Münnerstadt (POW) Zwei junge Menschen schleppen eine Trage in einen dunklen, modrigen Keller. An der Tür wartet ein gestresster Polizist. „Ihr seid vom Bestattungshaus?“ Schnellen Schrittes zeigt er den beiden den Raum, in dem ein toter Mann auf einem Stuhl vor einer Werkbank sitzt. Vermutlich ist die Person an einem elektronischen Unfall verstorben. „Wir müssen noch die Sicherung rausnehmen“, erklärt die Bestatterin. „Ihr müsst euch schon ein bisschen beeilen“, entgegnet der Polizist. „Wir machen das so schnell wie nötig“, sagt der Bestatter, lässt sich aber doch dazu hinreißen, den Verstorbenen anzufassen.
„Ihr könnt aufhören. Ihr seid tot“, sagt Volker Winkels, der in Wirklichkeit kein Polizist, sondern Dozent am Bundeszentrum der Bestatter in Münnerstadt (Landkreis Bad Kissingen) ist. Der „Verstorbene“ stand noch unter Strom, aber zum Glück war das nur eine Übung und die „Leiche“ eine Puppe. In Münnerstadt lernen Auszubildende alles, was zum Beruf „Bestattungsfachkraft“ dazugehört. Das fängt mit dem Üben einer Bergung von Verstorbenen an und hört mit dem Ausheben eines Grabes auf. Das Bundesausbildungszentrum der Bestatter ist deutschlandweit einzigartig. Aus Betrieben in ganz Deutschland kommen hier Auszubildende zusammen, um praxisnahe Erfahrungen zu sammeln. Auch Fortbildungen können sie später hier absolvieren oder sich zur Meisterin oder zum Meister weiterqualifizieren.
Weitere Bilder
Winkels lockt seine Auszubildenden nicht in diese Falle, um sie vorzuführen, sondern damit sie etwas lernen, was sie später im Beruf nie mehr vergessen werden. Bei Winkels erfahren die Auszubildenden auch, wie sie Tote hygienisch versorgen. In einem sterilen Raum, der stark nach Desinfektionsmittel riecht, erklärt der Dozent, worauf es dabei ankommt. Der Raum erinnert an einen Obduktionsraum aus einem „Tatort“-Krimi. Auf der metallenen Liege in der Mitte des Raumes sollen Tote versorgt werden. Dabei gilt: „Ohne Schutzkleidung zu arbeiten ist wie mit einer Turnhose Motorrad fahren.“ Wenn die Auszubildenden sich im Beruf um die verstorbenen Menschen kümmern, sollen sie sich keine Krankheiten einfangen. Nun laufen die angehenden Bestatterinnen und Bestatter herum und sammeln Dinge, die für ihre Arbeit wichtig sind. Auf einem Rollwagen stapeln sich zum Beispiel Desinfektionsmittel, Shampoo, Rasierschaum und ein Kamm. Winkels bereitet seinen Kurs auch auf den Fall vor, dass Verstorbene zum Beispiel durch einen Unfall entstellt wurden. Mit Naht- und Schminktechniken lernen die Auszubildenden, wie sie Verstorbenen wieder ein würdiges Aussehen verleihen. Dabei sei es wichtig, durchblicken zu lassen, was vorher passiert sei, sonst könne das auf die Angehörigen verstörend wirken, erklärt Winkels. Er findet nicht, dass solche Fälle seine Auszubildenden belasten würden. Die jungen Menschen seien engagiert bei der Sache. Im Berufsleben könnten sie ihn bei schwierigen Fällen außerdem immer um Rat fragen.
Das Fach Warenkunde ist wichtig für die Arbeit mit Kunden. In einem Klassenzimmer stehen an der Rückwand Sargmodelle in Regalen. Davor hängen lange Totengewänder. An einer Seitenwand steht außerdem ein Regal mit Urnen. Es gibt zum Beispiel eine Urne aus Kohle, eine Urne, die mit glitzernden Steinchen beklebt ist, oder eine glänzende, weinrote Urne, auf der zwei goldene Rosen prangen. An der vorderen Wand hängen Decken an einem Ständer, die bei einer Bestattung in den Sarg gelegt werden. Eine von diesen bestimmt die Auszubildende Laura Kerws (25) gerade. „Das ist eine weiße Viskose-Satin-Decke mit Präsentationsschlaufen und einer einfachen Wellensteppung“, beschreibt sie. Im Fach Warenkunde setzen sich die Auszubildenden so genau mit Bestattungswäsche, Totengewändern und Sarggriffen auseinander, damit sie ihren Kunden später verschiedene Möglichkeiten zeigen können. Kerws macht eine Umschulung zur Bestatterin: „Ich wollte als Kind schon immer mal im Leichenwagen sitzen. Also vorne.“ Die Abwechslung in ihrer Arbeit mache ihr „super viel Spaß“. Man könne immer viel lernen und mitnehmen.
Kerws erzählt aber auch, dass der Start in den Beruf nicht einfach für sie war. Der tägliche Umgang mit dem Tod ist nicht für jede und jeden etwas. Deshalb empfiehlt es sich, vor der Ausbildung erstmal ein Praktikum zu machen. Gleich am ersten Praktikumstag in ihrem späteren Ausbildungsbetrieb habe es eine emotional herausfordernde Situation für Kerws gegeben. Dort habe man sie nach Berührungspunkten mit dem Tod gefragt. „Der Mann meiner Schwester hat erweiterten Suizid begangen und meinen Neffen mit in den Tod genommen“, erzählt sie. Ähnlichen Situationen werde sie in ihrem Beruf nicht entgehen können, deshalb habe ihr Team sie ins kalte Wasser geworfen und ihr angeboten, am nächsten Wochenende bei der Beisetzung eines frühgeborenen Kindes dabei zu sein. „Da habe ich gemerkt, dass der Kopf es schlimmer macht, als es ist. Das war eine Form der Aufarbeitung.“ Dabei habe ihr Team gut auf sie geachtet und sie haben viel über die Situation gesprochen. „Wir sind wie eine kleine Familie. Wir verbringen den Tag zusammen und reden viel darüber, falls es belastende Situationen gibt. Außerdem gibt es das Angebot zur professionellen Hilfe. Das habe ich aber noch nicht in Anspruch genommen.“ Grundsätzlich findet Kerws ihren Beruf „eher interessant als belastend“.
Auch im Bundesausbildungszentrum der Bestatter werden die Auszubildenden auf den psychischen Umgang mit dem Tod vorbereitet. „Irgendwann wird es immer einen Fall geben, der einen nicht loslässt“, erklärt Jessica Beitzel. Sie unterrichtet die Auszubildenden in der Einheit Trauerpsychologie und Beratung. In dieser Einheit lernen die jungen Menschen in zwei Wochen des dritten Lehrjahres, wie sie mit ihrer Trauer umgehen können. „Man kann nur gute Unterstützung leisten, wenn man mit der eigenen Trauer im Reinen ist“, stellt Beitzel fest. Im besten Fall könnten sich die Auszubildenden wie Laura Kerws in ihrem Betrieb über schwierige Fälle austauschen. Oder sie hätten die Möglichkeit, mit Freunden oder Familie über bestimmte Fälle zu reden. Wo das nicht so ist, zeigt Beitzel professionelle Anlaufstellen. Außerdem spielt das Thema Selbstfürsorge bei stressigen Situationen im Beruf in diesem Ausbildungsblock eine Rolle.
Auf der anderen Seite des Ganges tragen vier Auszubildende Gegenstände in eine Trauerhalle. Jessica Beitzel ist auch Dozentin für Aufbau und Dekoration. Sie hat ihrer Gruppe den Auftrag gegeben, die Halle für die Trauerfeier des Chefs einer Firma vorzubereiten. Der Mann war sehr engagiert in der Feuerwehr. Deshalb platzieren die Auszubildenden einen Feuerwehrhelm und einen Feuerwehrschlauch an der rechten Seite des silbernen Sargs.
Jannis Lassen (20) hat in einer anderen Gruppe ebenfalls die Einheit Aufbau und Dekoration. Er wollte wegen der Vielseitigkeit des Berufes zuerst Polizist werden. „Mein Onkel ist Bestatter, aber sonst hatte ich dazu keinen Bezug“, erzählt er. Als es bei der Polizei nicht geklappt hat, habe er zwei Praktika bei seinem Onkel gemacht und entdeckt, dass der Beruf des Bestatters genauso vielseitig sei. Auch er erwähnt sein Team, mit dem er sich austauschen könne, falls ihn eine Situation im Beruf belaste. Lassen sieht hier aber kein Problem: „Ich denke häufig nicht so lange darüber nach. Ich nehme das auch nicht mit nach Hause.“ Lassen arbeitet bei einem Betrieb in der Nähe von Kiel, der Seebestattungen durchführt. Auch auf diese Bestattungsform fühle er sich gut vorbereitet, denn in Münnerstadt lernen die Auszubildenden alle typischen Bestattungsformen kennen.
Eine der bekanntesten Formen ist die Erdbestattung. Auf dem Lehrfriedhof riecht es nach Wald und frischer Erde. Hier erfahren die Auszubildenden, wie sie Gräber richtig ausheben und zur Beisetzung vorbereiten. Wie das geht, zeigt Dominik Mauer, Dozent für Grabtechnik und Warenkunde. Er zieht einen orangefarbenen Bagger hinter sich her. Er macht neben einem Grabstein halt und fährt die vier Füße des Baggers aus. Auf den freien Fleck Erde neben dem Grabstein legt er links und rechts blecherne Schalungen, um die Grube vor einem Einsturz zu sichern. Danach steigt er in den Bagger und beginnt, ein Loch auszuheben.
Es fällt auf, dass viele der Auszubildenden über ihre ersten Berührungspunkte mit dem Tod zu ihrem Berufswunsch gefunden haben. Bei Angelina Göbel (19) war das der Tod ihres Opas: „Das war einer der schlimmsten Tage in meinem Leben. Dann kam der Tag der Trauerfeier. Und da ist tatsächlich das Unmögliche passiert.“ In der Trauerhalle sei alles wunderschön hergerichtet gewesen. Außerdem sei ihr Opa ein leidenschaftlicher Motorradfahrer gewesen, was die Urne widerspiegelte. „Dann kam das, wovon ich gedacht habe, das wird so schnell nicht mehr passieren: Ich musste einfach lachen.“ Alles habe so schön ausgesehen und habe so gut zu ihrem Opa gepasst, dass sie in ihrer Trauer trotzdem einen wunderschönen Moment erlebt habe. Für Göbel sei damit klar gewesen, dass sie den Menschen in den schlimmsten Momenten ihres Lebens auch so einen Moment ermöglichen möchte.
Vincent Poschenrieder (POW)
(4223/1127; E-Mail voraus)
Hinweis für Redaktionen: Fotos abrufbar im Internet