Nairobi/Würzburg/Dettelbach (POW) „Das Morden in Kenia nimmt zu. Die Situation ist wie in Ruanda. Menschen werden zu Tode gehackt.“ So beschreibt die aus Dettelbach stammende und in Kenias Hauptstadt Nairobi wirkende Tutzinger Missionsbenediktinerin Dr. Christiane Spannheimer die aktuelle Situation in dem ostafrikanischen Land. Im folgenden Interview schildert die 71-jährige Ärztin und von 1987 bis 1992 erste Priorin des Klosters Karen in Nairobi, wo sie heute in einer Einsiedelei lebt, die Krise in Nairobi einen Monat nach den Wahlen in Kenia.
POW: Wie erleben Sie die aktuelle politische Situation in Kenia und besonders in Nairobi?
Schwester Dr. Christiane Spannheimer: Mit größter Sorge sende ich einige Nachrichten aus Nairobi. Sie kommen aus der Einsiedelei, in der ich lebe: Doch ich beziehe meine Informationen von BBC, das zuverlässige Nachrichten bringt, und der Catholic Information for Afrika (CISA) sowie von persönlichen Berichten unserer Schwestern und Besucher. Die Situation in Kenia ist im Augenblick sehr prekär, da Präsident Mwai Kibaki und Oppositionsführer Raila Odinga offensichtlich nicht zu einem ehrlichen Gespräch gewillt sind. Jeder hat seine Hardliner hinter sich. Stamm geht gegen Stamm vor. Menschen werden zu Tode geschlagen und zerhackt, Frauen geschändet, Häuser abgebrannt, Eigentum entwendet. Es werden bis jetzt über 800 Tote seit den Wahlen Ende Dezember gezählt!
POW: Ganz aktuell wird von der Ermordung eines Ministers berichtet.
Spannheimer: Am Dienstagmorgen, 29. Januar, hat das Feuer Nairobi erreicht. Ein Minister der Opposition wurde erschossen. Sofort begannen die Kämpfe in Kibera, dem großen Slumgebiet Nairobis, das sich an den Stadtteil Karen anschließt. Karens Schulen wurden sofort geschlossen und die Schüler heimgeschickt. Auch unsere Postulantinnen, die zum Unterricht unterwegs waren, kamen nur mit Mühe heim, da die Zufahrtsstraße geschlossen war. In Kibera kämpften Kikuyus gegen die westlichen Stämme und umgekehrt. Vier Menschen wurden zu Tode gehackt: Brand, Raub und Zerstörung wie gleich nach der Wahl.
POW: Wie beurteilen Sie die Bemühungen des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan, Kibaki und Odinga zur Schaffung einer Regierung der nationalen Einheit zu überreden?
Spannheimer: Kofi Annans Besuch ist ein wahrer Segen. Er steht jedoch allein auf weiter Flur. Er braucht unbedingt die Internationale Gemeinschaft zur Rückenstärkung hinter sich, zumindest einige Staaten. Auch müssen die Menschenrechtsverletzungen an den Gerichtshof in Den Haag übergeben werden. Kofi Annan sagte selbst nach seinem Besuch im Rift Valley, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Eine Straffreiheit darf es für sie nicht geben. Wir wissen, dass einzelne Minister die Stammesfehden schüren. Die politischen Zwistigkeiten haben längst zu einem Aufflammen der alten Stammesfehden geführt. Dazu kommen nun angestiftete Jugendliche, die sich einen Gewinn versprechen oder zumindest ein Erlebnis.
POW: Droht Kenia ein zweites Ruanda?
Spannheimer: Im Rift Valley besteht bereits ein zweites Ruanda, und diese Unruhen haben in den vergangenen Tagen die zentralkenianischen Städte Nakuru und Naivasha erreicht – und in Nairobi die Slumgebiete. Unsere Schwestern im Keriovalley sowie in Eldoret-Stadt und in der Außenstation Kimumu blieben bis auf Bedrohungen unbehelligt, doch in Kimumu wurden sämtliche Häuser rings um den Konvent abgebrannt. Andere Konvente wurden ausgeraubt und vor einigen Wochen zwei Kirchen anderer christlicher Glaubensgemeinschaften niedergebrannt mit 30 und 200 Personen, die darin Schutz gesucht hatten. Auf dem Weg von Eldoret nach Nairobi sind unsere Schwestern nur mit größter Mühe vor randalierenden Jugendlichen mit dem Schrecken davongekommen, die einen Baum über den Weg gelegt hatten und den Fahrer aus dem Auto zerren wollten, da er vom Stamm der Luo sei.
POW: Wie können die Menschen in Deutschland und Europa dem ostafrikanischen Land helfen und was ist Ihrer Meinung nach notwendig, um das Land zu befrieden?
Spannheimer: Bitte, sagen Sie unseren Ministern in Deutschland, wie ernst die Situation in Kenia ist. Sie dürfen sich nicht hinter den lokalen Problemen verschanzen und die Augen verschließen vor dem Geschehen in Ostafrika. Die Welt ist klein geworden. Wecken Sie die Internationale Gemeinschaft auf zur Einheit im Handeln. Helfen Sie, dass die Menschenrechtsverletzungen vor den Internationalen Gerichtshof in den Haag kommen. Frieden wird es in Kenia nur dann geben, wenn Neuwahlen angesetzt werden und ein dritter Kandidat als Präsident hervorgeht.
POW: Was können Ordensfrauen in dieser Situation tun?
Spannheimer: Es wird mehr denn je gebetet. Das Gebet ist die stärkste Macht. Doch bevor es zu einem Wiederaufbau des Landes kommen kann, muss das Gebet die Gnade der gegenseitigen Vergebung erbitten, dann erst kann Heilung erfolgen und danach der Wiederaufbau beginnen.
(0508/0156; E-Mail voraus)
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