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Stressfaktor Integration

Soziologin Dr. Rosemarie Sackmann: „Ghettobildung“ sollte unbedingt vermieden werden – „Integration läuft ganz von selbst ab“

Würzburg (POW)Die katholische Kirche bietet in fremdsprachigen Missionen für Menschen mit Migrationshintergrund Anlaufpunkte, an denen sie ihren Glauben in ihrer Muttersprache leben können. Im Bistum Würzburg entsteht daraus ein reges Gemeindeleben. Im Interview spricht Privatdozentin Dr. Rosemarie Sackmann, die Spezielle Soziologie und Empirische Sozialforschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg gelehrt hat und jetzt an der Martin-Luther-Universität Halle (Saale) tätig ist, darüber, was für eine gute Integration erforderlich ist, was hinderlich ist und welchen Beitrag die Missionen leisten können.

POW: Können fremdsprachige Missionen der katholischen Kirche dazu beitragen, den Menschen das Ankommen in Deutschland zu erleichtern?

Privatdozentin Dr. Rosemarie Sackmann: Diese Gemeinden sind generell eine gute Sache und leisten einen wertvollen Beitrag zur Integration. Auch sind sie oft Börsen für alles Mögliche: Arbeitsplätze, wie man sich auf dem Amt verhält oder wo der nächste Arzt zu finden ist. Dort können sich die Migranten auch ganz selbstverständlich bewegen ohne ständig zu überlegen: Wie muss ich mich hier verhalten? Was wird von mir erwartet? Und gerade bei Religion ist das umso wichtiger. Da ist die Ausdrucksform ja von größter Bedeutung, die Art wie man singt und betet. Deshalb sollte man gerade diesen Bereich nicht nur rein instrumentell sehen, sondern auch in seiner eigenen Gültigkeit. Dass die Menschen in ihrer Muttersprache und mit eigenen kulturellen Abläufen agieren wollen, sollte man nicht leichtfertig abtun. Dabei bietet die Kirche Unterstützung meist über das Materielle hinaus. Das wirkt stabilisierend und kann die Integration fördern.

POW: Besteht nicht die Gefahr, dass die Migranten dann nur unter sich bleiben?

Sackmann: In diesen Gruppen hält sich anfangs natürlich die Muttersprache. Genau das macht es ja so angenehm, da sich die Einwanderer dort ausdrücken können und wirklich verstanden werden. Wenn man mal länger im Ausland war, merkt man schnell, was es für eine Anstrengung ist, in einer Fremdsprache zu kommunizieren. Es kann sein, dass, wer sich sehr viel in diesen Gruppen aufhält, vielleicht später  die neue Sprache lernt. Aber in der Regel decken Gemeinschaftsbeziehungen ja nicht jeden Bereich des Lebens ab. Normalerweise findet über den Arbeitsmarkt der Kontakt zur Gesellschaft statt. Nur wenige Migranten bleiben auch bei der Arbeit unter sich. Es gibt Forschungen aus den USA, die belegen, dass man sich in der Gesellschaft bestens integrieren und gleichzeitig in Gemeinschaften leben kann.

POW: Sind alle Wissenschaftler dieser Meinung?

Sackmann: Es wird in der Forschung darüber diskutiert, ob eine so genannte Binnenintegration – die Einbindung der Migranten in herkunftslandbezogene Sozialbeziehungen wie zum Beispiel Katholische Missionen – die Integration fördert oder nicht. Kaum jemand bestreitet, dass diese Form zumindest für eine gewisse Zeit sinnvoll und hilfreich ist. Es wird eher darüber diskutiert, wie lange und wie intensiv Migranten in eigenen Gemeinden, Gruppen oder Vereinen bleiben sollten. Ich tendiere dazu zu sagen, dass nichts dagegen spricht, sich auch ein Leben lang in diesen Gruppen zu bewegen. Diese werden erst problematisch, wenn der Ausstieg mit zu hohen Kosten verbunden ist, der Betroffene in der Folge zum Beispiel geächtet wird. Handelt es sich aber um freiwillige Gemeinschaften, halte ich sie sogar für förderlich. Sie bieten einen Komfort-Raum. Integration ist bereits Stress genug, da sollte es den Migranten so angenehm wie möglich gemacht werden.

POW: Der Begriff Integration ist in aller Munde. Was bedeutet Integration und wie hat sich der Begriff über die Jahre gewandelt?

Sackmann: Während Integration einen Prozess des Zusammenwachsens beschreibt, wurde früher der Begriff Assimilation verwendet, das einseitige Anpassen an eine Gesellschaft. Es wurde lange darüber diskutiert, ob man auf Zuwanderer einen Assimilationsdruck ausüben sollte oder nicht. Davon ist man aber glücklicherweise abgerückt. An die Stelle der Assimilation ist der Begriff der Integration getreten. Integration bezeichnet einen doppelseitigen Prozess, das heißt, es wird hervorgehoben, dass auch die Zuwanderungsgesellschaft bereit zur Aufnahme sein muss. Gegenseitige Akzeptanz steht also im Vordergrund. Der Begriffswandel geschah um die Jahrtausendwende. Dass man allerdings mit Integration auch wirklich Integration und nicht Assimilation meint, ist noch relativ neu.

POW: Wie lange dauert es, bis Einwanderer im neuen Land angekommen sind?

Sackmann: Die Integration im Sinne von „Hier bin ich zu Hause“ findet relativ schnell statt. Dafür sind die Selbstverständlichkeiten des alltäglichen Lebens wichtig. Es geht darum, dass man weiß, wo der Bus fährt, wie man sich in einem Laden verhält, wie man in Arbeitspausen zusammensitzt. Es geht um Alltag. Wenn jemand fünf Jahre in einem anderen Land gelebt hat und wieder zurück ins Herkunftsland geht, wandert er ein zweites Mal aus. In der Regel ist auch die Identifikation mit dem Zuwanderungsland gerade in der ersten Generation sehr hoch. Anders sieht es manchmal in der zweiten Generation aus. Diese Menschen sind in Deutschland geboren und fühlen sich zugehörig, haben aber nicht immer das Gefühl, auch als Deutsche behandelt zu werden. In der dritten Generation kann man von einer vollständigen Integration sprechen. Das Einwanderungsland wird dann eher zur Faszination. „Was die Kinder vergessen, daran wollen die Enkel erinnern“, heißt es.

POW: Was erschwert eine gute Integration?

Sackmann: Eine „Ghettobildung“ sollte unbedingt vermieden werden. In solchen Gebieten haben es Migranten schwer, sich in die neue Gesellschaft einzufühlen, weil Ghettos auch immer Armutsghettos sind. Es geht dabei nicht um die ethnische oder religiöse Konzentration, das Problem ist Armutskonzentration. Zum Glück haben wir in Deutschland keine richtigen Ghettos, wie es sie zum Beispiel auch heute noch in den USA gibt. Es wird an vielen Stellen viel gemacht, um das hierzulande zu verhindern.

POW: Was sagen Sie zu deutschen Bürgern, die sich schwer damit tun, Ausländer in ihrer Gesellschaft aufzunehmen?

Sackmann: Dass die Welt – und damit auch Deutschland – immer bunter wird, das darf den einen oder anderen schon irritieren. Weil es Gewohnheiten verändert und alles Neue erst einmal fremd ist. Wir sind Irritationen ausgesetzt und das führt dazu, dass wir uns gestört oder unbehaglich fühlen. Das ist ganz normal, das sollte man auch akzeptieren. Solche Gefühle gehen aber auch wieder vorüber, das Neue und Ungewohnte wird normal.

POW: Ist Integration also ein automatischer Vorgang?

Sackmann: Ja, wenn sie nicht aktiv verhindert oder durch Diskriminierung erschwert wird, läuft Integration ganz von selbst ab. Aber der Aufbau von institutionellen und organisatorischen Strukturen einer Willkommenskultur kann für alle Seiten die menschlichen und ökonomischen Kosten von Integrationsprozessen erheblich senken. Aktive Unterstützung der Integration ist also durchaus wünschenswert.

Interview: Sarah Jehle (POW)

(4615/1154; E-Mail voraus)

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