Verehrte Angehörige, liebe Schwestern und Brüder!
In seiner Bonner Zeit war Paul Bocklet sehr mit der dortigen Stadtpfarrei St. Johannes der Täufer verbunden; oft hat er dort Gottesdienst gefeiert. Nach seiner Rückkehr in die fränkische Heimat stand er hier in Fahr wieder in enger Beziehung zu einer Gemeinde, die den Vorläufer Jesu als ihren Patron verehrt. Ich sehe darin keinen bloßen Zufall; irgendwie steckt in der Gestalt des Täufers viel von dem, was Paul Bocklet im Leben und im Glauben wichtig war. Drei dieser Parallelen möchte ich gern aufgreifen und gewissermaßen als Vermächtnis an uns weitergeben.
1.Johannes der Täufer wird oft als „Vorläufer“ Jesu bezeichnet, der ihm den Weg bereitet hat. Das ist gewiss richtig, klingt aber einfacher, als es in Wirklichkeit ist. Denn das Profil des Johannes ist durchaus von Spannungen und Gegensätzen geprägt: Einerseits wird er als kraftvolle Persönlichkeit geschildert, die den Menschen klare Forderungen stellt und sie zur Umkehr ruft. Andererseits wird er in der Begegnung mit Jesus unsicher und bekommt Zweifel. „Bist du es, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten? (Joh 7,19). Diese Frage lässt er kurz vor seinem Tod über seine Jünger an Jesus stellen. Sendungsbewusstsein und Zweifel - ich habe diese Spannung durchaus auch bei Paul Bocklet erlebt. Er konnte in allen seinen priesterlichen Tätigkeiten – vor allem als Landvolkseelsorger, Domkapitular oder als Verbindungsmann zwischen Kirche und Staat - kraftvoll agieren und Glaubensstandpunkte nachdrücklich in Politik und Gesellschaft vertreten. Gleichzeitig war er aber stets auch in seinen vielen Kontakten ein Mit-fragender und Mit-suchender, der nicht einfach kirchliche Positionen verteidigen, sondern in einer zunehmenden komplizierter werdenden Zeitsituation Wege erschließen wollte, auf denen der Glaube im öffentlichen Leben zu vermitteln war. Etwas vermitteln kann aber nur, wer nicht einfach faule Kompromisse schließt, sondern aus der Mitte lebt - aus der Bindung an Jesus Christus als der entscheidenden Verbindung, die im Leben trägt. Paul Bocklet hat als Mensch und Priester immer wieder die Erfahrung gemacht, die Johannes den Täufer kennzeichnet: Dass wir mit Jesus nie fertig sind, weil er uns immer in neuer Weise begegnet; dass unsere eigene Berufung zu Vor-läufern Jesu oft genug in Vor-läufigkeiten stecken bleibt und dass er uns doch immer wieder gerade in dieser Vorläufigkeit zu Vor-Läufern auf das Endgültige macht, nämlich auf das Reich Gottes hin, das größer und weiter ist als das begrenzte Fassungsvermögen unseres menschlichen Horizontes. Paul Bocklet hat glaubhaft vorgelebt, wie sich diese Spannung aushalten lässt - gerade deshalb war der Glaube für ihn stets von neuen eine spannende Sache, die nie in bloßer Gewohnheit erstarrt ist. Wenn wir diesen Impuls verinnerlichen, ist das die beste Art der Erinnerung an ihn.
2.Mit Johannes dem Täufer verbindet sich weiterhin das Bild der Wüste, die als Ort seines Auftretens geschildert wird (vgl. Mk 1,4). „Wüste“ hat dabei eine doppelte Bedeutung: Sie ist einerseits ein Ort der Lebensbedrohung, wo nichts wächst und gedeiht, wo leicht die Orientierung verloren geht. Zum anderen kann Wüste aber nach dem Zeugnis der Bibel auch ein Ort intensiver Gottesbegegnung sein, aus der dann die Lebensorientierung wieder neu gelingt. Ich weiß aus Gesprächen mit Paul Bocklet, dass er das Bild der Wüste nicht selten auf die Situation des Glaubens in einer gewandelten Gesellschaft übertragen hat: Einerseits litt er unter einer zunehmend spürbaren Glaubensverdunstung, die sich darin zeigt, dass kirchliche Positionen und christliche Grundüberzeugungen immer weniger das öffentliche Leben prägen. Andererseits verglich er die Aufgabe des Christen im öffentlichen Leben mitunter mit der eines Kundschafters, der anderen hilft, in der Wüste Oasen zu entdecken, die Orientierunspunkte und Kraftquellen sind. So, wie die Sendung Johannes des Täufers in der Wüste ihr Profil erhielt, hat sich auch der Dienst von Paul Bocklet in Schwierigkeiten und Herausforderungen bewährt, die er mit wachem Geist gesehen und bewusst angenommen hat. Von seiner Bereitschaft her, den „Wüstensituationen“ in der Welt nicht auszuweichen, stellt sich nur die Frage: Kann ich ernst damit machen, dass Gotteserfahrung und Lebensorientierung nicht nur und nicht einmal vorrangig in blühenden Zeiten möglich sind, sondern häufig in den Krisenzeiten des Lebens, auf mühsamen Wegen und Durststrecken, in Zeiten, wo sich scheinbar nichts mehr abspielt... Bin ich bereit, meinen Glauben solchen Herausforderungen, solchen persönlichen „Wüstensituationen“ auszusetzen, in denen es auch Krisen und Konfrontationen gibt, oder beschränkt sich mein Glaube auf die bloße Bestätigung durch Gleichgesinnte? Ich meine jedenfalls, dass wir Paul Bocklet für sein ganzes Bemühen am besten dadurch danken können, indem wir immer wieder neu nachdenken und so sensibel werden für die Chancen des Glaubens in einer gewandelten Zeit.
3.Schließlich nehme ich bei Johannes dem Täufer eine weitere Eigenschaft wahr, die bemerkenswert ist: Er kann abgeben. Er nimmt sich selbst zurück, als Jesus auftritt und gibt sogar einen Teil seiner Jünger an ihn ab. (vgl. Joh 1, 35-37) Dieses Abnehmen setzt sich fort, als ihm durch die Gefangenschaft jede äußere Wirksamkeit genommen wird. Solche Erfahrungen auszuhalten ist nicht leicht und erfordert ein hohes Maß an menschlicher und geistlicher Reife, gerade in einer Zeit, in der Selbstbehauptung und Durchsetzungsvermögen viel gelten. Ich meine, dass sich diese Seite an Johannes dem Täufer durchaus wieder in Beziehung zu Paul Bocklet setzen lässt. Auch sein Leben war zunehmend von Abgeben und Abnehmen geprägt: In seiner Vermittlungstätigkeit zwischen Staat und Kirche hat er oft Prozesse begleitet und und Erkenntnisse formuliert, die dann andere in der Öffentlichkeit vortrugen, während er im Hintergrund blieb. Er hat das bewusst akzeptiert und hat mitunter scherzhaft bemerkt, sein Charisma sei das des Ideen - und Ratgebers, die Umsetzung in konkrete Ergebnisse müssten andere vornehmen. Er litt nicht darunter, sondern hat diesen zurückhaltenden Vermittlungsdiest als seine Sendung bewusst angenommen. Denn es ging Paul Bocklet nicht um Selbstverwirklichung oder gar Geltungssucht, sondern darum, dass der unser Glaube in der Wirklichkeit ankomt. Er blieb ihm aber auch die Erfahrung des Abnehmens nicht erspart, als in den letzten Jahren seine geistigen und körperlichen Kräfte spürbar zu schwinden begannen. Diese Erfahrung war für ihn und auch für jene, die ihn kannten und schätzten, gewiss sehr belastend. Aber er durfte in dieser Zeit noch einmal in neuer und ganz in intensiver Weise Zuwendung und Annahme erfahren. Ich erinnere mich daran, wie Paul Bocklet, als ich ihn in der Phase zunehmender Beschwernisse einmal besuchte, mir ein Bild mit der bekannten Grünewald - Darstellung Johannes des Täufers zeigte, das in seinem Brevier lag. Unter dem ausgestreckten Finger des Johannes, der auf Jesus weist, steht das Schriftwort: „Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden“ (Joh 3,30). Paul wiederholte seinerzeit mehrmals den Satz: „Ja, das ist wichtig, darauf kommt es an“. Ich denke, auch dieses Abgeben und Abnehmen können im Glauben, diese bewusste „Spiritualität des Kleinerwerdens“, damit Jesus zur Geltung kommt dürfen wir als prägende Einsicht in das Leben des Priesters Paul Bocklet und gleichzeitig als Perspektive für unseren eigenen Weg mitnehmen.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Zu den Ereignissen, an die sich Paul Bocklet besonders gern erinnerte, zählt die Würzburger Synode, die damals das Zweite Vatikanum in die konkrete Situation bei uns in Deutschland umsetzen sollte. In dem Dokument „Unsere Hoffnung“ stehen die Sätze: „Der Gott unseres Glaubens ist der Grund unserer Hoffnung, nicht der Lückenbüßer für unsere Enttäuschungen. ... Diese Hoffnung kommt nicht aus dem Ungewissen und treibt nicht ins Ungefähre. Sie wurzelt in Christus der für uns gestorben und auferstanden ist. Diese Hoffnung macht uns frei, füreinander dazusein“ Paul Bocklet hat aus dieser Haltung gelebt. Bitten wir für ihn, dass ihm nun die Erfüllung dieser Hoffnung geschenkt ist. Bitten wir für uns, dass diese Hoffnung uns immer wieder neu zu einen Glauben motiviert, der sich in der Liebe bewährt.
Amen.