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Riemenschneider-Details zum Ertasten

Zugänge zur Kunst im Museum am Dom auch für Blinde und Sehbehinderte – Vorbildliche Kooperation: Würzburger Studenten arbeiten für und mit Inklusionsklasse der Graf-zu-Bentheim-Schule

Würzburg (POW) Für Sehende ist das Gemälde „Anbetung der Könige“ im Würzburger Museum am Dom ein echter Blickfang: knallige Farben auf dunklem Hintergrund, großes Format, die Personen und Gegenstände durch Plastiktüten verfremdet. Doch wie lassen sich Gemälde und Plastiken für sehbehinderte und blinde Schüler verständlich machen? Wie können auch diese Zugang zu diesen Werken bekommen? Kreative Antworten haben Studenten der Museologie und der Sonderpädagogik an der Universität Würzburg mit ihrer Dozentin Simone Doll-Gerstendörfer von der Professur für Museologie entwickelt und diese gemeinsam mit Schülern der Würzburger Graf-zu-Bentheim-Schule am Donnerstag, 22. Januar, präsentiert. Die Inklusionsschulklasse gab den Studenten bei dem Projekt immer wieder Rückmeldungen, was die speziellen Bedürfnisse angeht.

Für Kunstreferent Domkapitular Dr. Jürgen Lenssen ist diese Zusammenarbeit nur die konsequente Fortführung des bereits vor zwei Jahren erstellten speziellen Blindenführerhefts, das es zum Museum am Dom gibt. „Bei der Inklusion geht es nicht zuletzt um den Respekt vor den Menschen und der Kunst“, sagte Lenssen. Nicht umsonst gehöre es in allen großen Museen Deutschlands inzwischen zum Selbstverständlichen, spezielle Angebote für Gehörlose, Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Migranten mit geringen Deutschkenntnissen zu machen.

Für die „Anbetung der Könige“ zum Beispiel haben die angehenden Museologinnen Andrea Breul (20) und Julia Berzen (21) zunächst die Tiefenstaffelung der Figuren untersucht und dann aus Karton die jeweiligen Umrisse so ausgeschnitten, wie sie sich darstellten, wären sie nicht durch Figuren davor verdeckt. Unterschiedlich strukturierte Oberflächen helfen den Blinden und Sehbehinderten dabei, durch Ertasten die einzelnen Objekte zu unterscheiden. Drei Kästchen mit Weihrauch, Myrre und Messingklümpchen laden dazu ein, die Gaben der Könige mit den Sinnen zu erleben. „Es war für uns wichtig, immer wieder direkt die Meinung der Zielgruppe zu hören. So haben wir die Umsetzung optimieren können“, berichteten die beiden Studentinnen.

„Man kann die beiden Gesichter gut ertasten“, sagte Patryck (13), der von Geburt an blind ist. Vorsichtig lässt er seine Fingerkuppen über die Pietà von Käthe Kollwitz gleiten. Von dieser Bronzefigur hat Michael Tscherner vom Rechenzentrum der Universität Würzburg gemeinsam mit zwei seiner Kollegen ein 3D-Modell aus Kunststoff erstellt. Ebenso von Tilman Riemenschneiders etwa zwei Meter großer Sandsteinskulptur des heiligen Jakobus. Während die Pietà noch leicht zugänglich ist, wäre für die meisten blinden Besucher des Museums wohl mit den Füßen des Apostels das Tasterlebnis beendet: Die Figur steht auf einem etwa 1,20 Meter hohen Sockel. Hier ist die kleine Kunststoffkopie eine echte Erleichterung. Entsprechend feinfühlige Finger vorausgesetzt, lassen sich an dieser die Jakobsmuschel auf dem Hut und die für den Würzburger Meister typischen filigranen Locken erspüren. Für besonders Interessierte sind der Kopf und der Oberkörper noch in vergrößerter Detaildarstellung erhältlich. „Das Scannen dauert bei einer Figur dieser Größenordnung nur etwa fünf Minuten, die Nachbearbeitung am PC nimmt etwa 45 Minuten in Anspruch“, berichtete Tscherner. Am längsten dauere der bislang noch vom Drucker in der Größe beschränkte Druck: zirka sieben Stunden. Als Nebenprodukt entstand eine Bilddatei, die sich am Tablet-PC oder bei Bedarf über einen angeschlossenen Beamer nach Belieben um drei Achsen drehen und vergrößern lässt. „Gerade Menschen, die nur eine geringe Restsicht haben, ist das eine große Hilfe“, erklärte der Museologiestudent Willy Gärtner (27).

Damit sich die Schüler ganzheitlich mit Jakobus auseinandersetzen können, hat er gemeinsam mit der Museologiestudentin Luisa Rees (20) und der angehenden Sonderpädagogin Stefanie Hepp (24) neben dem Sandstein, aus dem Riemenschneider sein Werk schuf, noch andere Gesteinsarten zum Betasten zusammengetragen, außerdem verschiedene Muschelarten und unterschiedliche Lederstücke, die an den Pilgerbeutel am Gürtel verweisen. Und sie haben sich noch ein Spiel einfallen lassen: Auf einem Spielplan sind mit Schnüren verschiedene Jakobswege von Deutschland nach Santiago de Compostela dargestellt: der kürzeste Hauptweg mit einer dicken Schnur, die Nebenwege mit dünneren. Wer nach dem Ziehen vom Kartenstapel eine der Fragen richtig beantwortet, darf auf dem Hauptweg ein Feld voranrücken, bei falschen Antworten muss die Spielfigur auf eine Nebenstrecke ziehen.

Marika Schleith, Lehrerin der Inklusionsklasse, zeigte sich von der Zusammenarbeit der verschiedenen Stellen begeistert: „Das war ein tolles Erlebnis, weil die Studenten im Gespräch die ganz unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelnen Schüler kennengelernt haben. Was meinen Schülern auch gefallen hat, war, dass sie zusehen durften, wie der Scan für die Jakobusfigur erstellt wurde.“ „Ich habe richtig viel Neues über Kunst erfahren“, berichtete der 13-jährige Louis, der nur zehn Prozent Sehkraft hat. Vivien (12) hat durch das Projekt Geschmack an den ganz unterschiedlichen Kunstwerken im Museum am Dom gefunden. „Und ich weiß jetzt, was eine Pietà ist: eine Darstellung der Muttergottes mit ihrem toten Sohn in den Armen“, erzählte Maria (14) sichtlich stolz.

Unterstützt von Rene Hupp vom Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM) Würzburg haben Studenten einen kurzen Dokumentationsfilm über das Projekt erstellt. Dieser soll Teil des neuen „Youth City Guide Würzburg“ werden und im Museum über so genannte QR-Codes für Smartphone-Nutzer zugänglich gemacht werden. Die Tastfiguren, die Umrissfiguren und auch das Spiel verbleiben laut Doll-Gerstendörfer im Museum am Dom und werden bei einer Tagung mit dem Titel „Barrierefrei ist mehr als die Rampe am Eingang – Auf dem Weg zum inklusiven Museum“ am 23. und 24. April vorgestellt.

mh (POW)

(0515/0097; E-Mail voraus)

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