Juruti Velho (POW) Die Franziskanerinnen von Maria Stern in Juruti Velho bekommen in diesen Tagen viel Post. Immer wieder werden Briefe vorgelesen, in denen ihnen für ihren mittlerweile 25 Jahre dauernden Einsatz in dem rund 1000 Einwohner zählenden Ort am Amazonas in Brasilien gedankt wird. Um eine Sternschwester geht es dabei besonders: Schwester Brunhilde Henneberger. Die 76-Jährige kommt ursprünglich aus Randersacker im Bistum Würzburg und lebt seit mehr als 40 Jahren in dem südamerikanischen Land. Sie war die erste Sternschwester, die sich in Juruti Velho im Würzburger Partnerbistum Óbidos niedergelassen hat. Von Anfang an hatte sie dabei eines im Blick: die Menschen Amazoniens – und die Stärkung ihrer Rechte.
Diesen Einsatz braucht es. Denn das Leben im größten zusammenhängenden Regenwaldgebiet dieser Erde ist bedroht: von Landspekulanten und Großkonzernen. Hilfe von der Regierung kommt selten. Im Gegenteil: Der brasilianische Staat fördert oft eben solche Großprojekte, die die Zerstörung der Natur und damit auch die Zerstörung der Lebensgrundlage vieler Menschen – gerade auf dem Land – mit sich bringen.
Zu Beginn war Henneberger noch allein in Juruti Velho. In ihrem Tatendrang hat sie das keineswegs gehindert. Von Anfang an hat sie sich dafür eingesetzt, dass die einzelnen Gemeinden Kindergärten bekommen und Straßen so eingerichtet werden, dass sie dem Menschen nützen, der Natur aber nicht schaden. „Ich habe immer das Zeugnis des radikal christlichen Lebens der Sternschwestern bewundert“, schreibt der befreundete Priester José Paulo Alves Cardoso in einem der Briefe an die Kongregation. Ihr politisches Bewusstsein habe den Dienst an den Ärmsten zur Folge. „Die Häuser und Straßen, die entstanden sind, verdanken wir dem Engagement von Schwester Brunhilde.“ Auch Jugendliche hat die Ordensfrau angesprochen: So hat sie mit Jungen und Mädchen aus der Gegend Schildkröteneier gerettet und die gefährdeten Jungtiere aufgezogen, um sie später in die Freiheit zu entlassen.
Wann immer jemand auf ihren Einsatz zu sprechen kommt, winkt Henneberger ab. Sie steht nicht gern im Mittelpunkt. „Ich habe das doch nicht alleine gemacht“, sagt sie dann. Stets habe sie Unterstützung von den Bewohnern Juruti Velhos oder ihren Mitschwestern gehabt. Heute sind das Johannita Sell, die aus Hammelburg stammt, und die Brasilianerinnen Deca Amaral und Fátima Sousa Paiva. Ganz besonders wichtig ist Henneberger auch die Hilfe aus der Heimat: Seit Jahren steht beispielsweise die Sternsingeraktion in Randersacker im Zeichen der Arbeit am Amazonas. Die Diözese Würzburg hat zum Jubiläum der Sternschwestern außerdem eine Spende mitgebracht, um die Arbeit in den mittlerweile 24 Kindergärten der einzelnen comunidades, der Gemeinden, weiter zu fördern. Die Menschen wissen um diese Hilfe und den Einsatz Hennebergers. Immer wieder kommen sie und umarmen die Ordensfrau, die Jungen und Mädchen des Ortes machen Fotos mit ihr. Spontaner Besuch im Haus der Sternschwestern? Keine Seltenheit. Und Zeit für ein Gespräch, ein Glas Wasser oder Kaffee ist immer.
Henneberger ist eine zentrale Figur in Juruti Velho. Und auch wenn sie seit einigen Jahren gesundheitliche Probleme plagen, hat sie sich ihre offene und freundliche Art bewahrt. Teil davon ist auch ihr trockener Humor – und vor allem ihre Bescheidenheit. Auf den Hinweis, dass nun alle los zum Jubiläumsgottesdienst müssten, erwidert sie nur „Ach so“. Will jemand ein Foto von ihr machen, hält sie sich mitunter die Hände vor das Gesicht. Und als ein Mann aus Juruti Velho eine kurze Ansprache beim Mittagessen am Tag nach dem Festgottesdienst halten will, sagt sie lachend: „Wenn du mein Freund bist, sagst du nichts!“ Er sagt trotzdem etwas und rührt nicht nur die Schwester zu Tränen, sondern auch viele andere. Seit 15 Jahren arbeite er mit ihr und sei sehr dankbar für diese Zeit. Mitschwester Amaral verliest den Brief eines weiteren Gläubigen. Ohne die Ordensfrau aus Randersacker hätte er kein Dach mehr über dem Kopf und keinen Boden unter den Füßen. „Sie ist meine Adoptivmutter“, schreibt er.
Von Anfang an hat sich Henneberger für die Menschen am Amazonas eingesetzt – und das auch gegen Widerstände. Denn mit ihrem Engagement für die oft arme Bevölkerung hat sie sich nicht nur Freunde gemacht. Neben Drohungen gab es auch ganz praktischen Gegenwind: Zweimal schon wurde der Außenbordmotor vom Boot der Schwestern geklaut. Der Amazonas, an dem die Schwestern leben, ist der längste und wasserreichste Fluss der Erde. Boote und Schiffe sind ein zentrales Fortbewegungsmittel.
Der Grund für manche Anfeindung? Ganz zentral ist die Einrichtung einer Bürgerinitiative durch Henneberger und ihre Mitstreiterinnen. Gemeinsam mit den Menschen der Region stellen sie sich dem Konzern Alcoa entgegen, der am Amazonas Bauxit abbaut, den Grundstoff für Aluminium. Dafür musste Regenwald gerodet werden. Das ist dramatisch für das sensible Umweltgefüge Amazoniens. Verschwindet der Wald, verschwinden oft auch die Tiere, die als Nahrung dienen. Zudem verseuchen Abwasser und Schlamm den Fluss und damit auch das Wasser der Menschen. Großprojekte wie Bauxitabbau oder Staudämme sorgen außerdem dafür, dass viele Menschen auf der Suche nach Arbeit in die Region ziehen und nach kurzer Zeit wieder entlassen werden. Die Folge: Armenviertel, Drogen und Prostitution.
All das wollte Henneberger gemeinsam mit ihren Mitstreitern im Fall Juruti Velho verhindern. Auch wenn sich Alcoa am Amazonas niedergelassen hat, ist es der Bürgerinitiative zumindest gelungen, dass das Terrain, auf dem der Konzern Bauxit gewinnt, den Gemeinschaften von Juruti Velho als kollektiver Landtitel zugesprochen wurde. Alcoa muss die Bürger nun für den Verlust des Landes entschädigen.
Dass die Arbeit der Ordensfrau Früchte trägt, zeigt sich jedoch nicht nur in Kindergärten oder Bürgerinitiativen. Drei Frauen, die Henneberger bei ihrer Arbeit kennengelernt hat, sind mittlerweile Sternschwestern. Nun helfen sie selbst dabei mit, den Menschen Amazoniens zu ihren Rechten zu verhelfen.
Aus Brasilien berichtet Sophia Michalzik (POW)
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