Würzburg (POW) Einmal über den Tellerrand blicken. Dass dieser Ansatz gerade in Bezug auf Glaubensfragen von Bedeutung ist, hat der Theologe und Jesuit Dr. Tobias Specker beim Gesprächsabend in der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Würzburg bewiesen. Sein Vortrag „Mit anderen Augen gesehen“ vermittelte den Zuhörern einen Eindruck von der Wahrnehmung des Christentums im Islam und was dies für das Christentum bedeuten kann.
„Die spannende Frage als Christ ist, wo wir Differenzen und wo Gemeinsamkeiten finden können“, sagte Specker über den Austausch zwischen Christen und Muslimen. Zwischen dem Islam und dem Christentum bestehe ein ganz besonderes Verhältnis. Beide Religionen verbinde die weltgeschichtliche Bedeutung über die Jahrtausende hinweg. „Sowohl der Islam als auch das Christentum haben nicht nur den alleinigen Wahrheitsanspruch, sondern wollen grundsätzlich alle Menschen ansprechen und erreichen.“ Dort, wo der jeweilige Glaube einmal Verbreitung gefunden habe, habe er sich festsetzen können. „Meiner Ansicht nach wird sich dieser Zustand auch niemals ändern, denn es stehen sich in beiden Religionen Milliarden von Gläubigen gegenüber.“
Der Islam nehme auf sein religiöses Gegenüber, das Christentum, in vielfältiger Weise Bezug. Er kennt biblische Personen, spricht die Christen konkret im Koran an und übt an mancher Stelle auch heftige Kritik. So nimmt dieser Bezug auf christliche Propheten und das Evangelium, teilweise in Übereinstimmung und Bestätigung, oft aber auch richtigstellend. Jesus ist als Prophet, nicht aber als Gott anerkannt. Auch seinem Tod am Kreuz widerspricht der Koran. Außerdem betone er die stetige Uneinigkeit zwischen Juden und Christen, lobe andererseits aber auch deren Barmherzigkeit und Märtyrertum, erklärte Specker.
Neben dieser Koran-Analyse machte Specker außerdem deutlich, wie interessant der heutige Umgang moderner muslimischer Prediger mit dem Christentum sei. Während zum Teil auf die Notwendigkeit hingewiesen werde, Gemeinsamkeiten mit Juden und Christen herauszustellen und die Übereinstimmungen der Religionen zu betonen, weisen andere Stimmen ganz deutlich auf die Differenzen und die Frage hin, wie mit diesen umzugehen sei. „Wir Christen werden also zur Einheit mit den Juden ermahnt, und auch eine gewisse Überheblichkeit wird uns angelastet“, resümierte Specker.
Man könne den Islam zwar außerchristlich als gleichwertig betrachten, dabei übersehe man jedoch, dass er bewusst Bezug auf das Christentum nimmt. „Vielleicht kann man den Koran aus unserer Perspektive auch ein wenig als Tradition des Christentums verstehen“, gab Specker seinen Zuhörern als Denkanstoß mit auf den Weg.
In der anschließenden Gesprächsrunde stellte sich die Frage, wie ein Dialog zwischen den Religionen heute gestaltet sein müsse. Der Versuch zu harmonisieren oder missionieren – so war man sich einig – sei der falsche Weg. Vielmehr müssten Differenzen anerkannt und geachtet werden, um Ziele und Werte gemeinsam zu erreichen. „Man muss wissen, wie der Andere sich in seiner Perspektive versteht“, sagte Specker. Das sei der fruchtbarste Weg, miteinander umzugehen.
Dr. Tobias Specker ist 40 Jahre alt und stammt vom Niederrhein. Er hat Germanistik und Theologie studiert und war von 2007 bis 2010 als Islambeauftragter des Bischofs von Speyer tätig. Seit einem Jahr studiert Specker außerdem islamische Theologie in Frankfurt am Main.
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