Würzburg (POW) Als hätte er es geahnt: Im Anschluss an einen Vortrag in der Würzburger Augustinerkirche aus Anlass des 50. Jubiläums des Zweiten Vatikanischen Konzils sagte Konzilsvater Bischof em. Dr. Dr. Luigi Bettazzi Mitte Oktober 2012, er rechne mit einem Rücktritt von Papst Benedikt innerhalb eines Vierteljahres. „Jeder von uns weiß, dass man erst einmal einen Schritt nach hinten machen muss, will man einen wirklich großen Sprung nach vorne machen. Ihr werdet schon sehen!“, hatte der Bischof aus dem italienischen Ivrea in seiner Rede über die Rolle der „Kleinen Bischöfe und die Kirche der Armen auf dem Zweiten Vatikanum“ gesagt. Gegenüber Mitgliedern der katholischen Friedensbewegung Pax Christi präzisierte der langjährige Präsident von Pax Christi International anschließend die Aussage auf einen baldigen Rücktritt von Benedikt XVI. hin. Barbara Häußler vom Leitungsteam von Pax Christi in der Diözese Würzburg hat Bischof Bettazzi (89) zu seiner damaligen Vorhersage und zur gegenwärtigen Lage der Kirche interviewt.
POW: Aus welchen Zeichen haben Sie bereits im vergangenen Oktober geschlossen, dass der Papst sein Amt niederlegen würde? Und was hat Sie sogar fast das Datum dieses Rücktritts vorhersehen lassen?
Bischof em. Dr. Dr. Luigi Bettazzi: Zu dieser Zeit dachte ich: Kardinal Ratzinger hatte genau beobachtet, dass es Papst Johannes Paul II. in den letzten Monaten seines Lebens nicht mehr gelang, angemessen seine Aufgabe als Oberhirte der Kirche wahrzunehmen. Vielmehr hatten oft seine Mitarbeiter diese Aufgabe übernommen. Diese hatten jedoch nicht die Gnade des Primates. Bereits damals hatte Ratzinger gedacht, er werde, sobald er nicht mehr in der Lage wäre, effizient seine Sendung auszuüben, fähig sein, das zu tun, was Johannes Paul II. nicht gelungen war – nämlich zurückzutreten. Auch hatten wir Papst Benedikt deutlich angemerkt, welche Grenzen ihm sein Alter auferlegte.
POW: Wie beurteilen Sie diesen Schritt? Ist er ein „Desaster” oder ein „Sprung nach vorne”?
Bischof Bettazzi: Ich halte ihn für einen Akt von großer Demut sowie von Glauben und Liebe zur Kirche. Jesus hat gesagt, dass derjenige der Größte ist, der dient: Wer spürt oder befürchtet, nicht mehr in der Lage zu sein, so zu dienen, wie er es sollte oder gerne täte, der handelt beispielhaft, wenn er abtritt. Übrigens verlangt man ja auch von Bischöfen, die ein gewisses Alter erreicht haben, sie sollten zurücktreten. Auch Kardinäle, die 80 Jahre alt geworden sind, müssen darauf verzichten, den Papst zu wählen. Verständlicherweise folgt auch Papst Benedikt dieser Logik.
POW: Welche Konsequenzen hatte nach ihren Kenntnissen die Ankündigung des Rücktritts für die Mächtigen in der Kurie?
Bischof Bettazzi: Ich glaube, angesichts dieser überraschenden Geste haben alle Mitglieder der Kurie über das nachgedacht, wofür sie in der Vergangenheit verantwortlich waren. Das heißt, sie haben sich gefragt, ob sie mit bestimmten Verhaltensweisen dazu beigetragen haben, dass negative Situationen entstanden sind. Und sie haben auch an die Zukunft gedacht, daran, ob sie sich darauf gefasst machen müssen, dass der neue Papst wichtige Änderungen einführt und dass sie ihren Dienst engagierter tun müssen, um ein gutes Vorbild sein zu können.
POW: Wie beurteilen Sie den Weg, den die Kirche während des Pontifikats von Benedikt XVI. eingeschlagen hat?
Bischof Bettazzi: In seiner Autobiographie bekennt der Papst, er sei durch die 1968er „Revolutionen“ mit ihren Auswirkungen auf die theologischen Fakultäten und auch auf einige Teile der Kirche erschüttert gewesen. Das hat ihn sehr vorsichtig werden lassen. Aber er hat auf dem Glauben bestanden. Und seine drei Bücher über Jesus – unabhängig davon, wie man ihren wissenschaftlichen Wert einschätzen wird – haben in der Welt das Wissen von Jesus und das Interesse für seine Lehre verbreitet. Darüber hinaus hat der Papst aufgezeigt, dass es unbedingt notwendig ist, die Kirche zu läutern: angefangen von der Pädophilie bis hin zu den eindringlichen Mahnungen des Papstes, man solle nicht den Verlockungen von Karriere und Macht erliegen.
POW: Die unter dem Pontifikat Benedikts XVI. und seines Vorgängers ernannten Kardinäle scheinen eher konservativ eingestellt – und zum Teil sehr kritisch gegenüber dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu sein. Unter welchen Bedingungen erscheint Ihnen eine schwungvolle Weiterführung des Zweiten Vatikanischen Konzils möglich?
Bischof Bettazzi: Nach dem Tod von Pius XII. wurde ein alter Papst gewählt, damit dieser dann Montini in den Kardinalsstand erheben konnte. Man nannte ihn einen „Übergangspapst” – und er war wirklich ein Papst, der die Kirche von einer Epoche in eine andere hineinführte. Aus diesem Grund denke ich und vertraue darauf, dass der Heilige Geist sich der Kardinäle bedient, um eine Epoche tiefgreifender Erneuerung zu beginnen. Es ist kein Zufall, dass das Konklave im Jahr des Glaubens stattfindet – und im 50. Jahr nach der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils.
POW: Welche Aufgabe haben in diesem Augenblick die Laien?
Bischof Bettazzi: Aufgabe der Laien ist es, sehr viel zu beten. Und dann auf wirksame Weise den Wunsch zu äußern, dass es die erste Aufgabe des neuen Papstes sein soll, sich für eine umfassendere Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils einzusetzen.
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