Seit der Frühjahrs-Vollversammlung erlebten wir eine bewegte und bewegende Zeit mit Entwicklungen und Überraschungen sowohl im politischen und gesellschaftlichen Leben unseres Landes als auch in unserer Kirche. Aus Zeitgründen will ich mich nur zu einigen Themen äußern.
1. Die Politik im Sommer und Herbst war geprägt vom Wahlkampf und den Wahlen in Land und Bund. Erfreulich war die weitgehend sachliche Auseinandersetzung der Parteien, die leichte Steigerung der Wahlbeteiligung und im Ergebnis die rote Karte für rechtsradikales Gedankengut. Dennoch wenigstens zwei kritische Anmerkungen:
Muss man bei der Diskussion um Betreuungsgeld und Betreuungseinrichtungen ideologisch aufgeheizt Schwarz-Weiß-Bilder malen, oder wäre es im Sinne der Wahlfreiheit der Eltern nicht angebracht, auf die optimale Förderung beider Modelle zu setzen?
War es gerade im Wahlkampf angebracht, die demonstrierenden Asylsuchenden auf ihrem Weg nach München so zu behandeln und die „Residenzpflicht“ in aller Härte durchzusetzen, obwohl rechtlich Ausnahmegenehmigungen möglich sind und ein Jahr vorher beim „Marsch nach Berlin“ praktiziert wurden?
Auf Nachfrage der B5-aktuell-Redaktion habe ich dazu übrigens klar Stellung bezogen, was ein paar Protestmails zur Folge hatte, die ich leicht verschmerzen kann auf Grund der vielen anerkennenden und dankbaren Rückmeldungen.
Nach den Wahlen gratulierte ich im Namen des Diözesanrates den unterfränkischen Abgeordneten in Landtag und Bundestag und fügte an die Glückwünsche noch folgende Sätze an:
„Als Vertretung der Katholikinnen und Katholiken unserer Region bieten wir Ihnen unsere Unterstützung und wohlwollende Partnerschaft in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion an, besonders wenn es um so wichtige Fragen geht, wie
den Schutz des menschlichen Lebens von seinem Beginn bis zu seinem natürlichen Ende, - an MdB -
der Stammzellenforschung und Gentechnik, - an MdB -
eine gerechte und solidarische Familienpolitik, - an MdL und MdB -
die solidarische Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, - an MdL und MdB -
der Bewahrung der Schöpfung, z. B. durch die gelungene Umsetzung des Klimaschutzes und der Energiewende, - an MdL und MdB -
die Herausforderungen durch den demographischen Wandel und die Probleme des ländlichen Raums, - an MdL -
das Eintreten für faire Bedingungen des Zusammenlebens und gegen strukturelle Ungerechtigkeit (regional, national und global), - an MdL und MdB -
eine konsequente und nachhaltige Menschenrechts- und Friedenspolitik, - an MdL und MdB -
um nur einige Beispiele aufzuzählen.
Lebendige Demokratie braucht den Austausch von Meinungen sowie gesellschaftliches Engagement möglichst vieler Bürger und gesellschaftlicher Gruppen. Auf der Grundlage unserer Verfassung, des christlichen Wertefundaments und Menschenbildes beteiligen wir uns gerne.“
Lassen Sie mich nun noch ein paar Themen ansprechen, die mich und bestimmt uns alle als engagierte Katholiken zur Zeit bewegen.
2. Wer oder was unserer Kirche seit Monaten über alle Maßen gut tut, ist Papst Franziskus, seine Hinwendung zu den Menschen, seine Authentizität und Offenheit, sein Zeugnis in Wort und Tat. Er spricht Klartext und handelt danach, egal ob es um seinen Lebensstil oder um strukturelle, theologische oder spirituelle Fragen geht. Zum Beleg nur wenige Zitate aus dem langen Interview, das er dem Jesuiten Antonio Spadaro gab, und das auf der Homepage der „Stimmen der Zeit“ veröffentlicht ist:
„Das Bild der Kirche, das mir gefällt, ist das des heiligen Volkes Gottes. Die Definition, die ich oft verwende, ist die des Konzilsdokuments Lumen gentium in Nummer 12. …Das Volk ist das Subjekt. Und die Kirche ist das Volk Gottes auf dem Weg der Geschichte - mit seinen Freuden und Leiden. Fühlen mit der Kirche bedeutet für mich, in dieser Kirche zu sein.“
„Ich sehe ganz klar, dass das, was die Kirche heute braucht, die Fähigkeit ist, Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen - Nähe und Verbundenheit. Ich sehe die Kirche wie ein Feldlazarett nach einer Schlacht. Man muss einen Schwerverwundeten nicht nach Cholesterin oder nach hohem Zucker fragen. Man muss die Wunden heilen. Dann können wir von allem anderen sprechen. Die Wunden heilen, die Wunden heilen… Man muss ganz unten anfangen.“
„Das Zweite Vatikanum war eine neue Lektüre des Evangeliums im Licht der zeitgenössischen Kultur. Es hat eine Bewegung der Erneuerung ausgelöst, die aus dem Evangelium selbst kommt. Die Früchte waren enorm.“
„Wenn der Christ restaurativ ist, ein Legalist, wenn er alles klar und sicher haben will, dann findet er nichts. Die Tradition und die Erinnerung an die Vergangenheit müssen uns zu dem Mut verhelfen, neue Räume für Gott zu öffnen. Wer heute immer disziplinäre Lösungen sucht, wer in übertriebener Weise die ›Sicherheit‹ in der Lehre sucht, wer verbissen die verlorene Vergangenheit sucht, hat eine statische und rückwärtsgewandte Vision. Auf diese Weise wird der Glaube eine Ideologie unter vielen.“
Und in Rio fragt Papst Franziskus vor lateinamerikanischen Bischöfen: "Ist es für uns ein übliches Kriterium, unser Urteil in der Pastoral auf den Ratschlag der Diözesanräte zu stützen? Sind diese Räte und jene auf Pfarreiebene für die Pastoral und die wirtschaftlichen Angelegenheiten wirkliche Räume für die Teilnahme der Laien an der Beratung, der Organisation und der pastoralen Planung?“ Der Papst gibt selber die Antwort, indem er sagt: „Das gute Funktionieren der Räte ist entscheidend. Ich glaube, dass wir darin noch sehr im Rückstand sind."
Ich möchte diese wenigen Zitate stehen lassen. Sie sprechen nicht nur gläubige Christen an, sondern auch Fernstehende. Die erfrischende Offenheit und das von Franziskus vorgelebte Zeugnis einer ganz an Jesus ausgerichteten Kirche, nah bei den Menschen mit ihren Nöten und Fragen, sprengt Grenzen und lädt zum Mittun ein.
3. Ernüchternd, demotivierend und schlimm ist das, was man dann in den letzten Wochen nahezu täglich in Zeitungsmeldungen oder Sondersendungen in der Causa Limburg zur Kenntnis nehmen muss. Eigentlich wollte ich – weil außerhalb unserer Diözese verortet – darauf in meinem Bericht nicht eingehen. Aber der Flurschaden für unsere Kirche ist inzwischen leider so groß, dass wir alle, besonders auch viele Ehrenamtliche in Gremien, Verbänden und bei der Caritas darunter zu leiden haben:
Mühsam wieder gewonnene Glaubwürdigkeit wird infrage gestellt, ja „geht den Bach runter“;
Fragende und Verunsicherte kehren der Kirche endgültig den Rücken;
Aktiven Kirchengegnern wird Munition für radikal laizistische Forderungen geliefert.
Die Erfahrungen der letzten Jahre müssten doch alle Verantwortungsträger dafür sensibel gemacht haben:
Vertuschung beschädigt und Transparenz fördert Glaubwürdigkeit;
leichtfertiger Umgang mit der Wahrheit, nicht nur in finanziellen Zusammenhängen, zerstört jegliches Vertrauen;
Falsche Solidaritätsbekundungen und vorschnelle Schuldzuweisungen („Medienkampagne“) verschlimmern die Gesamtsituation.
Deshalb ist die nach dem derzeitigen Kenntnisstand – auch von mir – geäußerte Meinung, dass Verantwortliche zu ihrer Verantwortung zu stehen und Konsequenzen zu ziehen haben, weder verwerflich noch unbarmherzig.
Verwerflich und unchristlich ist es allerdings, wenn man auf einen Menschen, der begangene Fehler einsieht, bereut und an ihnen leidet, weiter einschlägt. Das widerspricht einem barmherzigen Umgang mit Menschen, die Fehlverhalten und Scheitern zu verarbeiten haben.
4. Das dritte bundesweite Gesprächsforum am 13./14.09. in Stuttgart stand unter dem Thema „Dem Heiligen begegnen – heute Gott verehren“. In den unterschiedlichen Gesprächsrunden wurden Antworten gesucht auf die Fragen: Welche Formen der Liturgie werden als Begegnung mit dem Heiligen angeboten? Welche Möglichkeiten schafft die Liturgie, um Aufbruch und Erneuerung des kirchlichen Lebens zu stärken? Wo ist gerade die Liturgie, als Ausdruck des Glaubens, ein Wesensmerkmal der missionarischen und pilgernden Kirche? Schließlich: Wie ist erfahrbar (in der Eucharistiefeier und allen anderen Gottesdiensten), dass die Liturgie Ausdruck der Liebe Gottes zu den Menschen ist und zu dieser Liebe befähigen soll?
Positiv war wieder die wirklich offene Gesprächsatmosphäre, allerdings hätte die Moderation zielführender sein können. Am Freitagabend kam es zu einem Austausch über den Stand der Diskussion und der Arbeit an den wichtigen Themen Diakonie vor Ort, wiederverheiratete Geschiedene, kirchliches Arbeitsrecht und Frauenförderung sowie Charismen orientierte Arbeit, die gemeinsame Verantwortung aller Getauften für den Dienst am Menschen, gesellschaftliche Verantwortung und lebendige Vielfalt. Gerade zum Thema „wiederverheiratet Geschiedene“ bestätigten Erzbischof Zollitsch und die drei Mitglieder der Steuerungsgruppe (die Bischöfe Bode, Marx, Overbeck), dass in der bischöflichen Arbeitsgruppe zielgerichtet und intensiv nach Lösungswegen gesucht werde. So sagte u. a. Bischof Overbeck in seinem Impulsreferat: „Liturgie als COMPASSIO, als Verdichtung von Liebe und Barmherzigkeit, schließt keinen, wirklich keinen Gläubigen aus. Das gilt für alle Gottesdienstformen, besonders aber für die Eucharistiefeier. Die Liebe und Barmherzigkeit des Versöhnungsopfers gilt selbstverständlich, ja in besonderer Weise auch den Gescheiterten unter den Gläubigen, denn sie bedürfen ihrer ja am meisten. Und wenn jemand, der in seinem Leben am Boden war, aber anschließend wieder aufgestanden und weitergegangen ist, mit geprüftem Herzen zur Kommunion hinzutritt, dann gilt für mich: Die Kommunionbank ist weder ein Richtstuhl noch ist sie die Disputierbank für Dogmatiker. Denn die Gemeinschaft mit Gott schenkt er jedem Menschen selber.“ Nachdenklich stimmte es auch viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer, als Monika Albert, Originalantworten persönlich Betroffener aus unserer diözesanen Umfrage bei wiederverheirateten Geschiedenen vortrug.
5. So nahm ich vor ein paar Wochen eine „Handreichung für die Seelsorge zur Begleitung von Menschen in Trennung, Scheidung und nach ziviler Wiederverheiratung“ aus dem Seelsorgeamt des Erzbistums Freiburg mit Interesse zur Kenntnis. Ich freue mich darüber, dass eine Ortskirche ihren Seelsorgern bei einem drängenden Problem mit einer Handreichung hilft. Umso mehr enttäuschte es mich, dass das Freiburger Seelsorgeamt sehr schnell Gegenwind aus verschiedenen Richtungen bekam. Fand ich doch in der Handreichung nichts, was im Widerspruch zur Bibel und zur Ehelehre unserer Kirche steht oder was über das hinaus geht, was die oberrheinischen Bischöfe schon vor Jahren erklärten.
6. Jetzt noch ein paar Sätze zu nur zwei Themen, die uns seit der diesjährigen Frühjahrs-Vollversammlung beschäftigten:
Besorgt waren wir über die Negativschlagzeilen zu Vorkommnissen im Priesterseminar Würzburg. Bischof Friedhelm nahm eindeutig dazu Stellung und setzte zusammen mit Erzbischof Schick eine Kommission zur Aufklärung der Vorfälle ein. Ich möchte unserem Bischof in unser aller Namen nochmal für das besonnene und entschiedene Handeln danken, ebenso der Kommission unter dem Vorsitz meines Vorgängers Norbert Baumann für die zügige, umfangreiche und akribische Untersuchung und Bewertung des Ergebnisses. Zusätzlich kündigten Diözese, Fakultät und Priesterseminar an, nicht nur unmittelbar sondern auch perspektivisch an der Verbesserung und Vertiefung des Verhältnisses zu den Juden arbeiten zu wollen. Ich freue mich mitteilen zu können, dass dazu im nächsten Monat eine Kommission zur Neuorientierung der christlichen-jüdischen Aktivitäten im Bistum, in der auch der Diözesanrat vertreten sein wird, ihre Gespräche aufnimmt.
In der Zwischenzeit haben wir auch in das von der Frühjahrs-Vollversammlung beschlossene Dialogpapier alle Änderungswünsche eingearbeitet, es redaktionell fertig gestellt und als Broschüre drucken lassen. Ich kann nur appellieren, die eigenen Beschlüsse ernst zu nehmen, möglichst viele Anregungen aufzugreifen, für sie im jeweiligen Umfeld zu werben und so zur Umsetzung beizutragen. Ich denke, aus dem Studienteil dieser Vollversammlung können wir zusätzlich viele Anregungen mitnehmen. Dann kommen wir auch einem Vermächtnis unseres früheren Bischof Julius Kardinal Döpfner nach, dessen 100. Geburtstag wir im Sommer feierten. Er sagte in seiner Silvesterpredigt 1952: „Wir Seelsorger fürchten nicht euer selbständiges Planen und Wirken, sondern wünschen es aus sehnsüchtigem Herzen. Wir wollen in euch Mitarbeiter sehen, die in eigener, freudiger, selbständiger Verantwortung ihre Aufgabe erkennen.“
Danke für die Aufmerksamkeit und danke auch für die engagierte Mitarbeit im Diözesanrat!
Es gilt das gesprochene Wort!