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Sag mir, wo die Pilze sind

15. Auflage des Café Blind Date im Kilianeum-Haus der Jugend – „Fokus liegt auf der Sehbehinderung, nicht dem Eventcharakter“ – Abendmenü mit Blindheit als Selbsterfahrung

Würzburg (POW) Ich fühle mich unbehaglich. Die geöffneten Augen suchen ununterbrochen nach einem Anhaltspunkt, nach etwas, woran man sich orientieren könnte. Nach einiger Zeit schließe ich sie einfach. Das Gefühl, diesem weiten, scheinbar leeren Raum in seiner tiefschwarzen Beengtheit ausgesetzt zu sein, ist mir nicht geheuer. Es sind wenige Minuten vergangen seit uns Annette, die als Bedienung mit Sehbehinderung unserer Vierergruppe zugeteilt ist, in einer Polonaise an Tisch eins geführt hat. Ich suche immerzu das Gespräch mit meinen drei Tischnachbarn, um mir Orientierung zu verschaffen. Annette kommt wieder und nimmt die Essensbestellung auf. Mein Körper gewöhnt sich langsam daran, ab nun für eine Stunde nur mit den verbleibenden vier Sinnen Vorlieb zu nehmen. Sobald ich diesen Zustand akzeptiert habe, kann ich mich entspannter und vor allem gespannt auf das Erlebnis einlassen.

„Es kann schon mal vorkommen, dass jemand diese absolute Dunkelheit nicht erträgt. Aber panisch ist noch niemand geworden“, erzählt Klaus Schätzlein, Leiter der Planungsgruppe des Projekts „Café Blind Date“. Seit fünf Jahren ist er fest im Team für das Dunkelcafé. Doch auch vorher hat er sich ehrenamtlich für das Projekt engagiert. „Vor 14 Jahren ist das Ganze aus einer Kooperation zwischen dem Café Dom@in und der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) entstanden.“ Die erste Projektwoche sei auf so große Nachfrage gestoßen, dass sich die Veranstalter eine Erweiterung zu einem Jahresprojekt überlegten. So kann man in einem anderen präparierten Raum des Kilianeums-Haus der Jugend mit Kleingruppen zu Kaffee und Kuchen kommen und einen Nachmittag lang Blindheit erleben.

Ich habe eine Freundin zum Abendessen ins Dunkelcafé mitgenommen. Am hell erleuchteten Eingang zum Café dom@in können wir uns die Speisekarte ansehen. Ich entscheide mich für das Tagesgericht. Wie es wohl ist, im Dunkeln zu bezahlen, frage ich mich, während ich meinen Geldbeutel aus meinem Rucksack hole. Zwei weitere Besucher schließen sich unserer Tischgruppe an. Julia, ehrenamtliche Helferin des Projekts, führt uns in die sogenannte Schleuse. Damit das Dunkelcafé nicht durch plötzlichen Lichteinfall erhellt wird, ist es durch zwei Türen und einen Zwischenraum abgetrennt. In diesem warten wir, bis die Tür zur Außenwelt zufällt. „Alles in Ordnung? Fühlt sich jeder wohl?“, fragt Julia.

Um das Jugendzentrum völlig abzudunkeln, mussten alle Fenster und Türen verdeckt werden. „Vor allen Lichtquellen haben wir meterhohe Spanplatten befestigt, die wir mit jeder Menge dickem, schwarzem Stoff, sogenanntem Molton, und Panzertape umhüllt haben“, erklärt Schätzlein. Zusätzlich habe die Projektgruppe alle Lichtschalter mit schwarzen Pappkartons verkleidet. „Das Küchenteam arbeitet natürlich im Hellen. Der Zugang von dort ins Café musste also auch lichtundurchlässig präpariert werden.“ Da besteht die Lichtschleuse aus in S-Form aufgehängtem Molton.

Hinter der zweiten Tür der Schleuse übergibt Julia uns unserer Bedienung Annette. Wir folgen ihr zu unserem Tisch. Auf dem Boden ist ein Teppich mit spürbaren Markierungen ausgelegt, damit sich die Kellner orientieren können. Am Tisch angekommen, versuche ich mich im Raum zu verorten – vergeblich. Die Stimmen meiner Tischnachbarn nehme ich dafür intensiver wahr. Sie sind jetzt meine Bezugspunkte. Da ich Vegetarierin bin, frage ich Annette, ob ich statt der Putenmedaillons die Pilze, die Teil eines anderen Gerichts sind, bekommen kann. Ich wende meinen Kopf Annette zu und lächele in die Dunkelheit hinein. Doch einzig meine Stimme und meine Worte können transportieren, dass ich meine Bitte freundlich meine.

Als das Essen kommt und ich nach meinem Teller taste, fasse ich direkt in die Bandnudeln mit Soße. Riecht lecker und fühlt sich gut an. Meine erste Gabel landet leer in meinem Mund. Die zweite erwischt etwas – ich führe das Unbekannte zum Mund und werde skeptisch: Ich kann nicht wie sonst über das Gesehene kontrollieren, ob das, was ich esse, tatsächlich kein Fleisch ist. Paniert ist es und innen weich. Nach ein paar zweifelnden Bissen schmecke ich den Pilz und esse beruhigt weiter. Ich versuche, möglichst so zu agieren, als könnte ich alles sehen. Es gelingt mir nicht wirklich. Ich habe keine Ahnung, ob und wo etwas auf dem Teller ist und wie viel. Meinen Tischnachbarn geht es ähnlich und ich führe ganz unkonventionell – mich sieht ja niemand – meinen Kopf Richtung Teller, um die Reste ausfindig zu machen.

„Uns geht es um den Fokus auf die Sehbehinderung und die Blindheit – und nicht um den Eventcharakter. Der Erfahrungsaustausch zwischen den sehbehinderten Mitarbeitern und den Besuchern steht im Mittelpunkt“, sagt Schätzlein. Gemeinsam mit Jasmin Fleischmann, Referentin für Behindertenarbeit bei der DPSG, führt er das Projekt in diesem Jahr in die aktuelle Runde. Eine gewöhnliche Situation in einen völlig ungewöhnlichen Zustand versetzen – das mache das Dunkelcafé zu einem prägenden, intensiven Erlebnis. „Das merkt man daran, dass die Gruppen danach mit viel Redebedarf zurück in die Helligkeit kommen“, erzählt Schätzlein. Zusätzlich zum Dunkelcafé biete das Dom@in-Team ein Rahmenprogramm an, bei dem es in den vergangenen Jahren vielfältige kulturelle Angebote gegeben hat. „Wir haben mal einen Gottesdienst, ein Konzert oder eine Weinprobe im Dunkeln veranstaltet. Auch auf einen Filmabend oder ein Improvisationstheater haben die Besucher sehr positiv reagiert“, sagt der Leiter.

Dann ist Bezahlen angesagt. Ich versuche in der Dunkelheit die richtigen Münzen und Scheine ausfindig zu machen. Die Kanten der Euro-Münzen sind durch Kerben kenntlich gemacht, also barrierefrei. Tatsächlich erkenne ich die richtigen relativ schnell. Zum Glück hat Annette mehr Übung darin. „Ich wurde erst mit Mitte 40 durch eine genetische Erkrankung sehbehindert“, erzählt uns die verheiratete Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Sie engagiere sich seit vier Jahren ehrenamtlich beim Blindencafé. Manfred zum Beispiel sei bereits seit Anfang an dabei. Er arbeite als Klavierstimmer.

Durch die Schleuse treten wir aus der simulierten Blindheit heraus. „Haltet die Augen zunächst geschlossen und blinzelt erstmal nur. Ihr müsst euch nach der Stunde langsam wieder an Licht gewöhnen“, sagt Annette. Die Tür zum Foyer öffnet sich und wir sind wieder sehend. Annette begleitet die nächste Gruppe zum Tisch.

Carolin Hasenauer (POW)

(4317/1160; E-Mail voraus)

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