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„Seine Bereitschaft zum Dialog ist bis zur Stunde vorbildlich“

Interview mit Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele zum Wirken des vor 100 Jahren gestorbenen Würzburger Theologen und Universitätsrektors Herman Schell

Würzburg (POW) Am 31. Mai 1906 starb der Würzburger Theologe und Rektor der Universität, Herman Schell. Sein wegweisender Dialog mit dem modernen Denken war der damaligen Zeit weit voraus und sorgte für Anfeindungen und kirchliche Maßregelungen. Doch Schell wurde zu einem der wichtigsten Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils. Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele gilt als exzellenter Kenner des theologischen Werks Herman Schells. Im folgenden Interview spricht er über Schells Tod, über seine Begeisterung für Schell und über seinen Einsatz für die Rehabilitierung des Wissenschaftlers.

POW: Herr Bischof, am 31. Mai vor 100 Jahren starb in Würzburg der umstrittene Theologe und Rektor der Universität, Herman Schell. Was war das Besondere an diesem Priester?

Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele: Als Priester hat Herman Schell zunächst über zehn Jahre in der Pfarrseelsorge gewirkt. Auch als Professor hat er bis zu seinem frühen Tod regelmäßig pastorale Dienste wahrgenommen. Seine Theologie sah er nach eigenen Worten als „Seelsorge und Jüngerschaft des guten Hirten“. Daher widmete er sich ihr mit ganzer Kraft. Insbesondere versuchte er, die Fragen der Zeitgenossen aufzugreifen und sie aus der Mitte des Glaubens zu beantworten. Dabei hat er in neuer Weise zentrale Glaubenswahrheiten erschlossen.

POW: Schell starb nach einem Gang zum Würzburger Käppele. Ein bewegender Tod?

Bischof Scheele: Herman Schell hat immer wieder das Käppele besucht. Am 31. Mai 1906 geschah das in einer für ihn typischen Weise. Nach einem Kolleg am Morgen hat er sich mit dem Christusvortrag beschäftigt, den er wenige Tage später in Berlin halten wollte. Er fand gleichwohl Zeit für einen Studenten, um mit diesem über dessen Projekt zu sprechen. Sodann arbeitete er am dritten Band seiner Apologie weiter. So steht sein letzter Tag ganz im Zeichen der verschiedenen Herausforderungen, denen er sich nach Kräften zu stellen versuchte. Ein heftiges Gewitter zwang ihn, schleunigst umzukehren. In seiner Wohnung beendete ein Schlaganfall sein Wirken, von dem man noch vieles erhoffen konnte.

POW: Weshalb ist es wichtig, 100 Jahre danach an Herman Schell zu erinnern?

Bischof Scheele: Herman Schell hat viele Aufgaben wahrgenommen, die heute noch anstehen. Er gehört zu den wichtigsten Wegbereitern des Zweiten Vatikanischen Konzils und kann dazu beitragen, dessen Ergebnisse zu erschließen und für Kirche und Welt fruchtbar zu machen. In vorbildlicher Weise hat er den Dialog mit der Naturwissenschaft und der Philosophie und überdies mit den Konfessionen und den Weltreligionen gesucht und gepflegt und dabei Bahnbrechendes geleistet.

POW: Sie gelten als Schell-Experte. Was fasziniert Sie am Leben dieses Würzburger Theologen?

Bischof Scheele: Seit meiner Kaplanszeit hat mich der Priester und Professor Herman Schell fasziniert, zugleich hat mich seine Weise, Theologie zu treiben, persönlich angesprochen. Bei den verschiedenen Ämtern, die ich im Lauf der Zeit wahrzunehmen hatte, habe ich von ihm wesentliche Hilfen empfangen. Dass Schell bei seinem Bemühen von vielen missverstanden und teilweise heftig angegriffen wurde, so dass es schließlich zu einer Indizierung mehrerer Schriften kam, hat mich zusätzlich bewegt. Es hat mich veranlasst, mich bereits als Kaplan für seine Rehabilitierung einzusetzen. Was ich dazu vor einem halben Jahrhundert geschrieben habe, ist in dem Buch „Herman Schell im Dialog“ dokumentiert.

POW: Herman Schell war seiner Zeit voraus. Sein Dialog mit dem modernen Denken brachte ihn Maßregelungen seitens der Kirche. Warum wurden Schells Veröffentlichungen von Rom indiziert?

Bischof Scheele: Den Anlass zu seiner Indizierung gaben die beiden Reformschriften: „Der Katholizismus als Prinzip des Fortschritts“ (1897) und „Die neue Zeit und der alte Glaube“ (1898). Schell wies darin auf offenkundige Missstände im kirchlichen Leben hin in der Absicht, sie nach Kräften zu beheben und andere zu gewinnen, dabei mitzuhelfen. Zwei Leitworte kennzeichnen seine Intention: „Der Geist für Gott und Gott für den Geist“ und: „Wenn wir uns selber richten, so werden wir nicht gerichtet“ (1 Kor 11,31). Beide Schriften wurden von den einen bekämpft, von anderen gefeiert. Manche werteten seine Feststellungen als Attacke auf die Kirche, die man zurückweisen muss, und griffen ihrerseits den Autor an. In diese Angriffe wurden auch Formulierungen seiner systematischen Werke einbezogen. Nachdem man Schell später über diese informiert hat, hat er sich von ihnen distanziert.

POW: Wie stark hat Schell unter den Diffamierungen gelitten?

Bischof Scheele: Herman Schell litt nicht unter den wissenschaftlichen Diskussionen, die er ausgelöst hat; so konkret wie möglich ist er darauf eingegangen. Verletzt haben ihn Unterstellungen und Verleumdungen. Sie schmerzten ihn besonders deshalb, weil er dadurch die Wirksamkeit des Glaubenszeugnisses beeinträchtigt sah.

POW: Ist Schell heute in der Kirche voll rehabilitiert? Sind Schells Anfragen an die Kirche ausreichend beantwortet?

Bischof Scheele: Ein wichtiges Signal der Rehabilitierung Schells war die vom damaligen Präfekten der Vatikanischen Glaubenskongregation, Kardinal Alfredo Ottaviani, erteilte Genehmigung, Schells Dogmatik kommentiert, aber im Text unverändert herauszugeben. Eine weitergehende Anerkennung Schells ist durch das Zweite Vatikanische Konzil erfolgt, das sich etliche seiner Intentionen zu Eigen gemacht hat. Schells Anfragen an die Kirche sind noch längst nicht ausreichend beantwortet; da sie sich an die ganze Kirche richten, bedarf es einer Antwort auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens.

POW: Schell hat als Rektor der Universität über dem Eingang der Würzburger Hochschule die Schrift „Veritati“ anbringen lassen. Was wollte er damit ausdrücken?

Bischof Scheele: Schon vor seinem Rektorat hat Herman Schell die Verantwortlichen der Universität davon überzeugt, dass die Aufgabe, die Wahrheit zu suchen und zu vermitteln, allen Fakultäten gestellt ist und sie alle miteinander verbindet. Als der Neubau am Sanderring eingeweiht wurde, amtierte Schell als Rektor. In seiner Einweihungsrede am 28. Oktober 1896 hat er den Sinn der Veritati-Inschrift näherhin erläutert. Unter anderem sagte er damals: „Der Wahrheit ist der Bau geweiht als der Wahrheit hohe Schule: der Wahrheit weihen auch wir uns von neuem, der Wahrheit, die wir forschend suchen und lehrend verbreiten! Es ist das Beste, was wir dem Vaterlande bieten können, es ist das Notwendigste, dessen das Vaterland bedarf.“ Angesicht neuerlicher Tendenzen in der Hochschulpolitik ist das heutzutage neu zu bedenken.

POW: Welche Position nimmt Schell unter den deutschen Theologen des 19. Jahrhunderts ein?

Bischof Scheele: Herman Schell vereint in seiner Theologie das Hören auf das biblische Zeugnis, das Eingehen auf die Fragen der Zeitgenossen, den Willen, der Seelsorge und der Spiritualität zu dienen, sowie die Bereitschaft zum ökumenischen und interreligiösen Dialog. Dieses breite Spektrum hat seine Mitte im Geheimnis des dreieinen Gottes, dem er sich mehr als andere Theologen gewidmet hat. In einer Epoche, in der sich viele mit dem begnügen, was Schell „Mikrologie“ nannte, war er vom Geist des Ganzen bewegt und hat uns eine in hohem Maße ganzheitliche und zugleich existentielle Theologie hinterlassen.

POW: Welche Aussagen Schells können auch für Menschen des 21. Jahrhunderts interessant sein?

Bischof Scheele: Wichtiger als einzelne Aussagen ist die Weise, wie Herman Schell als Brückenbauer gewirkt hat. Seine Bereitschaft zum inner- und außerkirchlichen Dialog ist bis zur Stunde vorbildlich. Er gehört nicht zu denen, die etwas über den Dialog von sich geben, sich selber aber monologisch verhalten.

POW: Zum 100. Todestag veröffentlichen Sie ein Buch zu Herman Schell. Welche Schwerpunkte setzen Sie?

Bischof Scheele: Auf den Schwerpunkt meines neuen Buches weist sein Titel hin: „Herman Schell im Dialog“. In einem längeren Beitrag habe ich dargestellt, wie er selber den Dialog praktiziert hat. Beispielhaft habe ich das mit Hilfe seiner Korrespondenz an den Dialogen mit einem Philosophieprofessor, mit einem Theologiestudenten und mit einer Würzburger Familie aufgezeigt. Sodann bin ich dem nachgegangen, wie Schell den innerkirchlichen, den ökumenischen, den interreligiösen sowie den interwissenschaftlichen Dialog gepflegt hat. Zugleich soll der Buchtitel anzeigen, dass Schell auch nach seinem Tod durch sein Werk ein hilfreicher Dialogpartner ist.

Hinweis: Die Katholische Akademie Domschule Würzburg gedenkt des vor 100 Jahren gestorbenen Herman Schell bei einem Gottesdienst am Mittwoch, 31. Mai, um 18 Uhr in der Seminarkirche Sankt Michael. Zelebrant und Prediger ist Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele. Anschließend spricht Bischof Scheele um 19.30 Uhr im Sankt Burkardus-Haus zum Thema „Herman Schell im Dialog“. Der Eintritt ist frei.

(2106/0748)