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„Schmutziges Geschäft“

Von Hand: Eine Million Latrinenreiniger beseitigen in Indien menschliche Exkremente

Vathalagundu (POW) „Wir fühlen uns wie der letzte Dreck“, sagt Mahalakshmi. „Wie der Dreck, den wir wegmachen.“ Sie ist eine von einer Million Latrinenreinigern in Indien, die menschliche Exkremente von Hand beseitigen.

Schemenhaft zeichnen sich die Gestalten im nachtgrauen Morgen ab. Männer und Frauen drängen sich vor der Baracke der Stadtverwaltung, um ihr Arbeitsgerät abzuholen. Bevor es dämmert, soll es sauber sein in Vathalagundu, einer 22 000-Einwohner-Stadt in Südindien.

Mahalakshmi Palanisamis Bezirk liegt nur ein paar Schritte entfernt, mitten in einem Viertel voll übereinandergestapelter Wohnungen, Läden und Hinterzimmerbüros. Als die 30-Jährige die Zinnschüssel mit dem Kehrblech in die Hüfte stemmt, klimpern die Plastikreifen an ihren Armen. Das grobe Gerät ist ihr einziges Hilfsmittel, wenn sie die Fäkalien anderer Leute beseitigt. Kaum ein Haus hier besitzt eine Latrine*, das in ganz Indien übliche Stehklo. Die Menschen benutzen die öffentlichen Toiletten oder verrichten ihre Notdurft im Schutz der Dunkelheit am Straßenrand.

Mahalakshmi kennt die Plätze genau. Bereits nach wenigen Metern ist die erste Stelle erreicht. Wie aufgereiht liegen sie da, die stinkenden Haufen. Mahalakshmi bückt sich und schiebt wortlos einen nach dem anderen in ihre Schüssel. Dann hievt sie das Blechgefäß auf den Kopf, geht zum Abwassergraben am Straßenrand und schüttet ihre stinkende Fracht hinein. Sofort versinkt sie in der brackigen Brühe, auf der ab und zu eine Orangenschale oder ein Plastikfetzen bunte Farbtupfer setzt. „Manchmal steigt der Ekel in mir hoch“, sagt Mahalakshmi. „Jede andere Arbeit wäre mir lieber. Aber wir haben keine Wahl.“

Schon ein Schatten genügt

40 Rupien, weniger als einen Euro, verdient sie am Tag. Für eine Arbeit, für die sie die meisten Inder offen verachten. Latrinenreiniger sind der Abschaum. Selbst in der Gemeinschaft der Dalits, der Kastenlosen oder Unberührbaren, wie sie früher genannt wurden, werden sie gemieden. Schon der Kontakt mit ihrem Schatten genügt, um Angehörige höherer Kasten zu verunreinigen.

Verstohlen hat Schwester Hilaria Soundari ein Stück Sari vor die Nase geschoben. „Es ist sehr schmerzhaft, das zu sehen“, sagt sie. „Es ist entwürdigend.“ Die 37-Jährige ist promovierte Sozialwissenschaftlerin, stammt aus wohlhabender Familie und hätte vermutlich wie ihre Geschwister eine glänzende Karriere machen können. Aber dann schickte ihr Orden sie während der Ausbildung aufs Land. „Wir arbeiteten in den Reisfeldern. Ich fand es furchtbar, wie ich da im Matsch stand.“ Bis sie auf einmal begriff, dass es die niedere Arbeit war, gegen die sie sich so sträubte. „Von da an war für mich klar: Wenn ich etwas tun wollte, dann für die Armen.“

Erste Hoffnungszeichen

Als Schwester Hilaria später nach Vathalagundu kam, sah sie sofort, wer hier am dringendsten Hilfe brauchte. Beharrlich hat sie Kontakt zu den Latrinenreinigern gesucht. Die Leute waren skeptisch. Denn die Ordensfrau ist die Erste, die sich ernsthaft um sie kümmert. Allmählich jedoch hat sie ihr Vertrauen gewonnen und sie überzeugt, sich zu organisieren. Heute gibt es drei Selbsthilfegruppen mit rund 50 Mitgliedern. Alle haben sich verpflichtet, 20 Rupien, etwa 40 Cent, im Monat zu sparen. Aus ihrem Sparfonds können die Scavengers** Kleinkredite füreinander finanzieren und dem ein oder anderen irgendwann die Chance geben, sich mit einem Laden oder einer Teestube selbständig zu machen.

Für Dalits ist das etwas Besonderes. Denn sie stehen außerhalb des streng hierarchischen Kastenwesens, das die Verfassung zwar seit 1951 verbietet, das aber bis heute soziale Stellung, Beruf, Verbote und Privilegien bestimmt. Weil Dalits als unrein gelten, finden sie oft nur als Straßenfeger, Müllsammler oder Kanalreiniger Arbeit.

Mahalakshmi hat inzwischen ihre Schüssel mehrfach gefüllt und den Inhalt auf einen Haufen geleert. Ein städtischer Lastwagen wird später vorbeikommen und ihn abholen. Weiter geht es durch ein Gewimmel von Gassen zur öffentlichen Toilette. Die Stehklos starren vor Dreck, im Hof tanzen Scharen von Fliegen um Reihen übel riechender Exkremente. Das bedeutet mindestens zwei Stunden Arbeit. „Es ist widerlich, die Scheiße von anderen wegzumachen“, klagt Mahalakshmi. „Überall wird dieser Beruf abgeschafft, warum hier nicht?“

Wichtige Selbsthilfegruppe

Um elf Uhr hat sie es geschafft – fürs Erste. Mariappan, ihr Mann, ist schon zu Hause. Auch er ist Latrinenreiniger. „Manchmal gehen wir zusätzlich in Privathäuser und reinigen dort die Toiletten“, erzählen sie zögernd. „Das ist ein kleines Zusatzeinkommen. Und manchmal bekommen wir auch Essensreste von diesen Familien.“ 2000 Rupien, etwa 40 Euro, bringen sie so im Monat zusammen. „Es reicht nicht. Aber es geht irgendwie“, sagt Mahalakshmi. Wenn ihre Töchter eine neue Schuluniform brauchen, müssen sie einen Kredit aufnehmen und mühsam abstottern. Deswegen sind beide froh, dass es die Selbsthilfegruppen gibt. Denn dort sind die Zinsen viel niedriger als bei der Bank. Außerdem gibt ihnen die Gruppe Gelegenheit, sich mit anderen auszutauschen. Hier begegnen sie Menschen, die wie sie ums Überleben kämpfen und um ein wenig Anerkennung. „Mein größter Wunsch ist, dass diese Arbeit mit uns zu Ende geht“, erklärt Mahalakshmi. „Unsere Kinder sollen das niemals machen!“

* Der Begriff Latrine bezeichnet eine sehr einfach gehaltene Toilette.

** Die Scavengers gehören zur Gruppe der Dalits und bilden die unterste Schicht innerhalb der Kastenlosen. Sie verrichten die niedrigsten Arbeiten, z.B. Kanal- und Latrinenreinigen.

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