Eine der geistlichen Bewegungen unserer Zeit hat sich nicht einen klangvollen Namen zugelegt. Sie kennzeichnet sich und ihren Auftrag mit drei Zahlen. Sie heißen 3, 1 und 6, genauer: 3,16. Diese Zahlen stellen sie als Botschaft auf großen Plakatwänden heraus. Sie bringen sie an Litfaßsäulen an und an Bussen und Straßenbahnen. Was bedeutet das? Was soll das besagen und bewegen? Die Antwort gibt uns die frohe Botschaft, die wir eben gehört haben mit dem Vers 16 aus dem dritten Kapitel des Johannesevangeliums. Er heißt: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“ Das ist wie eine Summe der christlichen Botschaft. Sie wirft Licht auf das Leben jedes einzelnen Menschen und zugleich auf die ganze Welt. Sie versichert jedem, der wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das tiefste Geheimnis unserer Welt ist das Geheimnis der Liebe.
Die Botschaft
In unendlicher Liebe gibt Gott seinen einzigen Sohn dahin, um allen Menschen zu helfen, um alle zu retten. Diese Liebe wird nicht nur an einem bestimmten Höhepunkt des Lebens geschenkt; sie ist nicht wie ein Licht, das aufleuchtet und dann wieder verlischt; sie ist nicht wie eine Leidenschaft, deren Woge alles zu erfassen scheint und dann wieder abebbt. Diese Liebe endet nicht; sie will auch, dass der Geliebte nicht endet; er soll das ewige Leben haben.
Diese Liebe hat den Sohn Gottes ans Kreuz gebracht. Der Evangelist verweist darauf mit den Worten: „Der Menschensohn muss erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, in ihm das ewige Leben hat“ (Joh 3,14f.). Sein Kreuzesopfer verbindet ihn mit jedem Menschen in einzigartiger Weise. Der Herr will in ihm sein. Der Vater opfert seinen Sohn nicht nur als er ihn dem Kreuzestod ausliefert. Er schenkt ihn den Glaubenden ein ganzes Leben lang bis hin zum letzten Gericht, damit auch dieses zu einem Wunder seiner Liebe wird. „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird“ (Joh 3,17). Mit anderen Worten verkündet der Apostel, wie Gott „in Christus Jesus gütig an uns handelte“ (Eph 2,7) und handelt. Er stellt die uns zugedachte einzigartige Gemeinschaft mit und in Christus heraus. Voll Erbarmen hat Gott uns, „die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns erlöst hat, zusammen mit Christus lebendig gemacht“ (Eph 2,4f.). „Er hat uns mit Christus auferweckt“ (Eph 2,6). Für immer sollen wir Anteil an seinem Leben haben.
Die Aktion
Das Geschenk der rettenden Liebe, das der Vater mit der Hingabe seines ewigen Sohnes macht, will nicht nur zur Kenntnis genommen werden; diese Liebe will Liebe wecken, dieses Geschenk will angenommen werden. Diese Liebe, diese Annahme ist der Glaube. Er ist die wichtigste Aktion unseres Lebens. Von ihm hängt ab, ob die Rettungstat Gottes ihr Ziel erreicht. Gott, der in Freiheit seinen Sohn hingibt, nimmt dem Menschen die Freiheit nicht ab, die er ihm verliehen hat. Er zwingt sein Geschenk nicht auf, er bietet es an; er will, dass seine Entscheidung und unsere Entscheidung sich verbinden. Das liebende Ja, das er jedem Menschen zuspricht, wartet auf das liebende Ja des Glaubens. Glauben im Sinn der Heiligen Schrift ist ja mehr als ein Fürwahrhalten. Im Glauben schenkt der Mensch dem sich schenkenden Gott sein Jawort. Wie Gottes Ja von seinem ganzen Leben und Lieben bestimmt wird, so fordert das Ja des Glaubens den ganzen Menschen. Wie die Liebe will der Glaube mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit allen Gedanken und aller Kraft gelebt werden (vgl. Mk 12,30). Von diesem Glauben heißt es im heutigen Evangelium: „Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet“ (Joh 3,28). Wer sich glaubend dem für ihn hingegebenen Gottessohn anvertraut, steht damit ein für alle Mal beim Richter, weit weg von denen, die dem Gericht überantwortet sind.
Mit dem Aufruf zum Glauben ist ein weiterer kategorischer Imperativ verbunden. Er heißt: Tu die Wahrheit! Wörtlich: „Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht“ (Joh 3,21). Diese Redeweise leuchtet nicht ohne weiteres ein. Uns ist klar: Die Wahrheit will gesucht werden, will erkannt werden, will weiter erforscht und bedacht werden, will mitgeteilt werden. Was aber bedeutet es, dass die Wahrheit zu tun ist? Offenkundig geht es um eine ganzheitliche Entscheidung für die Wahrheit. Wer die Wahrheit tut, begnügt sich nicht damit, sie zur Kenntnis zu nehmen und über ihre Grenzen zu befinden. Die Wahrheit tun heißt: sich von ihr bestimmen lassen, sie hineinnehmen in das gesamte Leben und Denken, ihr gemäß handeln. Wer das tut, von dem heißt es im letzten Satz unseres Evangeliums, „dass seine Taten in Gott vollbracht sind“ (Joh 3,21). Wer sein Leben von der Wahrheit bestimmen lässt, handelt in Verbundenheit mit dem, der Weg und Wahrheit und Leben ist (vgl. Joh 14,6); er empfängt Licht von dem, der „das Licht der Welt“ ist (vgl. Joh 8,12).
Die Sendung
Weil die frohe Botschaft allen Menschen zugedacht ist, sind alle, die sie aufgenommen haben, in den Dienst aller gestellt. Damit das Evangelium alle erreicht, sind alle Christgläubigen verpflichtet, es nach Kräften weiterzugeben. In seinem Apostolischen Schreiben über die Freude des Evangeliums hat Papst Franziskus das auf seine Weise herausgestellt. Er gebraucht dabei die ungewohnten Worte: „Ich bin eine Mission auf dieser Erde, und ihretwegen bin ich auf dieser Welt.“ „Ich bin eine Mission“, das bedeutet mehr als wenn er schreiben würde: „Ich habe eine Mission, ich bin ein Missionar.“ Das würde sich auf eine Aufgabe beziehen, die wahrzunehmen ist. „Ich bin eine Mission“ betrifft hingegen die ganze Existenz. Diese ist durch und durch von der Sendung bestimmt, die der Herr verliehen hat. Papst Franziskus verdeutlicht das mit den Worten: „Die Mission … ist nicht Teil meines Lebens oder ein Schmuck, den ich auch wegnehmen kann … Sie ist etwas, das ich nicht aus meinem Sein herausreißen kann, außer, ich will mich zerstören.“ Gewiss ist das eine gute Kennzeichnung des päpstlichen Dienstes; es ist aber noch mehr. Der Heilige Vater bezieht das „Ich bin eine Mission“ nicht bloß auf sich, diese Worte gelten nach ihm für alle Christgläubigen, sie gelten für uns alle. Unser gemeinsamer Auftrag ist es, „Licht zu bringen, zu segnen, zu beleben, aufzurichten, zu heilen, zu befreien.“ Für uns alle gelten die Worte des Völkerapostels: „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde (1 Kor 9,16).
Friede und Freude
Diesen Auftrag sollen wir nicht wahrnehmen „wie jemand, der eine neue Verpflichtung auferlegt, sondern wie jemand, der eine Freude mitteilt, einen schönen Horizont aufzeigt, ein erstrebenswertes Festmahl anbietet.“ Das Reich Gottes, dem wir zu dienen haben, ist „Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17). Unter diese Worte habe ich vor vierzig Jahren meinen bischöflichen Dienst gestellt. Sie können bewusst machen, was uns miteinander verbindet. Von Herzen bin ich für alle dankbar, die mit mir zusammen in diesem Sinn gewirkt haben. Ohne sie hätte ich nicht tun können, was mir aufgetragen war. Ich brauche diese Hilfe auch weiterhin, hört doch die fundamentale Verpflichtung nicht mit der Emeritierung auf. Für den lebenslang geforderten Dienst gelten die Worte der heutigen Epistel: „Nicht aus eigener Kraft, Gott hat es geschenkt“ (Eph 2,8). So kann ich mir dankbar die Worte zu Eigen machen, die die kleine Therese auf ihrem Sterbebett ausgesprochen hat: „Alles ist Gnade.“ Amen.