Volkach/Würzburg (POW) „Schafft uns die Pflege?“: Mit dieser Frage hat sich der Familienbund der Katholiken (FDK) in der Diözese Würzburg am Donnerstagabend, 24. November, bei seinem diesjährigen Schlossgespräch auf der Hallburg bei Volkach im Landkreis Kitzingen auseinandergesetzt. Rund 50 Gäste aus der Kommunalpolitik, aus Selbsthilfegruppen oder Ehrenamtsinitiativen sowie Vertreter von Sozialstationen, Pflegediensten oder Einrichtungen diskutierten mit den Fachleuten auf dem Podium.
In der zunehmend alternden deutschen Gesellschaft wird das Thema Pflege in den nächsten Jahren immer dringlicher werden. Denn mit der Lebenserwartung steigt auch die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden. So sind bei den 70- bis 75-Jährigen rund fünf Prozent auf Pflege angewiesen, bei den über 90-Jährigen dagegen knapp 60 Prozent. Insgesamt beziehen in Deutschland aktuell rund 2,4 Millionen Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung. Mehr als zwei Drittel aller Hilfsbedürftigen werden dabei zuhause versorgt. Rund eine Million Pflegebedürftige werden ohne Inanspruchnahme professioneller Hilfe allein von ihren Angehörigen versorgt. Eine enorme Leistung, die oft bis an die Grenzen der eigenen Kräfte gehe und in der Gesellschaft viel zu wenig Wert geschätzt würde, sagte Claus Schreiner vom Familienbund, der den Abend moderierte.
Wie wird es in Deutschland in der nächsten Generation, also etwa in 30 Jahren aussehen? Einen mit viel Fakten und Daten untermauerten Vorausblick wagte Professor Dr. Anne Lenze von der Universität Darmstadt. Zum einen werde der Trend zur Professionalisierung der Pflege anhalten. Der Anteil der Pflegebedürftigen in Heimen werde sich von aktuell knapp einem Drittel auf über 50 Prozent fast verdoppeln. Zum anderen prognostizierte die Sozialrechtlerin deutlich steigende Kosten. Auch durch die geplante und dringend notwendige Erweiterung des Pflegebegriffs von den rein körperlichen Gebrechen auf den psychischen und sozial-emotionalen Bereich würden mehr Menschen Leistungen der Pflegeversicherung beziehen. Die deshalb für 2013 geplante Anhebung des Beitragssatzes um 0,1 Prozent werde zur Finanzierung längerfristig nicht ausreichen.
Mit dem bisherigen System, bei dem vor allem die Gering- und Normalverdiener die Hauptlast der Sozialversicherung trügen, sei zukünftige Pflege nicht finanzierbar. Die einzige Lösung sei eine solidarische Bürgerversicherung, in die alle Steuerpflichtigen einzahlten. Besonders ungerecht sei es, dass die Kindererziehung aktuell in der Sozialversicherung zu wenig honoriert werde. Wer zuerst zukünftige Beitragszahler groß ziehe und später dadurch nachweislich weniger Pflegekosten verursache, weil er von den eigenen Kindern unterstützt werde, könne selbst dabei nur weniger Beitrag einzahlen und erhalte später weniger Leistungen als Kinderlose. Eine Gerechtigkeitslücke, gegen die der Familienbund im Zukunft auch stärker politisch kämpfen wolle, sagte Gerlinde Martin, Vorsitzende des Arbeitskreises Familienpolitik des FDK.
Was Pflege für die Angehörigen konkret heißt, beschrieb Udo Schindler aus Volkach. Er pflegt seit fünf Jahren seine an Multiple Sklerose erkrankte Frau. Eine 24-Stunden-Aufgabe, die sich oft nur schwer mit dem normalen Arbeitsleben vereinbaren lasse. Schindler ist dankbar für das Entgegenkommen seines mittelständischen Arbeitgebers. Selbstverständlich ist das nicht: Denn die laut Gesetz mögliche Gewährung einer Pflegezeit ist eine freiwillige Sache. „Im Rahmen unseres lokalen ‚Bündnisses für Pflege’ versuchen wir hier Bewusstsein bei den Arbeitgebern zu wecken“, berichtete Kitzingens Landrätin Tamara Bischof. Zudem sah sie vor allem beim Schaffen fehlender Tages- und Kurzzeitpflegeplätze die Politik in der Pflicht. Hierdurch würden Angehörige konkret entlastet und vor Überforderung geschützt. Denn „wir kommen auch in Zukunft nicht ohne pflegende Angehörige aus“, unterstrich Bischof. Die Landratsämter oder Stadtverwaltungen müssten Pflegedienste, Einrichtungen, Selbsthilfegruppen und Ehrenamtsinitiativen vernetzen und so unbürokratische Strukturen schaffen, die pflegende Angehörige wirklich entlasteten.
„Wir müssen den Wunsch der Menschen ernst nehmen, so lange wie möglich zuhause zu bleiben“, forderte Georg Sperrle, Fachbereichsleiter des Diözesancaritasverbands Würzburg. Gleichzeitig gelte es, den älteren Menschen die Ängste vor Pflegeheimen zu nehmen. Das gelänge am besten durch eine Öffnung der Einrichtungen und eine gute Integration ins kommunale Leben.
Georg Ruhsert (FDK)
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