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„Tansania ist Kinderland“

Interview mit Benediktinerabt Anastasius Reiser von der Abtei Peramiho zu Veränderungen in Kirche und Gesellschaft Tansanias – „Die Großfamilie bricht total auf“ – Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 17 Jahre alt – Kultureller Wechsel in Abtei Peramiho – Großer Rückhalt aus Deutschland im Partnerbistum spürbar

Peramiho/Münsterschwarzach (POW) Gesellschaft und Kirche in Tansania stehen vor großen Herausforderungen. Die Großfamilie bricht auseinander. Vor allem Kinder und Alte brauchen Unterstützung. Seit 2006 ist Benediktinerpater Anastasius Reiser (47) Abt der Benediktinerabtei Peramiho im Süden Tansanias. In folgendem POW-Interview, das in Peramiho geführt wurde, spricht er über das junge Partnerbistum Mbinga, die gesellschaftlichen Veränderungen in Tansania und den Umbruch in der Abtei Peramiho.

POW: Wie erleben Sie die junge Kirche von Mbinga, eine 25 Jahre junge Diözese?

Abt Anastasius Reiser: Die erste Generation der Verantwortlichen ist in Ruhestand getreten. Junge Priester, die teils in Deutschland ausgebildet wurden, sind jetzt in der Diözesanverwaltung am Ruder. Der neue Bischof John C. Ndimbo hatte einen guten Start. Er ist ein sehr zugänglicher Bischof. Er hat sehr positive Kritik bekommen – sowohl in der Diözese Mbinga, als auch in der katholischen Kirche in Tansania. In der Bischofskonferenz ist er für die Bildung zuständig – ein Zeichen, dass er dort etabliert ist. Die Diözese Mbinga profitiert sehr von der Partnerschaft mit Würzburg. Man merkt, dass Kirchen renoviert sind, Pfarrhäuser in Ordnung sind, mit Solaranlagen Strom für die Pfarrzentralen erzeugt wird. Den Leuten wird materiell geholfen, der Rückhalt aus Deutschland ist spürbar. Das ist ein großer Vorteil der Partnerschaft mit Würzburg. Das 25. Jubiläum der Diözese Mbinga war ein runder, stimmiger Festtag, ein sehr gutes Zusammenspiel aller Kräfte. Die Pfarreien waren auf das 25. Gründungsfest der Diözese Mbinga gut vorbereitet.

POW: Das Christentum ist schon länger in der Region – über 100 Jahre. Ist es auch angekommen bei den Menschen?

Reiser: Ich denke schon, dass das Christentum in der Region Mbinga angekommen ist. Die Menschen haben einen tiefen Glauben, sie beten zum christlichen Gott und sind in den meisten Gebieten des Bistums Mbinga katholisch. Traditionell gibt es aufgrund der Missionierungsgeschichte am Njassa-See Anglikaner, da findet Interkonfessionalität statt. Die Naturreligion spielt natürlich auch immer wieder eine Rolle. Beispielsweise wenn es um Initiationsriten der Jugendlichen geht oder bei unheilbaren Krankheiten. Da fragt man doch mal die Zauberin oder den Zauberer. Rudimentär ist hier noch der alte Glaube präsent. Im Alltagsleben aber nicht. Ein Problem ist die Bildung. Man merkt den säkularen Einfluss bei der Jugend. Die Technik und die Großstadt ziehen mehr als die christliche Sozialisierung. Wenn diese aber wegfällt, bleibt wenig ethisches Handeln zurück. Die Frage stellt sich: Wie sieht mein Umgang mit dem Nächsten aus? Die Umsetzung der christlichen Botschaft im Alltag ist noch eine große Aufgabe.

POW: Beobachten Sie Umbrüche in der Gesellschaft Tansanias?

Reiser: Die Großfamilie bricht total auf. Es gibt sie noch, wo Großeltern, Eltern und Kinder unter einem Dach leben. Aber schon wenn die Kinder in die weiterführende Schule in der nächsten Stadt gehen, sind sie weg. Problem ist die Sterblichkeit, vor allem Aids. Die Elterngeneration fehlt mittlerweile in manchen Gegenden Tansanias. Kinder müssen ohne Eltern aufwachsen. Sie leben dann bei den Verwandten. In diesem Fall funktioniert die Großfamilie noch. Ein Problem ist, wenn die Kinder eine berufliche Karriere machen und in die Stadt ziehen: Dann sitzen die Eltern arm zuhause, vergessen von ihren etablierten Kindern. Diese versorgen die Eltern nicht mehr. Das Solidaritätsempfinden schwindet. Hier findet ein Bruch der Großfamilie statt.

POW: Wer fängt dann die Alten auf?

Reiser: In Peramiho haben wir ein Caritassystem eingerichtet. Mitarbeiter gehen in die Dörfer und schauen nach allein lebenden älteren Menschen, die Hilfe brauchen. Das sind nicht immer die, die betteln und nach Hilfe rufen. Wir versuchen, die gröbste Not zu lindern und die Großfamilie wieder zu aktivieren, damit sie ihrer Aufgabe nachkommt.

POW: Ihre Abtei wird zunehmend afrikanischer. Wie klappt dieser Übergang von den europäischen Missionaren zu den einheimischen Brüdern?

Reiser: In jeder Gemeinschaft gibt es immer das Generationenthema. Es ist normal, dass die junge Generation in die Verantwortung tritt. Bei uns kommt der kulturelle Unterschied hinzu. Bis 1985 war Peramiho eine rein deutsche, europäische Abtei in Afrika. Jetzt ist die Abtei afrikanisch mit einigen wenigen deutschen Missionaren. Da entsteht ein kultureller Wechsel. Diesen müssen wir gestalten und damit umgehen.

POW: Wie zeigt sich dieser Wechsel?

Reiser: Das geht schon beim Essen los. Es wird afrikanischer gekocht. Die Liturgie ist freudiger. Es wird getanzt und geklatscht bei großen Festen. Stärker merkt man den Unterschied bei Entscheidungsprozessen. In Gremien und Sitzungen wurde im deutschen Kontext schnell abgesprochen und entschieden. Bei den Afrikanern muss man viel mehr miteinander reden und erklären. Die Entscheidungsprozesse dauern viel länger. Sitzungen unter vier Stunden sind eine Seltenheit. Atmosphärische Unterschiede muss man viel stärker in den Blick nehmen und ganz vorsichtig jonglieren und behutsam miteinander umgehen.

POW: Wie klappt es in den über 30 Betrieben der Abtei?

Reiser: Die Wirtschaftlichkeit wird gewährleistet. Die Betriebe tragen sich weitgehend selbst. Bei der Landwirtschaft ist es wichtig, dass sie keine allzu großen Verluste macht. Sie ist defizitär. Hier stehen wir in Konkurrenz mit dem Weltmarkt. Wir müssen schauen, dass die Ausgaben durch die Einnahmen zumindest gedeckt werden. Die Wirtschaftlichkeit ist eine große Herausforderung. Kritik und Kontrolle sind neu in der afrikanischen Kultur, aber wichtig. Wir führen jetzt alle drei Monate eine Finanzbesprechung durch, um kontinuierlich den Überblick zu haben. Hier muss ich sehr stark mit Lob arbeiten und motivieren. Wir haben die meisten Betriebe an afrikanische Mitarbeiter übergeben. Ich bin zuversichtlich. Wir sind auf einem guten Weg.

POW: Kann sich die Abtei künftig selber tragen oder ist sie nach wie vor auf Spenden aus Deutschland angewiesen?

Reiser: In Peramiho gibt es Projekte für die Menschen, Projekte der Entwicklungshilfe – beispielsweise das große Krankenhaus oder die Wasserversorgung. Hier sind wir nach wie vor auf Spenden angewiesen. Unsere Betriebe selbst stehen in Konkurrenz zu anderen Betrieben im Land und müssen professionell arbeiten, ansonsten geht die Kundschaft weg – beispielsweise die Druckerei. Da stehen unsere Betriebe ganz gut da.

POW: Gibt es Pläne für die künftige Energiegewinnung der Abtei?

Reiser: Wir müssen Photovoltaik installieren. Es gibt Pläne für eine 150-Kilowatt-Anlage für Peramiho. Da sind hohe Investitionskosten notwendig, die ohne Spenden nicht zu finanzieren sind. Die Betriebe produzieren keinen solch großen Überschuss, um das zu finanzieren. Weiter ist Solarenergie für Warmwasser nötig. Wir haben ein Wasserkraftwerk. In der Trockenzeit nimmt der Flusspegel ab. Das Kraftwerk kann dann nicht den Strom produzieren, der nötig wäre, vor allem für das Krankenhaus. In der derzeitigen Trockenzeit muss der Strom mit Diesel produziert werden. 900 Liter Diesel fließen pro Tag in die Generatoren. Das ist zu teuer. Das können wir nicht bezahlen. Es gibt auch ein Versuchsfeld von 30 Hektar mit Jatropha-Anbau. Mit der Ölfrucht soll Energie gewonnen werden. Wind ist eine weitere Idee. Wir streben einen Energiemix an.

POW: Vor ihrer Haustüre entsteht die große Straße nach Mbinga ...

Reiser: Es ist ganz wichtig, dass die Straße kommt. Eine Straße gehört zur Infrastruktur des Landes. Ohne Teerstraße ist kein vernünftiger Handel möglich, besonders in der Regenzeit. Die Straße bringt Investitionen und Fortschritte für die Gegend. Nachteil ist der wachsende Straßenverkehr mit vermehrten Unfällen. Wir hatten viele schwere Motorradunfälle in letzter Zeit. Bei der Verkehrsausbildung ist noch ein großer Nachholbedarf da. Der Energiepreis ist in Tansania enorm gestiegen. Wir zahlen etwa einen Euro für einen Liter Diesel in einem Land, in dem der Durchschnittsverdienst am Tag einen Euro beträgt. Das ist untragbar für die Menschen in Tansania.

POW: Beim Straßenbau engagieren sich vor allem Chinesen …

Reiser: Drei Nationen bauen: die Engländer, die Amerikaner und die Chinesen. England und die USA beteiligen sich finanziell, China hat den Straßenbau übernommen. Jede der drei Nationen hat Interesse am Land und benötigt Bodenschätze. China hat ganz massive Interessen, in der Freihandelszone Waren nach Tansania zu importieren. Auf der anderen Seite brauchen sie Kupfer, Uran, Kohle, Edelsteine, seltene Erden. Hier steht ein massives Interesse dahinter. Interessant war auch, dass der erste Bauabschnitt der Teerstraße bis zur Abzweigung zur großen Kohlemine und zum Eisenerzvorkommen sehr schnell fertig war. Uran gibt es in der Gegend von Mbinga und Liparamba. Hier haben vor allem die USA großes Interesse. Sehr viele Regierungsmitglieder Tansanias profitieren von den Verträgen mit anderen Ländern. Korruption ist ein großes Problem in Tansania – auf sehr verschiedenen Ebenen.

POW: In Deutschland blicken die Sternsinger bei ihrer Aktion zum Jahreswechsel besonders nach Tansania. Die bundesweite Eröffnung findet am 28. Dezember im Würzburger Dom statt. Was sagen sie den Kindern in Deutschland zu Tansania?

Reiser: Tansania ist ein Kinderland. Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 17 Jahre alt. Die Hälfte! Kinder brauchen Unterstützung, benötigen Bildung vom Kindergarten an. Wir unterstützen Kindergärten. Bildung soll vom Kleinkindalter an stattfinden. In den ersten Lebensjahren ist die Gesundheit sehr wichtig für die Kinder. Kinder sollen in die Schule gehen können, etwas zu Essen und zum Anziehen haben und Freude am Leben finden. Wenn ein Kind keine Freude erlebt, kann es auch als Erwachsener keine Freude haben.

Zur Person:

Anastasius Reiser wurde 1964 in Sinsheim, Kreis Rhein-Neckar, geboren und stammt aus Zeutern bei Karlsruhe. Nach einer Ausbildung als Mess- und Regelmechaniker und dem Besuch des Kollegs Sankt Pirmin in Sasbach, den er mit dem Abitur abschloss, trat er 1989 ins Kloster Münsterschwarzach ein. Seine ersten Gelübde legte er am 6. April 1991 ab. Anschließend studierte er Theologie in Würzburg. Bischof Dr. Paul-Werner Scheele weihte ihn 1999 zum Priester. Bis Herbst 2002 war Pater Anastasius Rektor im Lehrlingsheim Sankt Plazidus in Münsterschwarzach. Danach ging er für zwei Jahre nach Peramiho in Tansania, wo er im Verlag und in der Druckerei beschäftigt war. 2004 kehrte er nach Münsterschwarzach zurück. Dort war er bis zur Wahl zum Abt von Peramiho am 8. August 2006 als Magister für die zeitlichen Professen, erster Cantor der Choralschola und Webmaster tätig.

(3612/0912; E-Mail voraus)

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