Würzburg/Schweinfurt (POW) Dr. Klaus Roos, stellvertretender Leiter des Instituts für Theologisch-Pastorale Fortbildung und der Hauptabteilung Außerschulische Bildung im Bischöflichen Ordinariat Würzburg, engagiert sich seit zwei Jahrzehnten in der Fortbildung von Pfarrgemeinderäten. In seinem neuen Buch „Weichen stellen im Pfarrgemeinderat – Ein Leitfaden zur Gemeindeentwicklung“ gibt der Pastoraltheologe Orientierung für die Arbeit im Pfarrgemeinderat und motiviert zum Einsatz in der Kirche vor Ort. Wie er die Arbeit der Pfarrgemeinderäte sieht, sagt der frühere Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung Schweinfurt in folgendem Interview.
POW: Ihr neues Buch gründet auf vielen persönlichen Erfahrungen. Was war für Sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten der Fortbildung von Pfarrgemeinderäten im Bistum Würzburg besonders wichtig?
Dr. Klaus Roos: Dass die Pfarrgemeinderäte sich als Gremium verstehen, das mitverantwortlich ist für die Gemeindeleitung, war mir besonders wichtig. Ein Pfarrgemeinderat ist mehr als das Organisationskomitee für das Pfarrfest. Er ist auch nicht einfach ein „Pfarreiverein“ neben anderen, sondern ein Leitungsgremium, das sich für die Gestaltung des Gemeindelebens einsetzt. Wie kann der Glaube im Alltag gelebt werden? Wie kann er an die nächsten Generationen vermittelt werden? Was heißt das: als Christen im Dialog mit unserer Gesellschaft, unserer Kultur, unserer Zeit zu leben und dort die Sichtweise des Evangeliums einzubringen? Auch solchen Herausforderungen muss sich ein Pfarrgemeinderat stellen.
POW: Was hat sich in diesen Jahren verändert?
Roos: Ich habe vor 38 Jahren die Einführung der ersten Pfarrgemeinderäte miterlebt und war damals als Jugendvertreter Mitglied. In der ersten Zeit ging es vor allem darum, dass die Pfarrgemeinderäte überhaupt ihre Rolle fanden. Sie mussten entdecken, dass ihre Aufgabe nicht einfach darin bestand, Hilfstruppe des Pfarrers zu sein. Auch die Pfarrer mussten lernen, mit diesem neuen Gremium umzugehen und es ernst zu nehmen. In dieser Hinsicht hat sich in den Jahren viel Positives entwickelt. Manchmal habe ich allerdings den Trend beobachtet, dass Pfarrgemeinderäte sich zu einseitig nur um innerkirchliche Fragen kümmerten. Das gesellschaftspolitische Engagement trat in den Hintergrund. Es kommt für mich immer noch zu selten vor, dass Pfarrgemeinderäte sich auch in Umweltfragen ihres Dorfes zu Wort melden, sich für kinder- und jugendfreundliche Lebensbedingungen am Ort einsetzen oder Fragen wie Arbeitslosigkeit, Altersarmut, Integration von Ausländern in ihrem Umfeld aufgreifen. In letzter Zeit nehme ich auch eine zunehmend resignative Stimmung unter den Pfarrgemeinderäten wahr. Die Umstrukturierungen zu neuen Seelsorgeeinheiten, der allgemeine Rückgang kirchlicher Lebenskraft, die vermehrten Signale, die Mitwirkung von Laien in Liturgie und Gemeindeleben einzugrenzen, haben manche entmutigt. Es war noch nie so schwer wie bei dieser Wahl, genügend Kandidatinnen und Kandidaten zu finden.
POW: Zum Titel Ihres Buches „Weichen stellen im Pfarrgemeinderat“: Welche Weichen sollen im Pfarrgemeinderat gestellt werden?
Roos: Um Weichen stellen zu können, muss man zunächst Hintergründe verstehen. Darum geht es im ersten Teil des Buches. Die Weichenstellungen betreffen dann das konkrete Gemeindeleben. Hier mache ich einige Vorschläge, wo meiner Meinung nach der Hebel anzusetzen ist. Eine zentrale Rolle spielt zum Beispiel die Personalentwicklung, also die Gewinnung, Qualifizierung und spirituelle Begleitung von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ebenso wichtig ist es, dass ein Pfarrgemeinderat von einer Vision erfüllt ist, ein Ziel vor Augen hat, auf das er seine Kräfte konzentriert. Die Entwicklung eines Leitbildes kann dabei eine Hilfe sein. Auch die Art und Weise, wie Leitung wahrgenommen wird, ist eine Weichenstellung mit weit reichenden Folgen.
POW: Welche Botschaft wollen Sie mit dem Buch an die Pfarrgemeinderäte weitergeben?
Roos: Ich plädiere dafür, dass wir in unseren Pfarrgemeinden Weite gewinnen und pluralismusfähig werden. Gleichzeitig müssen wir aber auch Tiefe gewinnen und Profil zeigen. Worin dieses Profil besteht, habe ich in drei Thesen zusammengefasst: 1. Gott ist wichtiger als die Kirche. 2. Der Glaube ist wichtiger als die Moral. 3. Der Mensch ist wichtiger als die Tradition. Dabei ist mir durchgängig die biblische Verankerung ein wichtiges Anliegen: Nur wenn wir aus unseren Wurzeln leben, können wir als Volk Gottes unseren Weg gehen. Sonst enden wir schnell in Aktivismus und Vereinsmeierei.
POW: Welche Profilierung ist für einen Pfarrgemeinderat heute angesagt?
Roos: Die Würzburger Synode hat ihrem Beschluss, der die Grundlage der Pfarrgemeinderäte ist, die bezeichnende Überschrift gegeben: „Die gemeinsame Verantwortung des ganzen Gottesvolkes für die Sendung der Kirche“. Der Pfarrgemeinderat ist ein wichtiges Instrument, mit dem das Gottesvolk diese Verantwortung wahrnimmt. Damit hat der Pfarrgemeinderat einen spirituellen Kern, der ihn mehr sein lässt als ein kirchliches Honoratiorenkabinett oder eine pfarrgemeindliche Kampftruppe.
POW: Wie wichtig ist die Begleitung Ehrenamtlicher? Was heißt eigentlich Ehrenamtlicher in der Kirche?
Roos: Jeder Christ ist berufen, seine Fähigkeiten in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen: zum Aufbau der Gemeinde, wie der Apostel Paulus es genannt hat. Als „Ehrenamtliche“ bezeichnen wir die, welche diese Berufung entdeckt haben und verwirklichen. Von ihrem Engagement für Menschen in Not, für die Verkündigung des Glaubens, für die Feier der Liturgie oder die praktische Gestaltung des Gemeindelebens hängt es letztlich ab, ob und wie die Kirche ihre Sendung verwirklicht. Sie sind ein kostbarer Schatz. Deshalb ist die Mitarbeiterbegleitung eine der wichtigsten Aufgaben.
POW: Die Pfarrgemeinderäte sind ein Ergebnis des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Würzburger Synode. Sind Sie heute in die Jahre gekommen? Was würden Sie an der aktuellen Praxis dieses Gremiums ändern?
Roos: Im Pfarrgemeinderat sollten zwei Räte, die das Konzil in zwei verschiedenen Beschlüssen gefordert hatte, in einem einzigen Gremium zusammengeführt werden: ein „Pastoralrat“ für den Pfarrer, vergleichbar etwa mit einem Betriebsrat oder einem Elternbeirat, und eine Laieninitiative, vergleichbar etwa mit einem Bürgerverein oder einer Selbsthilfegruppe. Diese Mischung ist aus meiner heutigen Sicht nur eine halbherzige Lösung. Der Pfarrgemeinderat sollte zu einem echten Leitungsgremium werden, das die hierarchisch-amtliche Leitung durch den Pfarrer ergänzt.
POW: Ihr Traum vom Pfarrgemeinderat 2020?
Roos: Ich hoffe, dass es 2020 in Bayern überhaupt noch Pfarrgemeinderäte in der jetzigen Form gibt. Mein Traum wäre ein Gremium von Männern und Frauen, das die ganze Vielfalt der Gemeinde widerspiegelt. Sie haben ein waches Bewusstsein für die „Zeichen der Zeit“ und suchen mit Leidenschaft nach dem Weg, den Gott seine Kirche heute führen will. Wer ihnen begegnet, spürt etwas von dem Geist, der sie erfüllt, und die Freude, die sie ausstrahlen, ist ansteckend.
(1806/0654)