht es auch darum, Unbeteiligte zu schützen, die sich auf keinen Fall mit solchen Tendenzen in Verbindung bringen lassen wollen. Gerade im Blick auf das, was in den letzten Jahrzehnten an Kontakten zur jüdischen Gemeinde auf- und ausgebaut wurde (ich erinnere nur an das Engagement vieler Seminaristen bei der Sicherung der jüdischen Grabsteine aus der Pleich Ende der 80er Jahre) ist ein konsequentes Vorgehen äußerst wichtig. Es geht dabei auch um die Glaubwürdigkeit unserer Priesterausbildung insgesamt.

- Schließlich rege ich an, im kommenden Wintersemester die angeschnittenen Fragen zum Verhältnis von Christen und Juden vertieft zu behandeln. (Dies stünde auch einer Studentenverbindung gut an, die im Zuge dieser Vorkommnisse ins Gerede gekommen ist: Öffentliche Präsenz bei großen Gottesdiensten und abfällige „Judenwitze" in Hinterzimmern sind ein Widerspruch in sich!).

Gern bin ich bereit, bei diesem Bemühen – falls gewünscht – mitzuwirken. Ich fühle mich dabei dem Auftrag von Bischof Josef Stangl (1907-1979) verpflichtet, der sich auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit großem persönlichem Einsatz für eine wegweisende Erklärung der katholischen Kirche zum jüdischen Volk stark gemacht hat. Sein Satz: „Wir Christen sollen hörend und lernend an der Existenz Israels teilnehmen" sollte uns Verpflichtung und Ermutigung zugleich sein.

(2313/0594; E-Mail voraus)

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