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„Recht auf Kultur – Pflicht zur Kultur“

Kirchliches Kultur-Engagement zwischen Martyria, Leiturgia und Diakonia – Vortrag von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann beim Studientag „Kirche und Kultur“ im Rahmen der Herbst-Vollversammlung 2006 der Deutschen Bischofskonferenz

Liebe Mitbrüder,

unser Glaube ist Teil einer Offenbarungsreligion, die im lateinischen Wort für Offenbaren „Revelatio“ das Enthüllen in sich trägt. Es wird eine Wirklichkeit berührt, die sich dem cognitiven Verstehen nicht durch analysierenden Verstand erschließt, sondern eher durch Bilder, die im Vorgang des Verhüllens zugleich enthüllen.

So war schon im Alten Bund die Thora, das von Gott geoffenbarte Gesetzbuch, hinter einem Vorhang verborgen. Und noch heute werden die Schriftrollen in Tücher gewickelt, dem Thoramantel. In der Abgrenzung zu den polytheistischen Religionen hat das Judentum die Gottespräsenz im Kultbild abgelehnt und mit guten Gründen das Bilderverbot ausgesprochen, damit nicht anstelle Gottes menschliche Idole traten.

Mit der Menschwerdung Jesu Christi ist der praeexistente Logos in unsere Geschichte eingetreten und hat Fleisch angenommen. Christus als „Bild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15) ist durch seine Menschwerdung darstellbar geworden. Das Konzil von Ephesus (431) hat mit dieser Begründung einen Schlussstrich unter den frühen Bilderstreit gezogen.

Dennoch: Auch wir Christen bewahren den in der eucharistischen Speise gegenwärtigen Herrn hinter einem Vorhang im Tabernakel auf. Das Verhüllen wird hier gleichsam zu einer symbolischen Tür, durch die wir uns Gott annähern. Das geschieht insgesamt auch durch unsere Kirchen, die als „Haus Gottes und Pforte des Himmels“ durch beeindruckende Architektur und künstlerische Ausgestaltung den Raum für die Begegnung mit Gott bereiten wollen.

Die vergleichende Religionswissenschaft hat uns ebenso wie die Ethnologie darüber belehrt, wie wichtig musisch-ästhetische Ausdrucksformen für die religiöse Anthropologie sind. Sie gehören schlechthin zum Menschen. Kirche und Theologie können es sich nicht leisten, die expressiven Anteile des menschlichen Bewusstseins nur insofern zum Vorschein zu bringen, als sie eins-zu-eins in Sprache übersetzbar sind. Jedes Kunstwerk ist in gewisser Weise ein Spiegel, durch den wir bereits jetzt in rätselhaften Umrissen sehen, was wir einst von Angesicht zu Angesicht schauen sollen . Somit können die Ausdrucksformen Musik, Architektur, bildende und darstellende Kunst uneigentliche wie angemessene Formen des Redens über Gott sein. Die Theologie kann mithin keinesfalls darauf verzichten, sich einen Sprachgewinn durch das Kunstwerk hindurch zu erarbeiten. Auch wenn es provokativ klingen mag, wage ich doch zu sagen: Ohne das Potential der musisch-ästhetischen Fremdprophetie sind unsere drei kirchlichen Grundvollzüge Martyria, Diakonia und Leiturgia nicht mehr in vollem und ursprünglichen Sinne zukunftsfähig. Ich will dies erläutern und beginne mit der

Martyria:

In unserer Gesellschaft gibt es immer mehr Menschen, denen jede Kenntnis über die Systematik und Semantik der christlichen Glaubensüberlieferung fehlt. Mithin stößt heute unsere traditionelle Pastoral oft genug an ihre Grenzen. Bevor man Glauben missionarisch vermitteln kann, muss man ihn erst einmal kulturell kommunikabel machen. Dort aber, wo Schrift und Wort hermeneutisch nur noch schwer vermittelbar sind, kann ästhetische Kommunikation große Chancen öffnen.

Ästhetik hat heute Hochkonjunktur. Mehrere Untersuchungen der Sozialforschung weisen nach, dass die Menschen ihre Lebensvollzüge immer weniger nach sozioökonomischen Koordinaten als vielmehr nach ästhetischen Parametern inszenieren. Die aktuelle Studie „Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus“ weist dies auch in Bezug auf die Kirche nach. In der Zusammenfassung der Studie wird (Zitat) „deutlich, dass von Bewunderung oder gar Ehrfurcht vor der katholischen Kirche heute keine Rede sein kann. Bewundert werden allerdings die lange Geschichte, die großartigen Kathedralen und der ganze hochkulturelle Fundus der Kirche.“ (Zitatende). Die Kirche wird – so die Studie – von außen immer weniger über ihre traditionellen Vollzüge wie Katechese, Liturgie und Gemeindeleben wahrgenommen, sondern zunehmend über ihre kulturell-ästhetischen, musischen Komponente. Dieses Ergebnis mag zunächst wenig erbaulich klingen. Bei rechter Überlegung besteht aber auch Anlass zu Optimismus. „Den Juden bin ich ein Jude geworden…“ sagt der Apostel Paulus . Vielleicht hätte er heute hinzugefügt: „Den ästhetisch Sensiblen bin ich ein Kulturschaffender geworden.“ Wir sollten uns nicht scheuen, auch diesen Schritt zu tun. Unser zweitausendjähriges kulturelles Erbe gibt uns die Schubkraft dazu.

Aber, so könnte man skeptisch einwenden, ist die Beschäftigung mit Kunst und Kultur nicht Luxus einer kleinen Elite? Dem ist nicht so, wie die aktuellen Entwicklungen belegen: Das Interesse an zeitgenössischer Kunst in all seinen Facetten wächst. Die Museen haben verstärkten Zuspruch. Ja, es scheint so, als ob sogar der heutige Museumsbau den Kathedralbau ablöst. Auch die Sinus-Studie belegt, dass eine deutlich gesteigerte Nachfrage nach anspruchsvollen kulturellen Angeboten festzustellen ist. Zweifellos haben die Terrorismuskrise, die unerfüllten Hoffnungen in neue Wirtschaftsformen, der PISA-Schock, der drohende Konflikt der Kulturen und das daraus resultierende Interesse an einer identitätsstiftenden „Leitkultur“ hierfür den Nährboden bereitet. So wird im Vergleich zu den 1980er Jahren heute als Grund für den Besuch einer Kunstausstellung viel häufiger angegeben: „Bilder regen zum Nachdenken an“. Manifestiert sich hierin möglicherweise – wenngleich noch recht zaghaft – ein Wandel von der Erlebnisgesellschaft zur Sinngesellschaft? Zumindest zeigt sich mancherorts, dass die musisch-ästhetische Kultur zunehmend wieder als ein Medium gewertet wird, durch die tiefere Erfahrung von Sinn und Orientierung erreicht werden kann. Dass ich damit keiner eigenen Wunschprojektion anhänge, sondern einen realen Trend beschreibe, soll folgender Blick auf den jüngeren Kultursektor belegen:

  • 2004 „Die Bibel – eine Sinnsuche“ – Schauspiel von Bruno Cathomas am Maxim Gorki Theater Berlin
  • 2004 „Die zehn Gebote. Politik – Moral – Gesellschaft“ – internationale Kunstausstellung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden
  • 2005 Uraufführung des Schauspiels „Der Bus“ von Lukas Bärfus am Thalia Theater Hamburg – das Stück beschreibt eine Wallfahrt nach Tschenstochau
  • 2005 „Maria, Mirjam, Marjam – ein Bilderstreit über das Weibliche und das Heilige“, Ausstellung der Staatlichen Museen zu Berlin
  • 2006 „Rethinking spirituality – Spiritualität neu erdenken“ – Kulturkongress der Kunsthalle Schirn und der Messe Frankfurt am Main.

Diese Liste könnte leicht verlängert werden. Es sind Angebote, die weder auf Anregung noch mit Unterstützung der Kirche durchgeführt wurden. Das Bemerkenswerte daran ist: Hier kristallisiert sich aus freien Stücken eine explizit religiöse Kulturszene heraus. Hunderttausende kulturbeflissene Menschen setzen sich auf hohem Reflexionsniveau begeistert mit Religion und Spiritualität auseinander. Es wäre eine vertane Chance für unsere Kirche, bei diesen Aktivitäten nicht präsent zu sein. Die Zeit des ehemals kirchendistanzierten Haugouts der autonomen Kulturszene ist längst vorbei. Im Gegenteil, es wird regelrecht bedauert, wenn wir uns nicht einmischen. So geschehen vor wenigen Monaten beim Kulturkongress der Schirn-Kunsthalle, wo eine große deutsche Zeitung anschließend schrieb: “Weil die Innenperspektive der Theologen fehlte, redete man zwar über Religion, aber nicht mit den Religiösen. Das konnte nicht gut gehen.“ Ist es nicht auch unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass es gut geht?

Gemäß der Sendung Jesu, „in alle Welt, bis an die Grenzen der Erde“ zu gehen, ist uns – auf die skizzierte Situation übertragen – aufgetragen, auch überall dorthin zu gehen, wo sich die Welt ästhetisch artikuliert. „Die Kirche braucht die Kunst“, sagte Papst Johannes Paul II. in seiner berühmten Rede vor den Journalisten und Künstlern 1980 im Münchener Herkulessaal. Wenn heute in der zeitgenössischen Kunst immer wieder Sujets wie „Anfang und Tod“, „Schmerz und Erlösung“, „Hoffnung und Verzweiflung“, „Identität und Endlichkeit“ thematisiert werden, dann sollte dies von der Kirche dialogisch aufgegriffen werden. Voraussetzung für jeden echten Dialog aber ist, dass sich die Dialogpartner auf Augenhöhe begegnen. In dem von Papst Paul VI. beklagten „Bruch zwischen Evangelium und Kultur“

lässt sich das Drama der Entfremdung erahnen. Dabei war die Kirche bis in das 19. Jahrhundert Heimat der Künstler und die Kirche selbst Mäzenatin bedeutendster Kunst-Exponenten. (Man nehme nur alle Kirchen, Klöster, christlich begründete und geförderte Schulen und Universitäten aus Europa weg – was bleibt?) Ein gewichtiger Schritt zur Versöhnung nach fast 100 Jahren war zweifellos die berühmte Vergebungsbitte Papst Pauls VI. vor den römischen Künstlern 1964 (Zitat): „Wir erkennen an, dass wir Euch Leid zugefügt haben (…) Wir haben Euch oft mit Lasten beschwert … Verzeiht uns!“

Von Papst Paul VI. haben wir gelernt: Wer die Menschen, denen er dient, ernst nimmt, darf sie nicht unterfordern. Auch künstlerisch-ästhetisch nicht. Wesentlich ihm haben wir es zu verdanken, dass die katholische Kirche wieder an das Niveau ihrer hervorragenden künstlerischen Zeugnisse angeknüpft hat - gerade auch hier in Deutschland. Wenn heute Maler wie Gerhard Richter, Markus Lüpertz und Sigmar Polke Fenster für Kirchen gestalten, der Architekt Meinhard von Gerkan für die Expo den Christus-Pavillon und Peter Zumthor das neue Diözesanmuseum in Köln errichten, die Schriftstellerin Gabriele Wohmann Lesungen an katholischen Akademien hält und Arvo Pärt für unsere diesjährige Herbstvollversammlung ein „Veni Creator“ komponiert, dann tut sich hier eine Dialogforum mit Kulturschaffenden auf, die alles andere als Kirchenkünstler sind. Dennoch laden wir gerade diese so genannten „autonomen“ Vertreter der Gegenwartskunst zum Austausch ein, weil wir ihre Werke – um abermals mit Papst Johannes Paul II. zu sprechen – als „Stimme der universalen Erlösungserwartung“ begreifen. In der verantwortungsvollen Auseinandersetzung mit den Künsten stellt sich die Kirche mitten in die Gesellschaft. Hier diskutiert sie, was die Menschen heute bewegt, und gibt selbst Zeugnis von ihrer eigenen Sendung, Weggemeinschaft und Ziel. In der damit gegebenen Reflexion ihrer eigenen Botschaft kann sie umso deutlicher einen Beitrag zur Neu-Evangelisierung leisten, der vom Geist einer Kultur aus christlichen Wurzeln und aktueller Ausprägung getragen ist.

Damit komme ich von der Martyria zum zweiten großen Grundauftrag der Kirche: Zur

Diakonia.

Das Zweite Vatikanische Konzil reklamiert in „Gaudium et spes“ ausdrücklich ein „Recht auf Kultur“ . Zwar ist die Kulturteilhabe an anspruchsvollen musisch-ästhetischen Angeboten seit dem Jahr 1890 um ca. 400 % gestiegen. Aber immer noch kann nur die Hälfte der Bevölkerung aus verschiedenen Gründen an kulturellen Angeboten teilnehmen. Daher ruft das „Kompendium der Soziallehre der Kirche“ des Päpstlichen Rates Justitia et Pax die konziliare Forderung erneut in Erinnerung, dass Beteiligung nicht auf die Arbeitswelt und Volkswirtschaft beschränkt werden darf, sondern erst in ihrer Ausweitung auf die Gesamtkultur zu nachhaltiger sozialer Gerechtigkeit und Integration führt.

In Deutschland wurde seitens der Kirche der Aufruf von „Gaudium et spes“ konsequent in die Tat umgesetzt. Vor allem im ländlichen Raum stellt unsere Kulturarbeit eine der ganz wenigen Möglichkeiten dar, aktiv am kulturellen Leben teilzunehmen: Die Arbeit der katholischen Büchereien, der Erwachsenenbildungseinrichtungen, der vielfältigen kulturellen Veranstaltungen ist unspektakuläre, pragmatische Kulturdiakonie, die aber dankbar von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Hier sind auch überall große Zuwächse zu verzeichnen. Das gilt für Kinder- und Jugendchöre ebenso wie für Büchereien und andere Kulturangebote. Dies ist nur aufgrund des hohen ehrenamtlichen Engagements möglich. Der hohe ehrenamtliche Anteil macht es übrigens auch möglich, die Teilnehmerbeiträge unserer kirchlichen Kulturangebote um ein vielfaches günstiger zu halten als im säkularen Bereich. Oft ist der Eintritt sogar kostenlos. Auch das ist unmittelbar spürbare Kultur-Diakonie!

Das schon erwähnte Gutachten der Kultur-Enquete des Bundestages errechnet für die ehrenamtliche Arbeitsleistung im kirchlichen Kulturbereich eine virtuelle Wertschöpfung in Höhe von 4,16 Mrd. Euro pro Jahr. Aber das Ehrenamt steht und fällt mit der Existenz hauptamtlich geleiteter, die Ehrenamtlichen zur Mitarbeit befähigenden, Kräfte. Diese auf bewährte Komplementarität setzende Personaldecke wird sich in Zukunft auszahlen. So ist z.B. das kirchliche Musizieren oft – neben der Ministrantenarbeit – das einzige Scharnier zur wachsenden Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die religiös nicht mehr sozialisiert sind.

Wenn wir vom „Recht auf Kultur“ sprechen, dann leitet sich daraus für uns Christen auch eine „Pflicht zur Kultur“ ab. Gerade die Betätigung in den aktiven Feldern der Kultur, die das nichtkommerzielle Humanum, das „Übernützliche“ – wie es Thomas Mann einmal genannt hat – im Blick hat, ist zu schützen und zu fördern. Die Kultur der Zukunft ist auf die Erhaltung nicht oekonomisch verzweckter Freiräume angewiesen, in der kulturell erlebbare persönlichkeitsfördernde Höhepunkte auch ihren sozialen Stellenwert behalten. Kunst und Kultur gehen aus einer gesteigerten Aufmerksamkeit in der Wahrnehmung von Wirklichkeit hervor, so wie unser Glaube dem Ist-Zustand ein kontrafaktisches „Noch nicht“ entgegensetzt und den Blick für jene Bereiche schärft, die sonst leicht übersehen oder missachtet werden.

Wir tun gut daran, uns heute mit jenen Strömungen des Kunstschaffens zu befassen, die sich eingespielten Konventionen und missbräuchlicher Medialisierung der Lebenswelten widersetzen. Im Umkehrschluss heißt das, jenen Kulturformen zu wehren, die sich als unmenschlich oder mit dem christlichen Ethos als nicht vereinbar erweisen. In diesem Sinne bringen auch unsere Gremien in der katholischen Filmbewertung und im Jugendmedienschutz einen wichtigen kulturdiakonischen Beitrag.

Die Trias kirchlicher Grundaufträge komplettiert die

Leiturgia.

Ihr wird sich heute noch eine eigene Arbeitsgruppe widmen. Deshalb bringe ich nur einige Gedanken ein:

Das innerste Wesen sakraler Kunst bringt wie kaum ein anderer der jetzige Papst Benedikt XVI. als Kardinal Ratzinger in seinem Büchlein „Der Geist der Liturgie“ auf den Punkt. Die beiden einschlägigen Kapitel sind so etwas wie ein Kompendium sakraler Kunst. Ich greife nur ein Zitat heraus: „Die Bilder des Schönen, in denen sich das Geheimnis des unsichtbaren Gottes versichtbart, gehören zum christlichen Kult“. (Zitatende) Schönheit ist für Papst Benedikt nicht das Gefällige, dem Harmoniebedürfnis Schmeichelnde. Sondern er meint die Authentizität der Kunst, insofern sie ein implizites Wissen um die letzten Fragen verkörpert. „Schön“ ist demnach nicht das, was ankommt, sondern das, worauf es ankommt. Dieser Gedanke wird in dem Abschluss-Dokument der diesjährigen Plenarversammlung des Päpstlichen Kulturrates entfaltet, die unter dem Titel stand: „Die Via pulchritudinis – Schönheit als Weg für Evangelisation und Dialog“. Dort wird auf den ethischen Impetus der Schönheit verwiesen: Wenn mich die qualitative Güte eines Kunstwerks durch dessen Unbedingtheit, Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit im Innersten ergreift, dann kann ich gar nicht anders, als mich der Wahrheit meiner eigenen Berufung vor Gott zu stellen. Die Schönheit der Kunst weckt in mir plötzlich das Bedürfnis, meine Vollzüge, Beziehungen gut und heil werden zu lassen. Rainer Maria Rilke schrieb in seinem Gedicht über den archaischen Torso: „Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht: Du musst dein Leben ändern!“ Hier berühren sich die Kunst und der liturgische, insbesondere eucharistische Heilsdienst der Kirche. Indem die sakramentale Gegenwart des eucharistischen Opfers uns mit Gott, mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen unüberbietbar versöhnt, drängt sie nach einer Prolongation dieser Versöhnung auch im Medium der Kunst – jener Kunst, die durch ihre Aufrichtigkeit „schön“ ist.

Das Zweite Vaticanum hat im VII. Kapitel der Konstitution über die heilige Liturgie, das der sakralen Kunst, dem liturgischen Gewand und Gerät gewidmet ist, gesagt, dass alle Dinge, die zur Liturgie gehören, (Zitat) „wahrhaft würdig seien, geziemend und schön: Zeichen und Symbol überirdischer Wirklichkeiten.“ Kirchlicher Raum, Ausstattung, sakrale Geräte und Schmuck sollen in ihrer Zeichenhaftigkeit auf den Raum Gottes verweisen, der sich uns im sakramentalen Geschehen erschließt. Aber auch dem Liturgen kommt im Vollzug der Liturgie – zusammen mit Lektoren, Ministranten und Kommunionhelfern - die verantwortungsvolle Aufgabe zu, die sakramentale Realpräsenz mit dieser künstlerischen „Aktualpräsenz“ – um einen Begriff des Theologen Johannes Betz zu verwenden – in fruchtbare Synergie zu bringen. Wenn uns das gelingt, verwirklichen wir die wahre „Ars celebrandi“.

Ich komme zur Zusammenfassung und zum Ausblick: Der entscheidende Ansatzpunkt für ein Kultur-Engagement aus den Wurzeln von Martyria, Leiturgia und Diakonia ist das entsprechende Wirken des Klerus und der kirchlichen Mitarbeiter. In unserer Arbeitshilfe „Kunst und Kultur in der theologischen Aus- und Fortbildung“ von 1993 ist manches von dem gerade Gesagten antizipiert. Es ist mehr als wünschenswert, die Empfehlungen dieser Leitlinie vor allem in der Priesterausbildung – mehr als bisher – zu rezipieren und umzusetzen. Denn die Priester von heute und morgen wirken in einer ästhetisch sensiblen Zeit und müssen deshalb selbst ästhetisches Qualitätsbewusstsein entwickeln. Dazu ein aktuelles Zitat des Malers Markus Lüpertz: „Gerade die katholische Kirche lebt von ihrer Himmelsnähe. Und diese Nähe müssen wir schaffen über die Kunstwerke, über die Qualität der Kunstwerke. Es geht schließlich um die Sichtbarmachung Gottes (…) Es gibt auch Kirchen in einem kulturell verheerenden Zustand, mit Kunststoffvasen, dürftig arrangierter Blumendeko und irgendeinem schlecht gemalten Dritte-Welt-Plakat. Das ist dann erschreckend. Die Verantwortlichen stehen in Räumen von allergrößter Schönheit und stellen dann Sachen rein oder hängen Fotos an die Wände, die jegliche Ästhetik zerstören. Solche Räume brauchen Sorgfalt.“

Die kirchliche Befassung mit Kunst und Kultur zeigt, dass es zu neuen Einsichten kommen kann, die die Theologie nicht nur ornamental umspielen, sondern zu Auseinandersetzungen und gar Konfrontationen führen können. Diese Herausforderung ist aber ebenso spannend wie bereichernd. Wir sollten uns ihr keineswegs entziehen.

(213 Zeilen/4006/1321)