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„Moderne Gesellschaft ist multireligiös“

Interview mit Professor Dr. Chibueze C. Udeani vom Lehrstuhl für Missionswissenschaft und Dialog der Religionen an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg – „Missionarisch sein heißt dialogisch sein“

Würzburg (POW) Professor Dr. Chibueze C. Udeani lehrt seit dem Wintersemester 2012 am Lehrstuhl für Missionswissenschaft und Dialog der Religionen an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Im folgenden Interview spricht er über das moderne Verständnis von Mission und die Voraussetzungen dafür, wie ein Dialog zwischen den Religionen gelingen kann.

POW: Herr Professor Dr. Udeani, beim Wort „Mission“ haben viele Menschen die Klischees aus den Hollywood-Filmen der 1950er Jahre vor Augen: Was bedeutet Mission heute?

Dr. Chibueze C. Udeani: Eines vorweg: Mission ist der Grundauftrag, den Jesus an seine Jünger gegeben hat. Die katholische Kirche ist also von ihrem Wesen her missionarisch. Früher trug Europa den christlichen Glauben in andere Länder hinaus. Doch heute gibt es eine Gegenbewegung dieser Länder in Richtung Europa. In Afrika, in Asien, in Lateinamerika – überall wollen die Christen mitreden und mit ihrer individuellen Glaubenserfahrung ihren Platz innerhalb der christlichen Gemeinschaft finden. Durch die Globalisierung ist der „Fremde“ nicht mehr weit weg, sondern ganz nah: Vielleicht ist mein Nachbar ein Hindu, meine Arbeitskollegin eine Muslima. Die moderne Gesellschaft ist multikulturell und multireligiös geworden. So hat sich auch der Auftrag zur Mission seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil neu zu positionieren. Der Schwerpunkt liegt nun nicht mehr auf der Christianisierung, sondern darin, mit Menschen in Dialog zu treten: Wie kann man die Vielfalt der Kirche zu einer Einheit zusammenführen, die nicht uniform ist? Wie kann die Kirche einen funktionierenden Dialog mit den anderen Religionen gestalten? Missionarisch sein heißt dialogisch sein.

POW: Dieser Dialog geht in der Praxis oft genug schief. Was sind Ihrer Ansicht nach Voraussetzungen für einen gelingenden Dialog zwischen den Religionen?

Udeani: Eine Schlüsselszene für einen gelungenen Dialog ist für mich das Pfingstereignis: In Jerusalem sprachen die Apostel in ihren eigenen Sprachen von Jesus Christus. Damals haben sich die Menschen gefragt: Wie kommt es, dass wir diese Männer, die doch Juden sind, in unseren Sprachen verstehen? Aus dieser Geschichte lassen sich drei Grundvoraussetzungen für einen gelungenen Dialog ableiten: Es muss eine Begegnung stattfinden. Diese Begegnung muss sich auf Augenhöhe abspielen, unter gleichwertigen Partnern. Im Mittelpunkt stehen die frohe Botschaft, das Allgemeinwohl der Menschen, und nicht eigene versteckte Interessen.

POW: Sie stammen aus Nigeria. Welche Religionen gibt es dort und wie ist das Verhältnis zueinander?

Udeani: Nigeria ist ein Land der Vielfältigkeit. Das betrifft die Sprachen, die ethnischen Gruppen und natürlich auch die Religionen. Im Laufe der Geschichte wurde das Land zunächst islamisiert und dann christianisiert. Heute sind in Nigeria offiziell drei große Religionen anerkannt: der Islam, das Christentum und die traditionelle afrikanische Religion. Der Norden ist überwiegend vom Islam geprägt, der Süden – aus dem ich komme – überwiegend vom Christentum. Aber es gibt keine klare Trennung, sondern eher einen Mischmasch von Religionen. Ein Christ ist zum Beispiel zugleich oft Anhänger einer traditionellen afrikanischen Religion und umgekehrt. Schon das Christentum an sich ist nicht einheitlich. So kann es in einem kleinen Dorf römisch-katholische und anglikanische Christen geben. Zugleich erleben die Pfingstkirchen einen massiven Zulauf: In jeder Stunde entstehen in Nigeria 500 neue Kirchen. So kommt es, dass ein einzelner Mensch oft Mitglied in vielen verschiedenen Gruppierungen ist. Religion in Afrika ist ein boomendes Geschäft, die daraus entstehende Vielfalt ist schon mehr als multi. Solche Entwicklungen können für die Gesellschaft zum Problem werden, beispielsweise durch ein ausgeprägtes Differenzdenken nach dem Motto: Wir sind besser als die anderen.

POW: Wie kann es in dieser Vielfalt einen Dialog zwischen den Religionen geben?

Udeani: Alle glauben an Gott – warum verstehen sie sich dann nicht? Als Nigeria missioniert wurde, haben die Missionare die Afrikaner nicht als religiöse Menschen anerkannt und sich nicht mit den vorhandenen Religionen auseinandergesetzt, sondern alles als heidnisch abgetan. Zu einem Dialog gehört aber gegenseitiges Verständnis. Ich muss mir darüber bewusst werden, wie ich den anderen wahrnehme und wie er mich wahrnimmt. Dazu gehört auch, dass ich über meine eigene Religion Auskunft geben kann, dass ich weiß, wer ich bin, meine religiöse Identität kenne. Es geht darum, Gemeinsamkeiten, einen gemeinsamen Nenner zu suchen. Es muss das Gefühl da sein: Ich habe den anderen verstanden und fühle mich ebenso verstanden. Erst wenn gegenseitiges Verständnis und Vertrauen vorhanden sind, kann man die Unterschiede und die daraus resultierenden schwierigen Themen anpacken. Denn der andere wird Meinungen vertreten, die mit den meinen nicht identisch sind. Hier treffen sich die Fachgebiete Mission und Dialog der Religionen. Die Mission muss dialogisch werden, die Beziehung zum Gegenüber ist als Dialog aufzubauen. Dieser Dialog muss ehrlich und respektvoll sein. Dialog darf nicht als Strategie benutzt werden, um den anderen zu manipulieren oder für meine Ziele zu gewinnen.

POW: Heute „basteln“ sich viele Menschen ihre eigene Religion. Sie suchen sich Teilaspekte aus den verschiedenen Religionen aus, oft kombiniert mit einer Prise Esoterik. Wie sehen Sie diesen Trend?

Udeani: Hinter dieser „Supermarkt-Mentalität“ steht die Frage: Welche Religion gibt mir was? Diese Menschen picken nicht wahllos Aspekte heraus, sondern werden von grundlegenden religiösen Bedürfnissen geleitet. Es ist Aufgabe der Kirche, diese Bedürfnisse herauszufinden. Oft sind die Menschen auch nicht ausreichend über ihre eigene Religion informiert und haben klischeehafte Vorstellungen. Mission bedeutet in diesem Fall auch die Frage: Wie kann man die Botschaft Christi zu jenen bringen, die suchen, und zwar so, dass sie verstehen, worum es geht? Haben wir uns als Kirche etwa so entwickelt, dass unsere eigenen Leute uns nicht mehr als Ganzes spüren und verstehen können? Zugleich gibt es viele Wege, durch welche die Menschen zu Gott finden können, allein schon die vielen unterschiedlichen Variationen des christlichen Glaubens. Und auch die Suche kann als ein möglicher Zugang zum Gottesheil gesehen werden. An einer Stelle des Neuen Testaments berichten die Jünger Jesus von einem Mann, der auch Dämonen ausgetrieben hat. Sie wollen dies verbieten, aber Jesus sagt: Lasst ihn. Wenn er nicht gegen uns ist, ist er für uns. Übersetzt könnte das heißen: Alle arbeiten zwar unterschiedlich, aber im Grunde geht es um die Vision, um die Berufung.

POW: Oft scheint das „Andere“ attraktiver zu sein als die Pfarrgemeinde vor Ort. Viele junge Menschen, die in den Partnerbistümern Mbinga und Óbidos zu Gast waren, empfinden die Gemeinden dort auf den ersten Blick als lebendiger und attraktiver.

Udeani: Deutsche, die nach Mbinga oder Óbidos reisen, sehen die vollen Gotteshäuser und die lebendigen Gottesdienste. Wenn in Deutschland eine nigerianische Messe gefeiert würde, dürfte das für viele Gläubige zunächst befremdlich sein. Aber Lebendigkeit alleine reicht nicht aus, um die Dinge anders zu machen. Wer länger in diesen Ländern lebt, durchläuft nach einer Phase der Begeisterung eine Phase der Ernüchterung. Viele Menschen in Afrika und Südamerika werden von ihren Arbeitgebern ausgebeutet, haben eine lückenhafte Gesundheitsversorgung, ihre Kinder können nicht oder nur mit großem Aufwand in die Schule gehen und so weiter. In Deutschland dagegen ist die Kirche eine kompetente Partnerin, wenn es um gesellschaftliche Fragen wie Familienpolitik oder Lohngerechtigkeit geht. Caritas und Diakonie erbringen viele tolle Leistungen für die Gesellschaft. Es gelingt der Kirche in Deutschland, die Politik mitzugestalten – wie viel politisches Engagement der Kirche gibt es dagegen in Afrika oder Südamerika? Viele von uns, die nach Europa kommen, würden also auch gerne einiges sofort mit nach Hause nehmen. Man sieht jeweils das, was daheim fehlt, und schneidet sich quasi das fehlende Stück heraus. Partnerschaft bedeutet, dass beide Partner voneinander lernen können. Es heißt nicht, dass einer besser ist als der andere. Deshalb sollte man in Deutschland nicht zu viel jammern, sondern sich stattdessen sagen: Es ist noch nicht alles erreicht, aber wir gehen weiter.

Zur Person:

Professor Dr. Chibueze C. Udeani lehrt seit dem Wintersemester 2012 am Lehrstuhl für Missionswissenschaft und Dialog der Religionen an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er studierte in Ikot-Ekpene, Enugu (jeweils Nigeria), Innsbruck, Waco/Texas (USA) und Linz. Von 2008 bis September 2012 war er Direktor des Instituts für Caritaswissenschaft an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz.

Interview: Kerstin Schmeiser-Weiß (POW)

(3713/0919; E-Mail voraus)

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