Liebe Schwestern und Brüder!
Vor kurzem konnte ich ein Gespräch zwischen zwei jungen verliebten Menschen belauschen. Ich hatte mich nicht auf die Lauer gelegt, um zu hören, was sie einander zu sagen hatten. Ihr Zwiegespräch war einfach nicht zu überhören. Sie wollten eine Familie gründen und machten Zukunftspläne. Nun informierten sie sich gegenseitig über ihre Vorstellungen von einem eigenen Haus. Sie war mehr für ein modernes, funktionstüchtiges Haus, er wollte lieber ein altes Fachwerkhaus. Die junge Frau wollte große, helle, geräumige Zimmer, der junge Mann ein Haus mit altem Flair und einem offenen Kamin. Je länger sie miteinander sprachen, desto mehr glichen sie ihre unterschiedlichen Vorstellungen einander an. Beide wollten ein gemeinsames Familienglück in einem auf sie zugeschnittenen Haus, in dem sie sich wohlfühlen und ihre Kinder aufziehen konnten.
Wenn wir, liebe Schwestern und Brüder, den heutigen Weihetag unseres Domes feiern, dann tun wir dies in Erwartung der Wiedereröffnung eines frisch renovierten Domes. Auch hier gab es die unterschiedlichsten Überlegungen. Neben notwendigen baulichen Sicherungen, neuen Leitungen, Reinigungen von Kunstwerken, Bankbestuhlungen etc. gab es auch Maßnahmen zu weiteren Andachtsräumen innerhalb der Kathedrale und in der Unterkirche. Domkapitel und das Bau- und Kunstreferat haben sich viele Gedanken zu einer würdigen Gesamtgestaltung gemacht. Wir dürfen uns sicherlich auf die Wiedereröffnung am ersten Adventssonntag freuen.
Vor kurzem kam ich mit einer jungen Dame über Kirchbau im Allgemeinen in eine weitreichende Diskussion. Sie bezweifelte, ob es überhaupt Kirchen geben müsse. Natürlich braucht Gott keine Kirche. Seine Wohnstatt ist unfassbar und wir belegen sie mit dem Ausdruck Himmel.
Als König Salomo Gott ein Haus unter den Menschen baute, wusste er, dass Gott so gewaltig ist, dass ihn nicht einmal die Himmel fassen können. So fragte Salomo mit ausgebreiteten Händen: „Wohnt denn Gott wirklich auf der Erde? Siehe, selbst der Himmel und die Himmel der Himmel fassen dich nicht, wie viel weniger dieses Haus, das ich gebaut habe.“ (1 Kön 8,27). Dennoch wollte er Gott ein Haus bauen, in dem die Menschen Gott begegnen können. Das ist der Sinn des Kirchbaus: Wir brauchen eine Stätte, um Gott begegnen zu können. Hier kommen wir als Gemeinde zusammen. Hier hören wir Gottes Wort, feiern Gottesdienste und empfangen die Sakramente.
Beim Baubeginn einer Kirche betet der Bischof: „Allmächtiger Gott, du hast deine Kirche auf dem Fundament der Apostel erbaut und sie berufen zur Heiligkeit. Christus selber ist der Eckstein … Mache … (die Gemeinde) zum Tempel deiner Herrlichkeit und führe sie zum himmlischen Jerusalem.“ Hier werden schon die unterschiedlichen Verortungen des Kirchbauverständnisses hervorgehoben: Die Kirche besteht aus lebendigen Steinen. Christus ist der Eckstein.
Das Gottesvolk Kirche ist auf dem Fundament der zwölf Apostel aufgebaut und zur Heiligkeit berufen. Ziel ist die Vollendung im Himmel.
Diesen Gedanken hat schon der heilige Paulus im Ersten Korintherbrief formuliert, wenn er den Christen zuruft: „Ihr seid Gottes Bau…einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus. Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3,9c.11.16)
Jesus hielt sich oft und lange im Tempel von Jerusalem auf. Er betete und lehrte dort, heilte Kranke und vertrieb die Händler aus dem Tempel. Er sprach vom „Haus meines Vaters“ (Joh 2, 16) und verglich den Tempel mit seinem Leib. So klagten ihn zwei Männer vor dem Hohenpriester Kajaphas an: „Er hat gesagt: Ich kann den Tempel Gottes niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen.“ (Mt 26,61). Jesus meinte aber den Tempel seines Leibes, der am dritten Tag von den Toten auferstand.
Es bleibt also festzuhalten, dass das irdische Haus Gottes, die Kirche ein Ort der Begegnung von Gott und den Menschen ist. Hier trifft sich die Kirche aus lebendigen Steinen, betet gemeinsam, feiert gemeinsam die heilige Messe und andere Gottesdienste.
Hier wird Gottes Wort verkündet und werden die Sakramente gespendet. Hier wird der Blick auf unsere Vollendung gelenkt, die wir im Bild des Himmlischen Jerusalem erwarten dürfen.
Dann allerdings brauchen wir keinen Tempel und kein Kirchengebäude mehr, denn dann wird Gott alles in allem sein. So lesen wir im Blick auf das Himmlische Jerusalem in der Offenbarung des Johannes: „Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel, er und das Lamm.“ (Offb 21,23) und: „Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen. Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.“ (Offb 21,3u.4)
Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir heute den Jahrestag unseres Domweihfestes begehen, dann blicken wir auf die Bischofskirche. Das Wort Dom kommt von domus, das heißt Haus. Der Dom ist das zentrale Haus Gottes im Bistum, sozusagen die Mutterkirche aller Kirchen und Kapellen der ganzen Diözese. Unser Würzburger Dom hat eine lange Geschichte. Er ist eine Wegkirche durch 1000 Jahre. In ihm schauen wir in die Vergangenheit zurück und in die Zukunft voraus. Danken wir Gott für unseren Sankt Kiliansdom und bitten wir ihn, er möge vielen Menschen auf dem Weg zur ewigen Heimat ein Ort der Ruhe, des Durchschnaufens und der Gottesbegegnung werden.
Amen