Über Jahrzehnte hat Bischof Paul-Werner für das Jahrbuch „Mit der Bibel durch das Jahr – Ökumenische Bibelauslegungen“ geschrieben. Das letzte Mal für das Jahr 2019. Für die Ausgabe 2020 fehlte ihm schon die Kraft. In den letzten Monaten tat er sich zunehmend schwer mit den Augen, so dass ihm das Lesen und damit auch das Schreiben schwerfielen. Für den 11. bis 13. Februar 2019 gab er drei Impulse für den zentralen Abschnitt aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer, dem Kapitel 8. Hier spricht der Apostel von der Gewissheit der Hoffnung in allen Leiden. Im Römerbrief und darin im achten Kapitel finden wir einen Schlüssel zum Verstehen der Reformation. Luther selbst schreibt in seiner Vorrede: „Diese Epistel ist das rechte Hauptstück des Neuen Testaments und das allerlauteste Evangelium, welches wohl würdig und wert ist, dass sie ein Christenmensch nicht allein von Wort zu Wort auswendig wisse, sondern täglich damit umgehe als mit täglichem Brot für die Seele“.
Unser verstorbener alter Bischof Paul-Werner gab uns am 13. Februar dieses Jahres zu Röm 8, Verse 31 bis 39, diese Gedanken mit:
„Wenn wir einen Berg besteigen, können wir allerhand erleben. Unterwegs kann viel passieren. Schwierigkeiten sind zu überwinden. Erreicht man den Gipfel, dann wird man reich beschenkt. Der Horizont weitet sich. Berge, die wir weder im Tal noch unterwegs sehen konnten, treten vor unsere Augen – manche als Teil eines großen Gebirgsmassivs. Gipfelerfahrungen sind auch denen zugedacht, die den Aufstieg über die acht Kapitel des Römerbriefes geschafft haben. Auch sie mussten mit Schwierigkeiten fertig werden. Auch sie brauchten Ausdauer. Dann vermitteln die letzten Zeilen, die den ersten Teil des Römerbriefes abschließen, beglückende Erkenntnisse. Auch hier erweitert sich der Horizont. Er reicht über diese Welt hinaus bis in den Himmel hinein. Der Erlöser ist dort und tritt für uns ein. Zugleich bleibt der Blick, was uns zu schaffen macht. So schlimm das sein kann, es hat seine zerstörerische Kraft verloren. Christi Liebe ist stärker. Der Blick auf das Gipfelkreuz kann das bewusst machen. Es gehört zu den Geschenken, die man auf Bergeshöhe empfangen kann. In den Alpen finden wir es in den verschiedensten Formen. Jede von ihnen zeigt das Kreuzesgeschehen in einer anderen Perspektive: Das Kreuz kann als Abbild weltweiten Leidens betrachtet werden. Man kann es als Ausdruck menschlicher Sündhaftigkeit sehen. Wie für den reumütigen Schächer kann das Kreuz Zeichen der Hoffnung und der Vergebung sein. Der Apostel stellt das Kreuzesgeschehen als Geschenk der Liebe Gottes heraus. Der Vater gibt das Beste hin, was er hat: seinen einzigen Sohn. Er offenbart damit, dass er ganz Liebe ist, dass er ganz für die Menschen da ist, dass er bereit ist, ihnen in allem beizustehen. Der Sohn, der nach dem Willen des Vaters lebt und stirbt, tritt immerzu für die Menschen ein. Er tut es auch nach seinem irdischen Tod. Mit dem Vater vereint, liebt und hilft er immerzu. Diese Liebe ist mächtiger als alles, was uns bedroht. Wir brauchen es nicht zu fürchten. Nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen.“ (aus: Mit der Bibel durch das Jahr 2019, Hamburg 2018, S. 58)
Paul-Werner schildert eine Erfahrung, die er oft selbst erlebt hat, und die ich und andere so manches Mal im Sommer mit ihm teilen durften. Ich weiß nicht, wie er in die Berge gestiegen ist, als er ganz jung war. Aber so zwischen 40 und 50 und dann auch später ging es immer ruhig und beständig, geduldig und ausdauernd bergauf. Keine Hetze. Es wurde gebetet auf dem Weg – jeder für sich, nachgedacht, einfach gelaufen. Pausen wurden gemacht, wenn es einen schönen Ausblick gab. Am Gipfel war es ruhig. Wenn es viel Trubel gab, ging er ein wenig abseits, der Ruhe wegen. Zur Brotzeit gehörte auch immer ein Schnaps. Die Hütten waren nicht so seins. Wohl wegen des vielen Geredes, des Profilierens: Was so alles geschafft und gemacht wurde.
Diese Zugehensweise im Blick auf die Berge kann man übertragen auf seine Gangart und Sicht in der Ökumene: Die Dankbarkeit für alles Erreichte. Wie auf den Gipfeln der Berge liebte er, wenn die ökumenischen Treffen in Würzburg und im Frankenland waren, die verbindende Kraft des Weines. Die Wege durch die ökumenische Gebirgslandschaft waren für ihn Gabe und Geschenk, Aufgabe und Herausforderung. Was für den Gesprächsprozess in unserem Bistum in den 1990er Jahren galt, ist auch für die Ökumene übertragbar. Keinen Punkt machen, sondern immer einen Doppelpunkt: „Wir sind Kirche – Wege gehen im Gespräch.“ Alles in dem Wissen, dass das Hören entscheidend ist. Das Hören auf Gott, das Hören auf die Menschen, das Hören auf die eigene Stimme. Und das war der Gipfel: „In alldem tragen wir einen glänzenden Sieg davon durch den, der uns geliebt hat“ (Röm 8,37).
Lieber Bischof Paul-Werner, ich danke Dir, wir danken Dir für alle Weggemeinschaft in allen Tiefen und zu allen Höhen. Beten wir füreinander, wir hier auf Erden und du dort in der Kirche des Himmels, in der wohl viel mehr Menschen sind, als wir hier auf Erden erahnen können. Nichts und niemand kann uns trennen von der Liebe Gottes. Amen. Danke, Paul-Werner.