Würzburg/Linz/Kitzingen (POW) Ein ausgesprochen positives Fazit der neuen Enzyklika „Laudato Si“ von Papst Franziskus zieht der aus Kitzingen stammende Linzer Moraltheologe Professor Dr. Michael Rosenberger (53). Er befasst sich schon seit Jahren mit den Themen Umweltschutz und Gerechtigkeit. Im folgenden Interview erläutert er unter anderem, warum die südamerikanische Erfahrungswelt des argentinischen Papstes durchscheint und warum einige Lobbygruppen sicher wenig begeistert von dem Lehrschreiben sein werden.
POW: Herr Professor Rosenberger, was sind Ihre ersten Eindrücke von der neuen Enzyklika von Papst Franziskus?
Professor Dr. Michael Rosenberger: Ich habe sie verschlungen. Natürlich gibt es dann und wann eine Passage, die weniger beeindruckend ist und auf die ich hätte verzichten können. Aber insgesamt enthält der Text so viele spirituell dichte Abschnitte, dass ich eine tiefe Freude und Bewegtheit beim Lesen verspürte. Mehr als was der Papst sagt beeindruckt mich, wie er es sagt. Man spürt seine große Leidenschaft für die Schöpfung von der ersten bis zur letzten Zeile.
POW: Welches Signal sendet Papst Franziskus mit seiner neuen Enzyklika?
Rosenberger: Obwohl seit der UN-Konferenz von Rio 1992 jedem Menschen dieser Welt klar ist, was auf dem Spiel steht, bewegt sich kaum etwas. Mit der Enzyklika will der Papst wachrütteln und den dahinschlummernden Klimagipfeln ebenso wie uns Konsumenten einen kräftigen Anstoß geben, endlich entschlossen zu handeln. Ich denke, dass dieses Signal auch verstanden wird.
POW: Der Papst lädt zum Dialog über die Erde ein. Was müsste an erster Stelle diskutiert werden?
Rosenberger: Zwei Dinge ziemlich gleichberechtigt – eines nennt der Papst ausführlich, eines höchstens am Rande: Erstens braucht es eine neue Sichtweise auf die Welt, eine Sichtweise der Dankbarkeit und Wertschätzung. Hierzu gibt Franziskus großartige Anregungen. Zweitens muss die neue Wertschätzung in die Logik der Wirtschaft übersetzt werden. Aus Sinn-Werten werden dann Geld-Werte. Umweltschäden müssen von ihren Verursachern bezahlt werden, Umweltgüter einen fairen Preis bekommen. Dazu sagt die Enzyklika wenig, aber der Papst muss ja auch kein Ökonom sein.
POW: Welche Themen sind in Ihren Augen der lateinamerikanischen Erfahrungswelt des Papstes zu verdanken?
Rosenberger: Allen voran natürlich die Option, Umweltzerstörung und globale Armut in Verbindung zu sehen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch den Text. Aber auch die immer wiederkehrende Forderung von transparenten, partizipativen und ganzheitlichen Umweltverträglichkeitsprüfungen für Großprojekte sind offenkundig den lateinamerikanischen Erfahrungen geschuldet – wenn sie auch bei uns nicht weniger wichtig sind. Schließlich nenne ich die große und unbedingte Wertschätzung der Umweltorganisationen. Natürlich denkt der Papst an die Organisationen in Lateinamerika. Aber auch unseren europäischen Bewegungen wird sein Lob gut tun und sie stärken.
POW: Ist das neue Schreiben eher antikapitalistische Kampfschrift oder harmlos-religiöser Text über die Schöpfung?
Rosenberger: Anders als in „Evangelii Gaudium“ ist diesmal der Kapitalismus weniger das Thema. Eher geht es um einen Anti-Konsumismus. Der ist zu Recht deutlich spürbar. Harmlos ist der Text also keinesfalls. Aber echte Spiritualität war noch nie harmlos!
POW: Welche Rolle spielt das Thema Solidarität in den Augen des Papstes bei der Bewahrung der Schöpfung?
Rosenberger: Franziskus spricht von einer universalen Solidarität, die Menschen und nichtmenschliche Geschöpfe gleichermaßen einschließt. Für ihn ist es unzulässig, Solidarität nur auf einen Teil der lebenden Wesen zu beziehen. Weder darf man die armen Menschen vergessen noch die leidenden Tiere oder Pflanzen. Echte Solidarität kennt keine Grenzen.
POW: Angeblich sind im Vorfeld sowohl Vertreter der Energie- und Autoindustrie, aber auch Umweltverbände im Vatikan vorstellig geworden, um ihre Interessen deutlich zu machen. Entdecken Sie etwaige Einflüsse im Text?
Rosenberger: Ob die Lobbyisten wirklich einen Zugang zum Papst oder seinen Beratern erhalten haben, weiß ich nicht. Zwei Lobbygruppen sind jedenfalls offenkundig mit ihren Vorschlägen nicht gelandet: Einmal die sogenannten Klimaskeptiker, die behaupten, es gebe keinen menschengemachten Treibhauseffekt, und die mit Kardinal Pell einen hochrangigen Befürworter haben. Und zum anderen die Anhänger der grünen Gentechnik, die diese als Wunderwaffe gegen fast alle Probleme der Menschheit anpreisen und von denen einzelne in der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften sitzen. Beiden Gruppen stellt der Papst im Einklang mit der Mehrheit seiner Berater eine klar andere Position entgegen.
POW: Wie lautet für Sie die zentrale Aussage der Enzyklika?
Rosenberger: Das Leiden auch des geringsten Geschöpfs ist das Leiden jedes verantwortungsbewussten Menschen. Und die Hoffnung jedes engagierten Menschen ist eine Hoffnung für alle Geschöpfe.
POW: Was empfehlen Sie den Menschen in Deutschland mit Blick auf die Aussagen des Papstes?
Rosenberger: Das Beste wäre, diese Aussagen wieder und wieder zu lesen – und tief ins Herz einsickern zu lassen. Das würde unsere Mentalität, unsere Konsumgewohnheiten und unsere politischen Gewichtungen fundamental verändern.
Interview: Markus Hauck (POW)
Zur Person:
Professor Dr. Michael Rosenberger wurde 1962 geboren und wuchs in Kitzingen auf. Nach dem Studium in Würzburg und Rom und seiner Priesterweihe 1987 in Rom setzte er dort sein Studium bis 1989 fort. Danach wirkte er als Kaplan in Traustadt und Marktheidenfeld. 1993 wurde er nebenberuflicher Religionslehrer am Frobenius-Gymnasium in Hammelburg und gleichzeitig Seelsorger für Weyersfeld und Höllrich, wo er bis 2000 nebenamtlich wirkte. 1995 promovierte er an der Universität Würzburg. Ab 1996 war er wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Moraltheologie der Universität Würzburg und freigestellt zur Habilitation. 1999 habilitierte er sich im Fach Moraltheologie und wurde Privatdozent an der Universität Würzburg. Seit dem Studienjahr 2002/2003 leitet Rosenberger das Institut für Moraltheologie an der KTU Linz. Gleichzeitig half er von 2002 bis 2009 als nebenamtlicher Kurat in der Pfarrei Öftering mit. 2004 wurde er auch in die Gentechnik-Kommission des Österreichischen Gesundheitsministeriums berufen und im selben Jahr zum Umweltsprecher der Diözese Linz ernannt. Von 2006 bis 2010 war er auch Rektor der KTU Linz, von 2010 bis 2014 Prorektor. Rosenbergers Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Schöpfungsethik und Schöpfungsspiritualität, Determinismus und Willensfreiheit sowie Spirituelle Theologie. Er ist Mitglied der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie, der Internationalen Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik, der interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft Mensch-Tier-Beziehung sowie der Arbeitsgemeinschaft Theologie der Spiritualität. Seit 2008 ist er außerdem Mitherausgeber der Linzer „WiEGe-Reihe“ mit Beiträgen zu Wirtschaft, Ethik und Gesellschaft. Deutlich sprach er sich in jüngster Zeit für einen raschen Ausstieg aus der Atomenergie aus. Als Autor beantwortet er im zweimonatlichen Rhythmus Fragen zum Thema Wallfahrt im Internetportal www.wallfahrtsservice.de.
(2615/0607; E-Mail voraus)
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