Sie alle kennen das Märchen von den Sterntalern. Das arme, gutherzige Mädchen darf am Ende, nachdem es alles verschenkt hatte, sein Hemdchen weit aufmachen und die vom Himmel herunterfallenden Sterntaler einsammeln.
Ich traute meinen Augen nicht, als ich im vergangenen Dezember in einer Würzburger Zeitung ein Photo mit Geldmünzen auf einer Würzburger Straße sah und dann die Überschrift las: „Geldregen in Würzburg“ (Volksblatt, 22.12.07). Hatte sich das Märchen von den Sterntalern tatsächlich jetzt in Würzburg ereignet?
Was war geschehen? In Richtung B 19 hatte am Greinbergknoten ein Geldtransporter Münzen verloren. Eine Tür war aufgegangen, und ein Plastikbehälter mit Münzen ergoss sich über die ganze Straße. Aber leider waren diese nicht wie die Sterntaler von einer freundlichen Fee Würzburger Bürgerinnen und Bürgern zugedacht. Angestellte einer Sicherheitsfirma sammelten sie im Eiltempo wieder ein. Der darauf hin entstandene Verkehrsstau löste sich schnell wieder auf.
Erwarteten die Augenzeugen keine Belohnung – wie das Mädchen im Märchen – oder dachten sie an Rumpelstilzchen, das zwar in der Lage war, aus Stroh Gold zu spinnen, aber dafür auch der Königin ihr Kind einforderte?
Wie dem auch sei, im vergangenen Jahr ging es in Würzburg oft wie in den erwähnten Märchen zu.
Nachdem der Bau der Bahnhofsarkaden durch Bürgerentscheid nicht zustande kam, erwies sich der Zankapfel Mozart-Areal einerseits als Sterntaler, andererseits als Stroh, das durch die Stadtplaner und Stadtentwickler zu Gold gesponnen werden sollte. Nun soll nach gescheitertem Investorenwettbewerb ein Bebauungsplan aufgestellt werden.
Immerhin ist inzwischen der Neubau der VR-Bank als Nachfolge-Gebäude des „Petrinibaus“ fertig geworden und die Pläne für das Hochhaus in der Augustinerstraße sind erstellt.
Auch sind die Baumaßnahmen für den Hochwasserschutz am Mainufer in vollem Gange und sollen in diesem Jahr mit einer schönen Uferpromenade abgeschlossen werden.
Das ist auch dringend nötig, denn Würzburg hatte in einer „Außenansicht“ wegen städtebaulicher Entwicklungen wie die zur Königin avancierte Müllerstochter heftige Kritik einstecken müssen (vgl. Volksblatt, 18.10.07).
Die nach dem Abzug der Amerikaner frei gewordenen Leighton Barracks auf einem 134 Hektar großen Areal zum Beispiel wecken nicht nur Begehrlichkeiten, sondern verlangen das Mitdenken der Bürger.
Sicherlich wird das Neumünster, die Grabeskirche unserer Frankenapostel, im nächsten Jahr in neuem Glanz erstrahlen. In dieser barocken Wallfahrtskirche wird zurzeit eine Generalsanierung durchgeführt, die angefangen vom Mauerwerk über Heizungsanlage bis hin zu Altären und Figuren reicht. Zwar konnten schon 1952 die ersten Reparaturen nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossen werden, aber größere Schäden machten indes heuer in dieser nach dem Kiliansdom wichtigsten Kirche des Bistums eine erneute umfassende Sanierung notwendig. Hier leben wir natürlich auch in Erwartung eines Geldregens, der uns wohl nicht von einer Fee, aber so doch hoffentlich von gutwilligen Sponsoren zugedacht wird.
Die Sanierung des Kiliansbrunnens, der 111 Jahre lang vor dem Bahnhof stand, ist auch endlich in Angriff genommen worden. Die abgebauten Einzelteile harren nun nach gründlicher Expertenuntersuchung ihrer Restaurierung. Ob dies allerdings noch in diesem Jahr sein wird steht in den Sternen. Sicherlich brauchen wir hierfür noch eine gute Fee, die uns die offen gehaltene Schürze mit Talern füllt.
Genug der Simulierung über Gebäude und Bauten.
Im vergangenen Jahr wurde hier nicht nur des Schriftstellers Leonhard Frank gedacht, der vor 120 Jahren im Mainviertel geboren worden war, sondern auch des Würzburger Bischofs Josef Stangl, der vor 100 Jahren geboren und vor 50 Jahren zum Bischof geweiht worden war.
Bei der vor 800 Jahren geborenen Heiligen Elisabeth, die für kurze Zeit in Kitzingen Herberge gefunden hatte, wurde ihre leidenschaftliche Liebe zu den Armen und Notleidenden herausgestellt. Ein nachahmenswertes Beispiel!
Durch die vielen verlegten „Stolpersteine“ in der Würzburger Innenstadt wurde das Gedenken vor allem an viele unserer in der Nazi-Zeit ermordeten jüdischen Mitbürger, dann aber auch an die christlichen Martyrer wach gehalten. Ich durfte zum Beispiel die Patenschaft für zwei Stolpersteine übernehmen: Für den Rabbiner Dr. Magnus Weinberg und den Martyrerpriester Georg Häfner. Für letzteren ist zu erwarten, dass der Seligsprechungsprozess bald abgeschlossen sein wird.
Es gab aber auch musikalische Höhepunkte, die wie glänzende Dukatenlichtsplitter über Würzburg ausgeschüttet wurden.
Da war zum Beispiel im Juni das große 4. Deutsche Musikfest, das alle Erwartungen übertroffen hatte: 400 Konzerte mit 16.000 Musikerinnen und Musikern lockten bei Bilderbuchwetter rund eine Viertelmillion Menschen in die Stadt. Selbst der scheidende Ministerpräsident und der amtierende Bundespräsident flogen ein und ließen sich vom vielfältigen Klang verzaubern. Würzburg war gleichsam in eine faszinierende Musikwolke gehüllt.
Aber auch das jährliche Mozartfest, die Domkonzerte und die Würzburger Bachtage, die in diesem Jahr den Verbindungen zwischen den Werken von Johannes Brahms und Johann Sebastian Bach nachgingen, brachten das Kulturleben zum Leuchten.
Einen eigenen Farbtupfer setzte der neue Kulturreferent mit der Premiere des Hafensommers am alten Hafen. Einheimische wie auswärtige Künstler präsentierten sich an der beeindruckenden großen Freitreppe und der im Hafen schwimmenden Ponton-Bühne. Wenn auch das Wetter nicht so märchenhaft war, lässt sich dies ja in die neue Wunschliste einschreiben.
Vom Wetter unabhängig war die im Zeichen der Ökumene stehende erste Nacht der offenen Kirchen. 16 katholische, evangelische und evangelisch-methodistische Kirchen in der Würzburger Innenstadt hielten Angebote für suchende Menschen vor. Tausende Besucher machten davon Gebrauch.
Manchmal entsteht ja in der Öffentlichkeit der Eindruck, als ob Glaube, Religion und Kirche aus der Mode gekommen, lediglich ein absterbendes historisches Relikt seien.
So schreckte mich ein Zeitungsartikel mit der Überschrift Christus zu verkaufen auf (Main-Post, 10.12.07). Natürlich handelte es sich um eine Figur, die – wer hätte dies erwartet – direkt nach einem Keramik-Berner-Sennenhund zum Verkauf angeboten wurde.
Aber komisch klingt es ja doch, oder?
Dabei steht die Gottesfrage wieder auf der Tagesordnung. Nicht erst seit dem Bestseller GOTT von Manfred Lütz ist dieses Thema erneut aktuell und kommt aus der verschämten Privatecke menschlicher Sinnsuche in die Öffentlichkeit.
Vielmehr hat schon die internationale Studie der Bertelsmann Stiftung festgestellt, dass für 70 Prozent der deutschen Bevölkerung über 18 Jahren Religion bedeutsam ist und immerhin 20 Prozent als „tiefreligiös“ bezeichnet werden können. Natürlich können und werden hoffentlich noch mehr Menschen erreicht werden. Aber so sicher es ist, dass viele auf der Lebenssinnsuche sind und religiösen Hunger haben, so bedauerlich klar ist es auch, dass viele eher Gerüchten als Fakten glauben. So schrieb das Volksblatt am 17. Oktober dieses Jahres:
„Klatsch und Tratsch beeinflussen die Meinung von Menschen stärker als die Wahrheit. Selbst wenn Gerüchte durch eindeutige Beweise widerlegt seien, hätten sie den stärkeren Einfluss auf die Meinung und Entscheidungsfindung, ergab eine am Montag veröffentlichte Studie deutscher Wissenschaftler.“ Wobei wir uns wieder dem Reich der Märchen nähern. Eine eindeutige Analyse hat ergeben, dass die düsteren Prognosen der Hellseher für das Jahr 2007 nicht eingetreten sind. Weder ist die für 2007 prognostizierte Abschaffung des Euro eingetreten, noch ein UFO vor dem Weißen Haus gelandet. Selbst bei den vagen und schwammigen Zukunftsprognosen, in die alles Mögliche hinein interpretiert werden kann, ist kaum Raum für nachträgliche Rechtfertigungen. So ist auch die Vorhersage eines Astrologen, dass „Aufstände und Unruhen in den Niederlanden, Japan, Kanada, Libanon, Sri Lanka, Finnland, Philippinen, Rumänien, Ungarn, Polen und Saudi-Arabien denkbar“ seien (vgl. Volksblatt, 14.12.07) ad absurdum geführt.
Halten wir uns doch lieber an Fakten: Dankenswerter Weise ist uns die Zusage gemacht worden, dass der Würzburger Haushaltsentwurf für das kommende Jahr ohne Nettoneuverschuldung auskommen werde. Und das steht nicht in den Sternen, sondern kann handfest überprüft werden.
Freuen wir uns auch an dem internationalen Erfolg der Frankenweine, die inzwischen über Europa hinaus Beachtung finden. So wurde beispielsweise bei der „Canberra International Riesling Challenge 2007“ eine Riesling-Beerenauslese aus Würzburg als „Best Riesling in the World“ ausgezeichnet. (Vgl. Main-Post, 10.12.07).
Und selbst die Bundeskanzlerin bekannte in einem Interview, dass sie am liebsten zu den Forellen „einen Müller-Thurgau oder Silvaner vom Würzburger Stein“ (Volksblatt, 20.11.07) trinkt. Diese Erfolge mussten von den Winzern hart erarbeitet werden. Sie sind ihnen keineswegs wie die Sterntaler in den Schoß gefallen.
So bleibt mir nur im Ausblick auf dieses junge Jahr zu raten, was der verstorbene Historiker und Publizist Joachim Fest gesagt hatte: „Nicht das Bestehende muss verändert werden, sondern das Verkehrte.“ (FAZ, 07.12.07)
Bitte erlauben Sie mir am Schluss auch einen Anekdotentaler auszuteilen:
Im Kirchenstaat, dem Vatikan, ereignete sich am 1. Januar eine kleine Revolution: Die Arbeit der Angestellten wird vom Beginn dieses Jahres 2008 an nach Leistungskriterien vergütet. Das hatte sicherlich damit zu tun, dass Papst Johannes XXIII. einmal auf die Frage, wie viele Menschen im Vatikan arbeiten, gesagt hat: „Die Hälfte“. Das soll sich durch das neue Leistungsprinzip in Zukunft ändern. – Wie gesagt, die Zukunft wird erweisen, ob die Fakten von uns stärker wahrgenommen werden, als die Gerüchte.
Im nächsten Monat wird die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Würzburg tagen. Vor 160 Jahren war hier das erste Treffen der deutschen Oberhirten. Sicherlich wird man an die 72 tagenden Bischöfe auch Leistungskriterien anlegen müssen. Aber eines ist sicher: Sie können auch nicht – wie wir alle – aus Stroh Gold spinnen.
Gott segne Sie alle!