Liebe Schwestern und Brüder,
In den letzten Wochen wurden wir durch Nachrichten aufgeschreckt, die viele von uns zutiefst erschütterten:
Da wurde von fünf getöteten Jungen aus dem schleswig-holsteinischen Darry berichtet. Eine psychisch kranke 31-jährige Mutter hatte ihre fünf Söhne Justin, Jonas, Ronan, Liam und Aidan getötet. Das jüngste Opfer war drei Jahre, das älteste neun.
Unter der Überschrift „Geboren, gequält, gestorben“ berichtete am 10. Dezember 2007 eine große Deutsche Tageszeitung unter anderem von einem sechzehn Monate alten Kind, das in einem Kinderbett „an Händen und Füßen ans Gitter gefesselt“ in Berlin von der Polizei entdeckt wurde. (FAZ, 10.12.07, S. 40).
Über solche Einzelmeldungen erhält das grausame Geschehen in unserer Gesellschaft ein Gesicht. Wir werden nicht nur mit Zahlen und blanken Feststellungen konfrontiert, sondern mit ganz konkreten einzelnen Kinderschicksalen.
Die Schreckensnachrichten häufen sich. Unverständnis und Hilflosigkeit über soviel Grausamkeit in der engsten Familie machen uns sprachlos.
Daneben ist in den vergangenen Wochen auch viel über Schwangerschaft im hohen Alter diskutiert worden. Die ganze Problematik eines Kinderwunsches, der sich über alle natürlichen Voraussetzungen hinwegsetzt, nicht das Wohl und Wehe des Kindes sondern die eigene Wunscherfüllung im Auge hat, ist deutlich geworden.
Man scheut sich nicht einmal davor, die Aufspaltung einer genetischen und biologischen Mutterschaft vorzunehmen. Wenn aber nicht einmal mehr die Mutter Sicherheit für den eigenen Lebensgrund bietet, wer dann noch?
Dabei ist jedes Kind ein so unglaublich kostbares Geschenk, dass wir im Blick auf das Jesuskind unserer Verantwortung vor jedem einzelnen Kind bewusst werden müssten.
Wer wird uns da anvertraut? Ein eigenständiger Mensch, ein Ebenbild Gottes, ein Wunder unserer Liebe, das vom Mutterleib an in enger Verbindung, in engem Kontakt mit der Mutter, in Beziehung zu Menschen steht. Haben wir das Recht, diese enge und notwendig menschliche Beziehung, die auch Gott in seiner Menschwerdung erlebt und durchlebt hat, künstlich zu beeinflussen?
In dieser Heiligen Nacht denken wir an die Geburt des Kindes von Bethlehem. Von der Gesellschaft ausgegrenzt, kommt dieses göttliche Kind in einem Stall oder einer Höhle zur Welt. Aber dieses Kind wird von der Mutter mit größter Liebe erwartet und geboren. Wenn es auch, wie das heutige Evangelium beschreibt, in eine Krippe gelegt wurde, weil in der Herberge kein Platz für die Heilige Familie war (vgl. Lk 2,7), so ist doch die Liebe Mariens und Josephs der Schutzmantel, der dieses Wunder der Geburt umfängt.
Liebe Schwestern und Brüder,
Gott macht sich auf den Weg zu uns. Er schaut nicht nur auf die Dunkelheit der Welt, die uns immer wieder über solche tragischen Vorfälle von Kindesmisshandlung und -tötung schmerzlich bewusst wird. Er greift ein. Er wird selbst ein Mensch, ein Kind, das sich uns ausliefert und die Schattenseiten des Lebens am eigenen Leibe erduldet.
Mit diesem unerhörten Geschenk Gottes richtig umzugehen heißt auch, jedes Kind dankbar anzunehmen, ihm Liebe zu schenken und ein Leben in Würde zu ermöglichen. Weil Gott nicht nur Mensch, sondern Kind geworden ist, sind wir als Christen dazu verpflichtet, für die Würde des Kindes einzustehen.
Novalis sagte: „Ein Kind ist eine sichtbar gewordene Liebe.“
Und ein arabisches Sprichwort besagt: „Kinder sind Flügel des Menschen.“
Hat nicht auch der Recht, der sagt:„ Jedes Kind ist ein Lächeln Gottes in unserer Zeit.“
Im Frühjahr 2007 hatten wir in Würzburg die große SMS-Aktion „Kinder bringen Farbe ins Leben.“ Unter anderem wurden Sätze verschickt, die sehr zum Nachdenken anregen. So zum Beispiel: „Kinder sind Engel ohne Flügel.“ – „Sie sind eine Brücke zum Himmel.“ – „Sie wecken Sehnsüchte.“ Oder: „Kinder bringen Farbe ins Leben, weil jedes Kind ein Beweis dafür ist, dass Gott diese Welt nicht vergessen hat.“
Vielleicht sind wir für diese Botschaft wieder aufgeschlossener. Vor wenigen Tagen war in den Medien zu lesen, dass zum ersten Male seit 1997 in Deutschland wieder ein leichter Anstieg der Geburtenzahlen zu verzeichnen ist. (Vgl. FAZ, 12.12.07)
Es gilt aber eben auch im Leben der Kinder diese Botschaft ernst zu nehmen und für die Rechte und die Würde der Kinder einzutreten. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Aufgabe des Staates oder der Gesellschaft. Wir sind gefordert, auch in unserem direkten Umfeld auf die Würde der Kinder zu achten; dort aufmerksam zu sein, wo Eltern mit ihren Kindern oder ihrem Leben insgesamt überfordert erscheinen.
Oftmals geht es ja nur darum, rechtzeitig Hilfe zu geben oder auch kompetente Hilfe zu holen und manches erschütternde Drama ist zu verhindern.
Denn mit der Geburt des Kindes von Bethlehem taucht der unsichtbare Gott in unsere sichtbare Geschichte ein. Der ewige, allmächtige, unfassbare Gott nimmt Fleisch an. Er wird in Jesus Christus sichtbar, hörbar, anfassbar, verwundbar.
Das ’Licht der Welt’ – wie wir Jesus nennen dürfen – erhellt unser Lebensdunkel durch sein Kommen. Jetzt beginnt die Zeitenwende. Wir schreiben unsere Weltgeschichte mit der Menschwerdung Gottes neu. Wir schauen auf das vor Christi Geburt und auf das nach Christi Geburt.
Der Engel auf den Fluren Bethlehems verkündete den Hirten: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr.“ (Lk 2,10f.)
Das ist die Frohe Botschaft dieser Heiligen Nacht: Gottes Sohn wird Mensch, um uns aus der Verfangenheit in Sünde und Tod zu erlösen und in das Licht der Liebe Gottes zurückzuholen. Mit ihm brauchen wir nicht vor den Dunkelheiten und Brutalitäten unseres Lebens zu resignieren. Mit ihm können wir die Welt verändern. Durch ihn wissen wir um unsere Hoffnung auf das ewige Leben.
Jetzt kommt es darauf an, diese Botschaft an sich heran zu lassen, aus ihr heraus zu leben und das Leben im eigenen Umfeld zu gestalten – Auftreten und Einstehen für die Rechte und die Würde der Kinder. Christus will die Welt auch durch uns verändern. Er baut auf unsere Einsicht, unseren guten Willen, unsere antwortende Liebe. Deshalb jubilierten die Engel oberhalb der Hirten und deshalb dürfen auch wir mit ihnen jubeln: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.“ (Lk 2,14)
… Friede bei den Menschen seiner Gnade.
Amen.