In der Festschrift zur 1200-Jahr-Feier dieser Gemeinde findet sich folgender Satz: „Die Bewohner von Kaltensondheim lebten tolerant miteinander, sieht man von kleineren Streitigkeiten ab; so war ein ständiger Streitpunkt die Ausstattung der Kirche.“ Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen als ich vor 30 Jahren in Verbindung mit meiner mehrmonatigen Aushilfstätigkeit in Erlach auch öfter Gottesdienste in Kaltensondheim gehalten habe. Insgesamt war der Umgang zwischen evangelischen und katholischen Einwohnern von Respekt und Rücksicht geprägt, aber Konflikte entzündeten sich manchmal an Kleinigkeiten: So wurde gegenseitig genau darauf geachtet, dass nach den liturgischen Feiern der jeweiligen Konfession alles wieder abgeräumt und durch eigene Ausstattungsstücke ersetzt wurde: Vom Kelch bis Kerzenleuchter, vom Blumenschmuck bis zum Betschemel. Ich rechne es mir heute noch als konkretes Ergebnis meines ökumenischen Bemühens an, dass es in Absprache mit Pfarrer Günter Krutsche gelungen ist, wenigstens auf einem gemeinsamen Teppich zu bleiben und dieses Ausstattungsstück nicht auch noch für die verschiedenen Anlässe auszuwechseln. Man mag aus heutiger Sicht darüber schmunzeln, aber ich sehe diesen gemeinsamen Teppich als Symbol, dass wir im ökumenischen Miteinander nie die Bodenhaftung verlieren dürfen – nur wenn wir ganz bewusst auf dem gemeinsamen Grund des Glaubens stehen, werden wir auch in der Aufarbeitung der Unterschiede weiterkommen. Aus Anlass unseres heutigen Jubiläums möchte ich kurz drei Impulse für diesen Weg des ökumenischen Miteinanders geben:
1. In den vergangenen Jahren hat man im Dialog der getrennten Kirchen öfter von einer „Ökumene der Profile“ gesprochen. Das kann jedoch höchst verschieden gedeutet werden: Verbirgt sich dahinter die berechtigte Sorge um Identität im Dialog oder eine versteckte Angst vor zu viel Nähe, die wieder mehr auf Abgrenzung als auf Gemeinsamkeit setzt? Einer solchen Tendenz wäre entschieden zu wehren. Ich spreche lieber von einer „profilierten Ökumene“, bei der sich ein Wachsen in der Erkenntnis von Wahrheit verbindet mit der Treue zu gewachsenen Einsichten und der Offenheit für bereichernde Stärken der anderen Kirche. So habe ich z. B. von der evangelischen Theologie ein tieferes Verständnis von Gewissensfreiheit gelernt; umgekehrt sagen mir Gesprächspartner in der Ökumene, dass sie vom Gedanken der sichtbaren Gemeinschaft in der katholischen Kirche beeindruckt seien. Das Ganze des Glaubens kommt nur zum Leuchten, wenn wir uns als Christen gegenseitig ergänzen – das ist auch mein erster Wunsche für die konfessionellen Beziehungen hier in Kaltensondheim: Dass aus respektvoller Toleranz mehr und mehr das Gespür für das Bereichernde wächst, das wir einander zu geben haben.
2. Diese Einsicht führt zum Gedanken der „versöhnten Verschiedenheit“, die oft als Modell ökumenischen Miteinanders dargestellt wird. Dahinter steht die Überzeugung, dass christliche Gemeinschaft keinen Uniformismus darstellt, sondern unterschiedliche Akzentsetzungen kennt, die aber nicht mehr als kirchentrennend gelten müssen. Auf diesem Weg ist schon manches erreicht worden; so hat in meinen Augen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das die Bedeutung der Bibel wieder neu entdeckt hat, die alte Entgegensetzung zwischen einer „Kirche des Wortes“ (den Evangelischen) und einer „Kirche der Sakramente“ (den Katholiken) keine Gültigkeit mehr. „Versöhnte Verschiedenheit“ wird aber nur mögliche sein, wenn man verbleibende Grundfragen wie die nach der Bedeutung von Eucharistie und Amt gemeinsam angeht und sich darüber im Klaren ist, dass es keine Suche nach Wahrheit im Glauben ohne Bewährung im Leben geben kann. Dieses Zeugnis wird heute umso dringlicher angesichts einer gesellschaftlichen Gesamtsituation, die oft von religiöser Gleichgültigkeit geprägt ist. So geht mein zweiter Jubiläumswunsch für die Christen in Kaltensondheim dahin, dass sie den gemeinsamen Glaubensauftrag mutig angehen und miteinander im Alltag Zeugen der sichtbaren Zuwendung Gottes sein können, die sonst nur zu leicht aus dem Blick gerät.
3. Das führt mich zu einem dritten Gedanken. Unser früherer Bischof Paul-Werner Scheele betont immer wieder: „Wiedervereinigung ist Weitervereinigung“. Das will sagen: Keine Generation braucht im ökumenischen Bemühen beim Nullpunkt zu beginnen – wir können auf vielen mutmachenden Impulsen aufbauen, die Menschen vor uns erbetet und erarbeitet haben. Gesamtkirchlich denke ich dabei etwa an die Gemeinsame Erklärung zum Verständnis der Rechtfertigungslehre, die 1999 zwischen Lutheranern und Katholiken erzielt wurde. Ortskirchlich ist an die vielen ökumenischen Bibel- und Gesprächskreise zu erinnern, die mittlerweile fast selbstverständlich geworden sind – ebenso wie gemeinsame Wallfahrten. „Wiedervereinigung ist Weitervereinigung“ – denn das bedeutet aber auch, dass wir uns auf dem Erreichten nicht ausruhen dürfen, sondern dass der Weg weitergeht. Bei jedem Unterwegssein gibt es Phasen schwungvollen Fortkommens, aber auch lähmende Durststrecken; wichtig ist es das Ziel nie aus den Augen zu verlieren: Dass die Gemeinschaft mit Gott, die uns durch Jesus Christus geschenkt ist, sich in der Gemeinschaft jener widerspiegeln soll, die seine Zeugen sind und sich dem Auftrag des Evangeliums verpflichtet wissen, „Alle sollen eins sein ..., damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21). So ist mein dritter Wunsch zu diesem Jubiläum, dass der tolerante Umgang, der das Verhältnis hier vor Ort geprägt hat, sich weiterentwickelt zu einer immer tieferen Gemeinschaft im Glauben.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Wir feiern das Jubiläum eines Kirchenbaus, der – gewiss auch unter dem äußeren Druck der konfessionellen Zusammensetzung der Bevölkerung Kaltensondheims – vor dreihundert Jahren entstanden ist. Es geht darum, dieses gemeinsame Werk von damals mehr und mehr zu verinnerlichen und einzusehen, dass wir alle mitbauen an der einen Kirche Jesu Christi. Dabei kommt mir ein Gebet in den Sinn, das von dem kürzlich verstorbenen Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini stammt, der auf europäischer Ebene einer der großen Förderer der Ökumene war. Es lautet: „Herr, das ist das Material, über das du verfügst – das sind die Bausteine deiner Kirche. Sie sind oft schmutzig, schlecht bearbeitet, eckig und stumpf. Ich wollte, es wären andere – aber ich trage sie vor dich hin, weil ich weiß, dass du ihnen neuen Glanz geben und auch Steine des Anstoßes zu Bausteinen für das Reich Gottes machen kannst.“ Amen.