Liebe Mitbrüder im Bischofs-, Priester- und Diakonenamt,
verehrte liebe Schwestern und Brüder in Christus,
mit dem heutigen Abend sind wir in die dichtesten drei Tage des Kirchenjahres eingetreten: mit der Feier der heiligen Messe vom Letzten Abendmahl, dem Kreuzigungstod Jesu am Karfreitag und dem unbegreiflichen Auferstehungsgeschehen am Ostermorgen verbinden sich die drei heiligen Tage zu einem einzigen.
In diesem Geschehen erschließt sich Gottes Liebe zu uns auf eine fesselnde Weise: Die Feier des Abendmahles öffnet sich in das Geschehen des Erlösungssterbens Jesu am Kreuz und in die Auferstehung hinein – und damit in die Überwindung des Fluches der Sünde, nämlich des Todes. Dieses Geschehen wird aber von uns nicht nur gedanklich aufgerufen, sondern durch die Feier dieser heiligen Tage heilsmächtige Gegenwart, in die er auch uns hineinwandeln will.
Wir sind heute Abend gleichsam im Abendmahlssaal von Jerusalem versammelt, auf dem Felsen Golgotha und am leeren Grab – beide letztgenannten Orte sind in der heutigen Grabeskirche zu Jerusalem.
1. Das Geschehen von der Einsetzung der heiligen Eucharistie im Abendmahlssaal ist ein durch die Geschichte hindurch immer wieder gegenwärtig werdendes Ereignis. Christus hatte das Paschafest gefeiert. Es war ein uraltes Hirtenfest in Israel, das zusammen mit dem Fest der Ungesäuerten Brote die lebendige Erinnerung an den Auszug aus Ägypten wach hielt. Für jede Generation des Volkes Israel wird dieses Ereignis der Befreiung aus der Knechtschaft neu gegenwärtig, wenn das geopferte Lamm gegessen wird.
Christus feierte dieses Fest mit den Aposteln im Abendmahlssaal und führte nun die große Rettungstat Gottes an seinem Volke, die auch wir noch heute in den Lesungen der Osternacht aufrufen, in seine Heilstat der Erlösung über.
Er gebrauchte die Worte: „Das ist mein Fleisch – das ist mein Blut. Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Bewusst bindet er dieses Vermächtnis in das bei den Jüngern vorhandene Verständnis von dem gegenwärtigen Heilshandeln Gottes in der Passahfeier. ER ist jetzt das Lamm, das geschlachtet wird und sich für uns opfert. „Jesus ist das wahre Osterlamm, das sich selbst freiwillig als Opfer für uns dargebracht und so den neuen und ewigen Bund verwirklicht hat.“ schreibt unser Heiliger Vater in seinem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Sacramentum Caritatis (9). Und er fährt fort: „Die Eucharistie enthält in sich diese radikale Neuheit, die uns in jeder Messfeier neu dargeboten wird.“
2. So bindet Jesus schon in das Abendmahlsgeschehen den Kreuzestod des kommenden Tages: Er nimmt gleichsam sein Sterben am Kreuz vorweg, wenn er sagt: „Nehmet und esset alle davon: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.“ Und: „Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ Wenn er aber schon am Vorabend seines Sterbens dieses Heilsgeschehen vorwegnehmen kann, wie sollten wir dann nicht seinem Auftrag gemäß „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ dieses nicht auch später tun können und dürfen?
Der Tisch des Abendmahlssaales zieht sich durch die zwei Jahrtausende bis in unseren Dom und in jede unserer Kirchen, in der dieses heilige Geheimnis gefeiert wird.
Christus verschenkt sich an uns in den eucharistischen Gaben von Brot und Wein, die wahrhaft und wirklich sein Leib und sein Blut werden. Sie sind damit die kostbarste Gabe seiner Lebens- und Liebeshingabe an uns. Sie sind das bleibende Geschenk seiner liebenden Gegenwart.
3. Die Hingabe Jesu bis zu seinem Tod am Kreuz zeigt sich auch und vor allem bei der Fußwaschung im Abendmahlssaal. Sie ist schon Vorausnahme und Veranschaulichung dessen, was am Kreuz geschah. Jesus macht damit die Liebe zum Lebensgesetz der Kirche. Wenn heute Abend hier im Dom, wie in vielen Kirchen weltweit, die Fußwaschung stattfindet, dann als sichtbares Zeichen einer Demutshaltung, die wir konsequent aus dem Abendmahlsgeschehen erhalten und in unserem Alltag umsetzen sollen.
Jesus verhielt sich wie ein Diener. Er verrichtete gleichsam Sklavenarbeit, als er das Gewand ablegte, sich mit einem Leinentuch umgürtete und den Jüngern die Füße wusch (vgl. Joh 13,1-15). Kein Wunder, dass Petrus sich zunächst wehrte: „Du, Herr, willst mir die Füße waschen?“ (Joh 13,6) Der Herr dem Diener? Aber genau das ist es, was Jesus deutlich machen wollte: Wer bei uns der Höchste sein will, der sei der Diener aller (vgl. Mk 9,34). Bei Gott ist die weltliche Ordnung auf den Kopf gestellt: Der wirklich Erste muss freiwillig der Letzte sein. Wie schwer dies zu realisieren ist, wissen wir alle.
Jesus macht es überdeutlich, wenn er sagt: „ Die Könige herrschen über ihre Völker, und die Mächtigen lassen sich Wohltäter nennen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern der Größte unter euch soll werden wie der Kleinste, und der Führende soll werden wie der Dienende.“ (Lk 22,25f.)
Möge uns dies aus der Verehrung und dem Empfang der heiligen Eucharistie möglich werden!
Amen.