Würzburg (POW) Die Stadt Würzburg ist um eine archäologische Sensation reicher: Bei den jüngsten Ausgrabungsarbeiten unterhalb der Sakristei der Marienkapelle am Marktplatz sind Teile der Mauer eines Gebäudes und eine Brandschicht aus dem 13./14. Jahrhundert entdeckt worden. Die Mauer gehört mit größter Wahrscheinlichkeit zum mittelalterlichen jüdischen Synagogengebäude. Die Brandschicht dürfte auf die Zerstörung des Judenbezirks am Würzburger Marktplatz beim Pogrom des Jahres 1349 hinweisen. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag, 16. November, stellten das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege und die Diözese Würzburg die Ausgrabungsergebnisse vor.
Ausgrabungsleiter Dieter Heyse erwähnte als Ergebnisse der in den Monaten September und Oktober 2006 durchgeführten Ausgrabungen besonders die archäologischen Funde aus dem Mittelalter. Die unteren ergrabenen Schichten wiesen auf eine stets feuchte Niederung hin, dem in den historischen Quellen als Rigol bezeichneten Sumpfgelände an der Stelle des heutigen Marktes. Die Schicht enthalte viele tierische Knochen und einige Keramikscherben, von denen einzelne aus dem Frühen Mittelalter, der Karolingerzeit stammten. Der große Teil der Scherben sei zu Beginn des Hohen Mittelalters anzusiedeln. Eine Mauer mit weißen Mörtelspuren zeige die für das 11. Jahrhundert typische Steinbauweise für Bauten mit wehrhaftem Charakter oder für Repräsentativbauten.
Hierüber ist nach Angaben Heyses eine zweite Mauer gebaut: „Das Gebäude entsteht im Hohen Mittelalter und erleidet ein schweres Schadfeuer.“ Die entdeckte Brandschicht gebe hiervon Zeugnis. Keramik aus dieser Brandschicht datiere in das 13. und 14. Jahrhundert. Auf diese Brandschicht gründen die gotischen Fundamente der Sakristei der Marienkapelle. Die Würzburger Bürgerkirche wurde in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts an der Stelle der zerstörten Synagoge erbaut.
Für den Judaisten und emeritierten Bibelwissenschaftler Professor Dr. Karlheinz Müller stellen die Funde eine Sensation dar. Sie seien mit die ältesten Belege für eine jüdische Siedlung und für die mittelalterliche Synagoge. „Als ich die Brandschicht sah, war ich sehr ergriffen“, sagte der Experte für die Geschichte der Würzburger Judengemeinde im Mittelalter. Nach Müllers Angaben weist diese Schicht auf den Pogrom vom 20. auf 21. April 1349 hin. Damals seien die Juden in Würzburg für die erfrorenen Weinreben verantwortlich gemacht worden: „Die Bürger Würzburgs ermordeten die in ihrer Mitte wohnenden Juden.“ Nach historischen Zeugnissen habe bei diesem Pogrom ein Brand das jüdische Siedlungsgebiet am Markt vernichtet. Dass es sich bei der gefundenen Mauer um einen Teil der Synagoge handle, belege die Tatsache, dass in dieser Zeit Marienkirchen auf Resten jüdischer Synagogen errichtet worden seien. Beispiele hierfür gebe es in Bamberg und Nürnberg. „Die heilsgeschichtlich überholte Synagoge sollte durch Maria ersetzt werden.“ Für die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Würzburg sei der Fund „ein äußerst wichtiges Dokument“.
Dr. Josef Schuster, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg, betonte, das Grabungsergebnis sei von außerordentlicher Bedeutung und Wichtigkeit. Die entdeckte Mauer zeige einen Teil der ältesten Synagoge Würzburgs und führe vor Augen, dass die jüdische Gemeinde im Mittelalter in Würzburg ansässig gewesen sei. Mit der ebenfalls heuer entdeckten Synagogenmauer in der Domerschulstraße, die auf die letzte Vorkriegssynagoge hinweise, zeige sich jetzt in Würzburg das Bild der jüdischen Gemeinde durch die Jahrhunderte. Im Namen der jüdischen Gemeinde dankte Schuster Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand für die von der Diözese Würzburg initiierten Grabungen.
Hillenbrand, der auch Rektor der Marienkapelle ist, wies auf das Anliegen der Kirche hin, die Zeugnisse jüdischen Lebens in Würzburg zu sichern. Gleichzeitig sei das Gedenken an den Orten mit jüdischen Zeugnissen wichtig. „Die Geschichte der Würzburger Marienkapelle beginnt nicht mit dem Bau des Gotteshauses im 14. Jahrhundert, sondern mit der jüdischen Synagoge.“ Künftig solle eine Gedenktafel an der Marienkapelle an die jüdischen Zeugnisse erinnern. Einzelelemente der Ausgrabungsergebnisse sollen auf Dauer gesichert und bei speziellen Führungen gezeigt werden. Hauptkonservator Dr. Michael Hoppe vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege dankte der Diözese Würzburg für ihr Engagement in der Erforschung der Geschichte der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde und für die „hervorragende Zusammenarbeit“.
Stadtführer dürfen künftig bei ihren Ausführungen zur Marienkapelle nicht nur auf die entdeckte Synagogenmauer und die Brandschicht aus dem Jahr 1349 hinweisen. Sie müssen auch eine Passage aus ihrem bisherigen Redetext streichen: Das seit 1985 unter der Sakristei der Marienkapelle angenommene jüdische Ritualbad, die sogenannte Mikwe, gab es an dieser Stelle nicht. Mit den jüngsten Ausgrabungen wollte man archäologische Belege für die Mikwe finden. Ergebnis ist jetzt aber die sensationelle Entdeckung der mittelalterlichen Synagogenmauer und der Brandschicht von 1349.
bs (POW)
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