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Mit Emotion und Gummibärchen

Würzburg (POW) Die Brille ist rahmenlos, topaktuell. Gel hält die dunklen kurzen Haare in Form. Der Anzug sitzt tadellos. Wer Martin Berger in der Stadt begegnet, vermutet hinter dem schlanken Mann mit den jugendlich glatten Gesichtszügen einen Business-Menschen. Oder gar einen Dressman. Weit gefehlt. Berger ist Domkapellmeister an der Würzburger Kathedrale. Mit gerade mal 30 Jahren ist er der jüngste Chorleiter an einer deutschen Bischofskirche und glücklich in seiner verantwortungsvollen Aufgabe. „Ich wollte Kirchenmusiker werden“, sagt Martin Berger. In Würzburg die tausend Jahre alte Tradition des Musizierens an der Kathedrale weiterzuführen, sei für ihn eine ehrenvolle Herausforderung. Vorchor, Mädchenkantorei, Domsingknaben, Domchor und Choralschola leitet Berger seit 1. November.
 
Mit 18 stand er erstmals am Dirigentenpult. 1998 übernahm er den Saarknappenchor, den bekanntesten Chor des Saarlandes, und ging mit ihm vergangenes Jahr auf Konzertreise in Australien. Weltliche Musik begeistert ihn aber nur bedingt. „Ich liebe die geistliche Tiefe von kirchlicher Musik.“ Warum auch sonst hat sich der Saarländer Berger für die Kirchenmusik entschieden, wo Dirigenten meist nur Insidern bekannt sind? An jedem Sonn- und Feiertag singt einer der Chöre unter der Leitung Bergers. Und das passt ihm bestens. „Ich mag es, ganz viel Musik zu machen.“ Deswegen hat er Kirchenmusik in Saarbrücken und Düsseldorf studiert, Meisterkurse in Orgelimprovisation in Wien und Paris besucht. In Düsseldorf hat er, noch als Student, den Hochschulchor geleitet, in Essen die Gottesdienste im Dom mitgestaltet.
 
Im Obergeschoss des Domkreuzgangs. Dort liegt der Proberaum der Dommusik. Berger trippelt an den Stühlen der Domsingknaben entlang. Blitzschnell verteilt er die Notenblätter, so dass sie fast aus seiner Hand zu fliegen scheinen. So kommen die Domsingknaben zwischen den einzelnen Stücken in Schwung. Gerade am Freitagnachmittag, nach der langen Schulwoche, braucht es eine gesunde Mischung aus Spaß und Nachdruck, um die Knaben und jungen Männer zwischen acht und 19 Jahren konzentriert zu halten. „Er bringt Leben in den Chor“, „hat Pfiff“ und „versteht einfach eine Menge Spaß“, attestieren ihm die Jungen Herren, die auch schon unter Bergers Vorgänger ihre Stimmen erklingen ließen.
 
Seinen Knaben und Jungen Herren reicht die Luft beim Singen nicht. Berger malt schnell mal eine Skizze an die große Tafel mit Notenlinien. Mit dem Atem sei es wie mit einer Pyramide. Wenn das Fundament nicht stark ist, die Stimme nicht aus dem Bauch heraus gestützt ist, reicht es nicht für eine große Pyramide, den großen Klang. „Das ist schwer zu verstehen, aber da haben sich schon viele Profis die Birne heiß gemacht.“ Im zweiten Durchgang sitzt die Stelle, klingen die Stimmen satt und voll. Mal auf der Kante seines Dirigentenstuhls sitzend, der wie ein Barhocker aussieht, mal stehend, mal bedächtig im Stuhlhalbkreis schreitend: Berger atmet förmlich Konzentration und Hingabe. Von seinem Durchhaltevermögen profitiert der Triathlet und Tennisspieler eben nicht nur beim Sport in der knappen Freizeit.
 
Spaß am Singen zu vermitteln, das sei sein großes Ziel, sagt Berger von sich. Deswegen dürfen auch ausnahmslos alle Jungs, Stimmbruch hin oder her, bei seinem ersten Weihnachtskonzert im Kiliansdom mitmachen. Wer noch nicht wieder bei den Jungen Herren einsteigen kann, darf als Ministrant im Dom wirken und an den Freizeitveranstaltungen der Dommusik teilnehmen, hat Berger neu arrangiert. Der junge Domkapellmeister versteht die Dommusik als ganzheitliches Angebot, bei dem Glauben, Musik und Geselligkeit eine Einheit bilden.
 
Richtig ins Schwärmen kommt er, wenn er erzählt, wie er bei Studienaufenthalten in Schweden die Chorarbeit erlebt hat. Dort fingen die Kinder schon im Vorschulalter mit dem Singen an, würden spielerisch ans Notenlesen herangeführt und lernten, ihre Stimme wahrzunehmen. Deswegen klappert Berger die Würzburger Schulen der Reihe nach ab, um die Chöre vorzustellen und Nachwuchs zu werben. Früh übt sich der Meistersänger.
 
„Mir ist förmlich der Unterkiefer runtergeklappt, als ich einen Jugendchor beim ersten Proben eines schweren Stückes gehört habe. Habt ihr das vorher schon oft geprobt?, habe ich ein Mädchen gefragt. Nö, wieso, steht doch alles da, hat sie geantwortet und auf die Noten gezeigt.“ Nicht zuletzt wegen dieses Erlebnisses setzt Martin Berger in Würzburg auf musikalische Früherziehung. Ab Januar 2003 können Vorschulkinder bei der Dommusik die Grundbegriffe der Musik erlernen. Als Hauptinstrument dient dabei die Stimme. „Alle Aktivitäten der Musikstunde gehen vom Erleben und Denken des Kindes aus“, erläutert Berger die Vorzüge dieses Ansatzes.
 
In der Chorprobe mit den Domsingknaben greift er das Erleben auf, als dem Halleluja der freudige Glanz fehlt. An das gemeinsame Fußballspiel sollen die Jungs denken und an die geplante Konzertreise nach Schweden. Und tatsächlich: ein ganz anderer, vollerer Klang füllt das Gewölbe des Proberaums. „Alles was man denkt und fühlt, hört man auch in der Musik“, weiß Berger. Den Frauen des Domchors rät er, sich ein Kindchen im Arm vorzustellen, wenn eine Textstelle besonders lieblich klingen soll. Oder er gibt eine Farbe vor, welche sich die Sängerinnen vorstellen sollen. „Frauen können so etwas!“
 
Autoritäres Gehabe braucht Berger auch beim Domchor nicht, selbst wenn die Sängerinnen und Sänger zur Hälfte älter als er sind. Die neue Sitzordnung – „Wir probieren jetzt mal aus, was der Philharmonische Chor Berlin macht“ – wird ohne Murren akzeptiert. „Alle meine Chöre wissen, dass ich sie mag“, sagt Berger. Für die Kleinen zum Beispiel gibt’s am Ende der Probe Gummibärchen. Und Lob. „Die Leute spüren, dass ich authentisch und ehrlich bin. Ich lobe nur, wenn ich es auch so meine.“ Ähnlich bodenständig ist der Domkapellmeister auch beim Musizieren. Ein Stück, das in B-Moll nicht klingt, transponiert er einfach nach H-Moll. „Mir ist wichtig, dass die Musik die Leute berührt.“ Die Chöre sind für Berger Raum, seinen Glauben auszudrücken. Ohne gläubig zu sein, kann man nach seiner Überzeugung keine gute Kirchenmusik machen.
 
Das Engagement der insgesamt rund 160 Laiensängerinnen und -sänger sind das Pfund, mit dem Berger gerne wuchert. „Was bringt es, wenn ich mich ständig an CD-Aufnahmen von Profi-Chören messen will?“ Natürlich stehen daheim in Bergers Regal neben CDs von Sting und Johnny Clegg auch Aufnahmen der Academy of Saint Martin in the Fields. Perfektion ist auch für ihn ein Qualitätskriterium. Aber eben nicht das einzige, wie ihn sein Mentor Eric Ericson, der Grandseigneur der Chormusik, in Schweden gelehrt habe. Wo mit Emotion gesungen werde, übertrage sich das auch auf die Zuhörer. „Wenn die Leute so ergriffen sind, dass sie weinen, hat man als Dirigent eine Menge richtig gemacht.“
 
(5002/1606)