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Menschen zu einem besseren Leben verhelfen

Predigt von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann am Mittwoch, 18. März, beim Gottesdienst zum 70. Jubiläum der Fachakademie Sankt Hildegard in Würzburg und der Segnung des nach dem Brand wieder errichteten Gebäudes

Eine ganz aktuelle Allensbach-Umfrage belegt, dass Eltern ganz konkrete Erwartungen an Schulen und Lehrer haben; diese gelten auch für Kindergärten und Erzieherinnen. Die Eltern legen wieder mehr Wert auf Höflichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Ehrlichkeit und gutes Benehmen.

Im Rahmen einer Umfrage, was Kinder lernen sollten, gaben 89 Prozent der befragten jungen Eltern „Höflichkeit und gutes Benehmen“ an, 85 Prozent „Verantwortungsbewusstsein“ und 84 Prozent „Ehrlichkeit“.

Die meisten von uns erinnern sich noch gut, dass vor wenigen Jahren gerade auch Höflichkeit, gutes Benehmen usw. als „Sekundärtugenden“ lächerlich gemacht und abgetan wurden. In einem Kommentar stand zu lesen: „Kehren die ‚Sekundärtugenden’ an die erste Stelle zurück?“ – Ich meine, es wäre zu wünschen!

Dabei denke ich jetzt durchaus nicht nur an das Verhalten der jüngeren Generation etwa im Straßenverkehr; sie brauchen nur einmal Menschen in einer Warteschlange vor einer Ladenkasse im Supermarkt oder im Wartezimmer beim Arzt zu beobachten. Ich denke hierbei auch an die erschreckenden Nachrichten, die uns fast täglich erreichen, etwa über den Missbrauch von Handys, über die Verbreitung von Gewalt- und Pornodarstellungen unter Kindern und Jugendlichen, oder auch an die Schändung von Kindern. Dieser perverse, pervertierte, also auf den Kopf gestellte Umgang miteinander beginnt schon bei der Höflichkeit, dem Respekt und dem guten Benehmen bei unseren alltäglichen Begegnungen.

Verantwortungsbewusstsein, Höflichkeit, gutes Benehmen wären deshalb wirklich ein Gewinn für das Zusammenleben. Aber dabei kommt es eben auch ganz entscheidend auf das Vorbild an, das Kinder und Jugendliche in den Erwachsenen sehen.

Es ist gut, dass mehr und mehr Menschen aufwachen und erkennen, dass das Zusammenleben in unserer Gesellschaft immer härter und unmenschlicher wird, dass es unter der menschlichen Würde ist, wenn drei Halbwüchsige zur Freude von Tausenden von jugendlichen Zuschauern am Handy oder per Internet Sex mit einer 16-Jährigen haben.

Wie viele Hochkulturen in der Geschichte der Menschheit haben einen erschreckenden Niedergang erlebt. Der Untergang hatte seine Wurzeln jeweils in der moralischen Dekadenz, die vorausging. Vor diesem Hintergrund – wohin also Dekadenz infolge von Gottlosigkeit führen – kann es nicht einfach nur bei der Forderung nach mehr Höflichkeit und gutem Benehmen bleiben, sondern es muss vor allem um die Grundlage des Lebens und jeglichen Zusammenlebens gehen.

Als die Oberzeller Franziskanerinnen unmittelbar nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft mit all seinen schlimmen Folgen, wie zum Beispiel die Zerstörung Würzburgs am 16. März 1945, Sankt Hildegard gründeten und mit der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern begannen, ging es ihnen nicht nur um gutes Benehmen und Verantwortungsbewusstsein, das sie vermitteln wollten.

Vielmehr ging es ihnen um die geistige und geistliche Grundlage für ein Leben, das anderen Menschen mit Respekt und Ehrlichkeit begegnet und somit ein menschenwürdiges und friedvolles Zusammenleben ermöglicht.

Es muss uns nachdenklich machen, dass immer weniger Menschen in unserer Gesellschaft der Überzeugung sind, dass es wichtig sei, „festen Glauben und eine feste religiöse Bindung zu haben“.
Ja, es fordert uns geradezu heraus, dass viele nicht erkennen, dass gute und verlässliche Umgangsformen ein geistiges und auch geistliches Fundament voraussetzen.

Wenn wir heute also – oft mit Erschrecken – bei so vielen Ereignissen und Nachrichten fragen, wo soll das nur hinführen, dann müsste uns spätestens jetzt bewusst werden, dass es an der Zeit wäre, nach der Wegweisung Gottes zu fragen.

Es kommt für uns entscheidend auf die Grundlage an, die unser Leben und das Zusammenleben trägt. Wenn wir dabei von Werten sprechen, die wir dem Leben beimessen, und nach denen wir unser Leben gestalten, dann stehen diese Werte nicht im luftleeren Raum, sondern sind begründet und verwurzelt in der christlichen Botschaft und der sich daraus ableitenden Lebenshaltung.

Ich finde es deshalb sehr bemerkenswert, dass die Vorbereitungsgruppe der Studierenden als Evangelium für diesen Gottesdienst das Wort Jesu aus der Bergpredigt von der „Stadt auf dem Berg“ und dem „Salz der Erde“ ausgewählt hat. Gerade in unserer Generation brauchen die Menschen Orientierung. Wir Christen finden sie im Wort Gottes, in seiner Wegweisung, in der Frohen Botschaft Jesu.

Mit seiner Bergpredigt, aus der das heutige Evangelium entnommen ist, nimmt Jesus uns in Anspruch. Denn es geht nicht darum, eine Ideologie oder eine daraus abgeleitete Verhaltensweise weiterzugeben, zu dozieren, vielmehr geht es um unsere eigene Überzeugung und unsere Haltung, aus der heraus wir leben und handeln.

Jesus sagt im Evangelium eindeutig: „Ihr seid das Salz der Erde … Ihr seid das Licht der Welt …“ Und er mahnt uns, mit unserer Überzeugung, mit unserem Glauben und dem Menschen- und Weltbild, das sich daraus ergibt, nicht hinter dem Berg zu halten: „Eine Stadt, die auf dem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch nicht ein Licht an und stellt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf den Leuchter, dann leuchtet es allen im Haus. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“

Es kann also ernsthaft nicht nur um gutes Benehmen und Höflichkeit gehen, sondern es muss vor allem um die Grundhaltung im Leben, um das Festhalten an der Wegweisung Gottes gehen. Menschen, die wirklich an IHN glauben, die – bei aller menschlichen Begrenztheit – aus dem Glauben an IHN heraus ihr Leben gestalten, die gehen anders miteinander um. Da ändert sich also auch das Verhalten.

Das Bildungsangebot unserer vier Fachakademien in der Diözese Würzburg wie auch der Dienst unserer Kindertagesstätten sowie Jugendhilfeeinrichtungen ist getragen vom Vertrauen in Gott. Der Tübinger Religionspädagoge Albert Biesinger erinnert uns dabei an die grundlegende Botschaft mit einem Buch, das den bemerkenswerten Titel trägt: „Kinder nicht um Gott betrügen“.

In diese Richtung zielt auch unser Bestreben, wenn wir als Kirche uns der Menschen annehmen, in dem wir soziale, caritative Dienst entfalten – in Kindertagesstätten, in Einrichtungen der Jugendhilfe und für Behinderte, für Alte, Gebrechliche, Hilfs- und Pflegbedürftige, wie auch durch unser Engagement für Obdachlose oder Flüchtlinge, ebenso unser Hilfsangebot in diversen Beratungsstellen.

Wir tun das nicht aus kommerziellen Gründen. Bei allem berechtigten Anspruch auf eine angemessene und faire Entlohnung für berufliches Engagement ist dieses vor allem getragen von der Überzeugung, dass wir damit den Auftrag Gottes zur Nächstenliebe erfüllen und Menschen zu einem besseren Leben verhelfen.

Uns geht es um die Wertschätzung für den Menschen und die Hoffnung, die wir im Einsatz bzw. im Umgang mit den Menschen verbreiten. Deshalb ist uns die Herzens- und die Persönlichkeitsbildung so wichtig. Von da aus kann dann auch die kognitive Bildung gelingen. Wir wollen den Menschen nicht fit machen für den Markt, sondern ihn ermutigen, sein Leben, seine von Gott geschenkten Begabungen zu entfalten. Dabei sehen wir nicht nur einzelne Dienste und Angebote, sondern auch die Vernetzung der verschiedenen Dienste, und wir fördern die gegenseitige Verantwortung über Generationen hinweg.

Ich möchte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen Freitag, das sich auf die gesetzliche Lage im Blick auf das Tragen von Kopftüchern sowie andere religiöse Symbole im schulischen Umfeld – zunächst in Nordrhein-Westfalen – bezieht, hier nicht kommentieren. Für mich ergibt sich aber von daher die Herausforderung, dass wir selbst, jede und jeder Einzelne von uns, Zeugnis geben für den Glauben an den menschgewordenen und menschfreundlichen Gott – mit allen Konsequenzen.

Kindertageseinrichtung und Schule allein können nicht die grundlegenden und wichtigen Tugenden für das Zusammenleben vermitteln. Es braucht für Kinder und Jugendliche vor allem die Erfahrung in der eigenen Familie. Es braucht aber auch das soziale Umfeld der Gemeinde oder der Einrichtungen, in denen sie leben. All diese Lebensbereiche – Familie, Gemeinde, Einrichtungen – werden von der Kirche, das heißt von den Christinnen und Christen, die Kirche sind, geprägt.

Von daher ist die Kirche mit ihrem pastoralen, aber auch – und das ist ganz wichtig – mit ihrem sozialen Bemühen prägender Kristallisationspunkt im Gemeinwesen. So wird das Miteinander im Sozialraum der Menschen lebenswert. Dies betrifft das Leben und die Zuversicht der Menschen in das Leben.

Lothar Zenetti bringt es in seinem Gedicht, das er „Verheißung“ nennt, auf den Punkt:

Menschen

die aus der Hoffnung leben

sehen weiter

 

Menschen

die aus der Liebe leben

sehen tiefer

 

Menschen

die aus dem Glauben leben

sehen alles

in einem anderen Licht.

 

Es kommt also zunächst auf den Glauben an Gott an. Und daraus ergibt sich unter anderem auch ein gutes Miteinander. Das muss aber erst noch mehr als nur einem Teil in unserer Gesellschaft bewusst werden. Gutes Benehmen, Höflichkeit, Respekt, Verantwortungsbewusstsein und Ehrlichkeit, wie sie in der erwähnten aktuellen Allensbach-Umfrage gefordert werden, ergeben sich daraus.

Deshalb ist es wichtig, dass wir heute an die Anfänge von Sankt Hildegard vor 70 Jahren erinnern und den Segen jetzt nicht nur für das Gebäude erbitten, vielmehr für die Prägung künftiger Erzieherinnen und Erzieher und durch sie für die Kinder und Jugendlichen und damit für die Zukunft unserer Gesellschaft. Amen.