Linz/Kitzingen/Würzburg (POW) Einen Ethikkodex für professionelle Seelsorgerinnen und Seelsorger hat der aus Kitzingen stammende Priester und Rektor der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz, Professor Dr. Michael Rosenberger (47), zusammen mit der Wiener Moraltheologin Professor Dr. Sigrid Müller, dem Grazer Moraltheologen Professor Dr. Walter Schaupp sowie dem Salzburger Moraltheologen Professor Dr. Werner Wolbert entwickelt. Im folgenden Interview spricht Rosenberger über den Kodex, der zur Diskussion über vorhandenes Berufsethos anregen will.
POW: Wie kamen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen auf die Idee, einen Ethikkodex professioneller Seelsorger zu entwickeln?
Professor Dr. Michael Rosenberger: Die Idee ist entstanden, als wir darüber sprachen, welche ethischen Orientierungen wir unseren Theologiestudierenden für die Ausübung eines kirchlichen Berufs mitgeben. Wir entdeckten schnell, dass die Studienpläne der Universitäten das Thema gar nicht vorsehen, und auch in der berufspraktischen Ausbildung neben beziehungsweise nach dem Studium kommt die Berufsethik nicht eigens vor. Da und dort wird ein Aspekt gestreift, insbesondere wenn ein Missstand in den Fokus der Öffentlichkeit gerät, aber ein seelsorgliches Berufsethos als solches gibt es im deutschsprachigen Raum bisher nicht. Dabei arbeiten wir Moraltheologinnen und -theologen am Ethos anderer Berufsgruppen wie etwa der Ärzte seit Jahrzehnten mit.
POW: Fehlt heutigen Seelsorgern eine ethische Orientierungshilfe und an welchen Beobachtungen können Sie das festmachen?
Rosenberger: Das Alltagsgeschäft der Seelsorge lässt sich im Regelfall ohne allzu große ethische Reflexion bewältigen. Doch behaupte ich, dass jeder hauptberufliche Seelsorger mehrmals im Jahr in Grenzsituationen steht, in denen ethische Orientierungshilfe dringend gefragt ist. Und in diesen Situationen geht es in der Regel dann gleich um sehr viel. Ich beobachte das einerseits daran, dass immer wieder einmal krasses seelsorgliches Fehlverhalten öffentlich wird. Andererseits kommen in Einzelfällen auch Seelsorgerinnen und Seelsorger auf mich zu und ziehen mich in einer schwierigen beruflichen Frage zu Rate. Zudem kommt es vor, dass mich Gläubige ins Vertrauen ziehen, die selber Opfer seelsorglichen Fehlverhaltens geworden sind.
POW: Welche Anliegen verfolgen Sie mit dem Ethikkodex?
Rosenberger: Unser Anliegen ist es, im Kreise der hauptberuflichen Seelsorger die Debatte über ethische Maßstäbe ihres Handelns anzustoßen und somit zu ihrer Gewissensbildung beizutragen. Wir wollen nicht von oben herab belehren, sondern ein Nachdenken auslösen und somit zur Orientierung anregen. Ein einzelner Berufsvertreter ist hilflos, wenn er schwierige ethische Entscheidungen allein fällen soll. Nur die Berufsgemeinschaft kann für den nötigen Rückhalt sorgen, um professionelle Seelsorge auch ethisch verantwortet zu praktizieren.
POW: Welche Tugenden und Haltungen erwarten die Menschen heute von professionellen Seelsorgern?
Rosenberger: Zunächst einmal erwarten die Menschen zu Recht jene Grundhaltungen, die für alle Christen wegweisend sein sollten. Seelsorgerinnen und Seelsorger sollen aufrichtig glauben, demütig hoffen und nach besten Kräften Gott und die Menschen lieben. Sie sollen maßvoll leben und in Konflikten gerecht sein. Darüber hinaus aber brauchen sie Tugenden, die für ihre spezifische Aufgabe unerlässlich sind: Vertrauenswürdigkeit und Diskretion, Integrität und Loyalität. Menschen möchten sich auf Seelsorger in jeder Hinsicht verlassen können.
POW: Sie sprechen die Verantwortung der Seelsorger für das eigene Wohlergehen an: Kümmern sich Seelsorger zu wenig um sich selbst?
Rosenberger: Nun, manche kümmern sich vielleicht sogar zu viel um sich selbst und lassen es sich in ihrem praktisch unkündbaren Beruf ausgesprochen gut gehen. Aber nicht wenige tendieren eher zum anderen Extrem: Sie geben sich so restlos in ihren Beruf hinein, dass sie selbst ausbrennen und irgendwann nicht mehr können. Momentan nehmen Phänomene wie Burnout in seelsorglichen Berufen drastisch zu, und das sollte Bischöfen wie Personalverantwortlichen große Sorgen bereiten. Denn darum geht es: Die richtige Balance zwischen Geben und Nehmen zu finden. Seelsorger tragen auch Sorge für die eigene Seele. Nur wer selbst gesund und leistungsfähig ist, kann anderen helfen.
POW: Die Verantwortung im Umgang mit Macht, Geld und Besitz sind wichtige Themen im Ethikkodex: Was sollten Seelsorger hier besonders beachten?
Rosenberger: Seelsorgerinnen und Seelsorger verfügen über große Macht, und das in einem Bereich, der sehr intim ist, nämlich dem Bereich der Spiritualität. Nun ist es keine Lösung, auf diese Macht zu verzichten, denn Macht ordnet ein Gemeinwesen und dient dem Zusammenleben der Menschen. Wohl aber muss sehr selbstkritisch und sensibel mit der übertragenen Macht umgegangen werden. Das gilt umso mehr, als ein Großteil seelsorglicher Machtausübung unter vier Augen im Einzelgespräch geschieht. Hier gibt es kein Korrektiv – der Seelsorger muss allein entscheiden und allein verantworten, was er tut. – Das Thema Geld und Besitz fügt sich hier fast nahtlos an. Seelsorger betreuen viele Güter und Gelder der Gemeinschaft und werden dabei mitunter nur sehr oberflächlich kontrolliert. Umso mehr braucht es eine hohe Selbstdisziplin. Denn wenn hier schlampig oder ungerecht mit Gemeingut umgegangen wird, kann das zu schwerstem Vertrauensverlust führen.
POW: Die Kirche kommt immer wieder in die Schlagzeilen, wenn es um das Thema Sexualität geht. Was empfehlen Sie Seelsorgern im Umgang mit Sexualität?
Rosenberger: Ganz unabhängig davon, ob ein Seelsorger den Zölibat versprochen hat oder nicht: Eine seelsorgliche Beziehung darf nicht dazu missbraucht werden, eigene Bedürfnisse nach Nähe und Wärme zu befriedigen. Gläubige, die seelsorgliche Betreuung suchen, stehen zum Seelsorger in einem Abhängigkeitsverhältnis. Sie sind ihm schutzlos und wehrlos ausgeliefert und vertrauen sich ihm an. Hier gelten ähnliche Regeln wie zwischen Eltern und Kind oder Arzt und Patient. Schon im hippokratischen Eid wird der Arzt davor gewarnt, das Vertrauen eines Patienten zur Erfüllung eigener Bedürfnisse auszunutzen. Bis heute gehört das als Grundregel zum Ethos aller helfenden Berufe. – Positiv gesagt: Ob zölibatär oder nicht, der Seelsorger soll sein Bedürfnis nach Wärme und Nähe beachten und nach dessen Erfüllung suchen – aber bitte nur außerhalb seiner seelsorglichen Beziehungen. Deswegen braucht er gute Freundschaften zu Menschen, die außerhalb seines seelsorglichen Verantwortungsbereichs leben.
POW: Wie und wo wollen Sie den Kodex umsetzen?
Rosenberger: Wir haben den Codex an verschiedene Gruppen geschickt: An die Priesterräte und die Berufsgemeinschaften der Pastoralreferentinnen und -referenten, aber auch an die für die Ausbildung künftiger Priester und Pastoralreferenten Verantwortlichen. Ob und wie der Codex nun tatsächlich eine Richtschnur seelsorglicher Ethik wird, liegt bei diesen Gremien und Gruppen. Erste Signale zeigen uns, dass unser Impuls von ihnen sehr positiv aufgenommen und bearbeitet wird.
POW: Wie könnten Seelsorgerinnen und Seelsorger im Bistum Würzburg den Kodex aufgreifen?
Rosenberger: Sie sollten ihn diskutieren – auf allen Ebenen, ob im Dies eines Dekanats oder in kleineren Gruppen, ob im Team einer Pfarreiengemeinschaft oder auf Diözesanebene, ob ausschließlich untereinander oder sogar mit den ihnen anvertrauten Gläubigen. So kann nach einer ausreichenden Zeit ein Beschluss fallen, dass sich die Seelsorger der Diözese auf diesen oder jenen Codex verständigen und verpflichten.
POW: Welches Ideal schwebt Ihnen von Seelsorgern des kommenden Jahrzehnts vor?
Rosenberger: Mein Ideal sind Menschen, die auf dem Wege bleiben; die immer neu prüfen, ob sie dem Vertrauen gerecht werden, das die Gläubigen und die Kirche in sie setzen; die das nicht allein im stillen Kämmerlein tun, sondern im geschwisterlichen Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen; und die bereit sind, an sich selber ein Leben lang zu arbeiten. Gute Seelsorger müssen, ja können nicht vollkommen sein. Sie sollen und müssen aber im wahrsten Sinne des Wortes gewissenhaft arbeiten.
Zur Person:
Michael Rosenberger wurde 1962 geboren und wuchs in Kitzingen auf. Nach dem Studium in Würzburg und Rom und seiner Priesterweihe 1987 in Rom wirkte er zunächst als Kaplan in Traustadt und Marktheidenfeld. 1993 wurde er nebenberuflicher Religionslehrer am Frobenius-Gymnasium in Hammelburg und gleichzeitig Seelsorger für Weyersfeld und Höllrich, wo er bis 2000 nebenamtlich wirkte. 1995 promovierte er an der Universität Würzburg. Ab 1996 war er wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Moraltheologie der Universität Würzburg und freigestellt zur Habilitation. 1999 habilitierte er sich im Fach Moraltheologie und wurde Privatdozent an der Universität Würzburg. Von 2000 bis 2002 half er zusätzlich in der Seelsorge in Würzburg-Heilig Geist mit und war Geistlicher Beirat der katholischen Friedensbewegung Pax Christi in der Diözese Würzburg. Seit dem Studienjahr 2002/2003 leitet Rosenberger das Institut für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz (KTU). 2004 wurde er auch in die Gentechnik-Kommission des Österreichischen Gesundheitsministeriums berufen und im selben Jahr zum Umweltsprecher der Diözese Linz ernannt. Seit Januar 2007 ist er Rektor der KTU Linz. Rosenbergers Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Schöpfungsethik und Schöpfungsspiritualität, Determinismus und Willensfreiheit sowie Spiritueller Theologie. Er ist Mitglied der Europäische Gesellschaft für Katholische Theologie, der Internationalen Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik sowie der Arbeitsgemeinschaft Theologie der Spiritualität.
Hinweis: Der Text des Ethikkodex‘ findet sich in der Ausgabe 07/2009 der Zeitschrift "Stimmen der Zeit", im Internet unter www.stimmen-der-zeit.de
(3709/1004; E-Mail voraus)
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