Wie David
Ihr kennt sicher die Geschichte von dem kleinen David und dem Riesen Goliat. Damals meinte der Große: „Was will schon dieser Kleine! Mit dem werde ich leicht fertig, den mache ich fertig!“ Selbst die älteren Brüder von David trauten ihm nichts zu. Sein Vater hatte ihn zu ihnen geschickt, um ihnen was zu Essen zu bringen. Da erfuhr er, wie der Riese Goliat das Volk Israel bedrohte und lächerlich machte. Seine Brüder bekamen mit, wie David sich an vorderster Front erkundigte und schimpften ihn aus. Einer von ihnen sagte ihm: „Wozu bist du denn hergekommen? … Ich kenne doch deine Keckheit und die Bosheit in dir. Du bist nur hergekommen, um den Kampf zu sehen.“ David erwiderte: „Was habe ich denn jetzt wieder getan? Ich habe doch nur gefragt“ (1 Sam 17,28 f.). Geht es nicht manchem Jungen heutzutage auch so? Da will er wissen, was los ist, und ist bereit zu helfen, und schon schimpft man ihn aus. Man traut ihm nichts Gutes zu. Da ist es kein Wunder, dass der feindliche Goliat den kleinen David zur Schnecke machen will. Voll Verachtung sagt er ihm, der es wagt, gegen ihn zu kämpfen: „Bin ich denn ein Hund, dass du mit einem Stock zu mir kommst? Und er verfluchte David bei seinen Göttern“ (1 Sam 17,43). Da hat David es allen gezeigt, was ein Junge fertig bringen kann. Er hat den Goliat mit seiner Schleuder besiegt und ihm den Kopf abgeschlagen. Er hat sein Volk befreit.
Unmittelbar vor dieser Geschichte erfahren wir noch etwas von dem kleinen David, das vielleicht noch größer war als sein Sieg über Goliat. Dieser Sieg war die Sache von wenigen Minuten; anders war es, als es galt, dem König Saul zu helfen. Dieser war in Schwermut gefallen und wusste nicht mehr ein und aus. Auch seine Diener konnten ihm nicht helfen. Sie gaben ihm aber einen guten Rat. Sie empfahlen ihm, einen Mann zu suchen, der Zither zu spielen versteht, und sagten: Der kann mit seiner Musik dem König helfen. Einer von ihnen wusste, dass der junge David wunderschön Zither spielen konnte. So wurde er zum König geholt. Der „gewann ihn sehr lieb“ (1 Sam 16,21). Immer wenn Saul in den Abgrund der Traurigkeit fiel holte ihn der kleine David heraus. Er nahm „die Zither und spielte darauf. Dann fühlte sich Saul erleichtert, es ging ihm wieder gut“ (1 Sam 16,23).
Da seht ihr, was die Musik fertig bringt, wenn sie in der richtigen Weise erklingt. Sie kann vieles zum Besseren wenden. Sie kann die Traurigkeit besiegen und Freude spenden. Sie kann das Herz stark machen und Lebensmut vermitteln. All das und noch viel mehr ist auch allen „Pueri Cantores“ aufgetragen. Sie können und sollen vielen Menschen durch ihren Gesang helfen. Da kann viel mehr passieren als ihr selber ahnt. Ihr könnt nicht nur weiterführen, was der junge David vor dem König Saul begonnen hat; ihr könnt auch dem Vorbild des Königs David folgen. Der junge Hirte David, der als Jüngster seiner Familie die Schafe hütete und dabei kräftig gesungen hat, wurde der Nachfolger von König Saul. Er musste manche Kämpfe bestehen, um sein Volk vor den Angriffen der Feinde zu retten. Er musste sich dafür einsetzen, dass Jerusalem die Mitte seines Reiches wurde. Bei all dem hat er das Singen und Spielen nicht vergessen. Die meisten Bilder von König David stellen ihn nicht mit Rüstung und Waffen dar, sie zeigen ihn, wie er die Harfe spielt und dazu singt. In der Bibel sind viele Lieder überliefert, die mit seinem Namen verbunden sind. Manche von ihnen habt ihr bestimmt schon gesungen. Immer wieder heißt es in der Überschrift: „Ein Psalm Davids“. Einmal heißt es: „Von David, dem Knecht des Herrn, der dem Herrn die Worte dieses Liedes sang an dem Tag, als der Herr ihn aus der Gewalt seiner Feinde … errettet hatte“ (Ps 18,1). Dann wieder lautet die Überschrift: „Ein Lied zur Tempelweihe. Von David“ (Ps 30,1) und nochmals: „Ein Psalm Davids. Zum Weihrauchopfer“ (Ps 38,1). Ein andermal lesen wir: „Ein Psalm Davids, als er in der Wüste Juda war“ (Ps 63,1). In Freude und Leid, in der Einsamkeit und beim großen Gottesdienst, beim Triumphzug und in der Not: immer hilft das Lied dem König und den mit ihm Verbundenen. Das ist bis zur Stunde so und soll auch so bleiben. Dafür müsst ihr mitsorgen. Unsere Chöre haben eine königliche Aufgabe! Zugleich haben die jungen Chöre Bundesgenossen in Jerusalem. Es sind die, die am Anfang der Passionswoche dem Heiland geholfen haben. Wie das geschah, haben wir eben im Evangelium gehört.
Wie die Kinder in Jerusalem
Als Jesus auf einem Esel nach Jerusalem kommt, erfüllt sich, was durch den Propheten gesagt worden ist: „Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig“ (Mt 21,5). Begeistert singen die Menschen: „Hosanna, dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn“ (Mt 21,9). Wer von euch schon einmal bei einem lateinischen Sanctus mitgesungen hat, kennt die Worte: „Benedictus qui venit in nomine Domini“: das ist genau das, was die Menschen in Jerusalem gerufen haben. Überdies haben sie Jesus den „Sohn Davids“ genannt und damit an den König mit der Harfe, den König der Psalmen erinnert. Als Jesus anschließend im Tempel für Ordnung sorgt und zunächst ein großes Durcheinander entsteht, spielen Kinder eine große Rolle. Während die Alten schimpfen und lärmen, rufen sie: „Hosanna dem Sohn Davids“ (Mt 21,15). Das ärgert die Hohenpriester und die Schriftgelehrten noch mehr. Sie werfen Jesus vor: „Hörst du, wie sie rufen?“ (Mt 21,16). Sie denken, das wäre ihm peinlich; sie meinen, er müsste sich dafür entschuldigen. Da täuschen sie sich gewaltig. Jesus antwortet ihnen: „Ja, ich höre es. Habt ihr nie gelesen: Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob?“ (Mt 21,16). Damit zitiert Jesus einen Psalm Davids (Ps 8,3). Dieses Lied beginnt mit den Worten: „Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde.“ Dann heißt es: „Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob, deinen Gegnern zum Trotz; deine Feinde und Widersacher müssen verstummen“ (Ps 8,2 f.). Gerade die Kinder sind berufen, Gott zu loben und zu preisen. Sie machen das so gut, dass es den Feinden die Sprache verschlägt. Da sehen wir noch mehr, was alle jungen Musikanten, die zu den Pueri Cantores gehören, tun dürfen: Sie können und sollen mithelfen bei der wichtigsten Aufgabe, die Menschen anvertraut wurde: bei der Verherrlichung Gottes und seiner Werke. Damals in Jerusalem haben es die Kinder getan. Heute ist dies eure Aufgabe. Dazu gratuliere ich euch; dazu wünsche ich euch alles Gute: eine gute Gemeinschaft, gute Chorleiter, gute Zuhörer, und vor allem viel Freude! Amen.
(1906/0699)