Würzburg (POW) Über 50 Interessierte sind der Einladung von Domschule Würzburg und „pax christi“-Diözesanverband Würzburg zum Vortrag der Historikerin Dr. Anne-Marie Greving im Burkardushaus gefolgt. Sie erfuhren unter der Überschrift „Vergessen – verschweigen – erinnern?“ erschütternde Details aus der deutsch-italienischen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, heißt es in einer Pressemitteilung von „pax christi“.
Die Referentin, die selbst insgesamt 14 Jahre in Italien gelebt hat, erklärte mit profunder Sachkenntnis die Kriegsereignisse von September 1943 bis Mai 1945. Damals war Italien zweigeteilt in das Königreich Italien im Süden und das faschistische Norditalien. In dieser Zeit gab es einen Bürgerkrieg und die Alliierten rückten von Süditalien aus vor. Eine Million Soldaten der Wehrmacht und der SS versuchten, das Vorrücken zu stoppen und die Tätigkeit von Partisanen zu unterdrücken. Dabei gingen Wehrmacht und SS immer wieder gleich vor: Auf Repressalien gegen die Zivilbevölkerung folgte die Deportation von Zwangsarbeitern nach Deutschland und darauf Ort für Ort planmäßige Massaker an der Zivilbevölkerung, an Frauen, alten Menschen und Kindern.
Nach dem Krieg wurden diese Verbrechen zunächst zwar von den Alliierten dokumentiert, aber sowohl von deutscher als auch von italienischer Seite her verschwiegen. Erst in den 1990er Jahren begann in Deutschland eine systematische wissenschaftliche Aufarbeitung der Kriegsverbrechen, in Italien wurde erst 1993/94 in Rom der „Schrank der Schande“ mit den Dokumentationen der Massaker wieder aufgefunden. Damit konnte die gerichtliche und historische Aufarbeitung der Verbrechen beginnen.
Eine deutsch-italienische Historikergruppe erstellte bis 2016 den „Atlas des Grauens“: im Internet kann man heute genau nachschauen, welche Verbrechen wo begangen wurden. Erst seit 2002 besuchten deutsche Politiker Orte von Massakern in Italien.
Immer wieder schlug Greving die Brücke zur Lokalgeschichte in und um Würzburg. Die Referentin verwies zum Beispiel darauf, dass bei Koenig und Bauer noch im Herbst 1944 rund 500 italienische Zwangsarbeiter beschäftigt waren. Im Anschluss an den Vortrag wurden zum Teil sehr persönliche Geschichten erzählt. Eine Frau berichtete, ihr Vater habe als Soldat aus Italien in Briefen seine Hoffnung auf Frieden ausgedrückt. Ein Mann erzählte davon, dass ein früherer Soldat, den er beim Sterben begleitete, immer wieder Italien und den Krieg erwähnte, ohne genau sagen zu können, was ihn quälte.
Ernst waren die Antworten der Referentin auf die Frage, wie die aktuelle italienische Politik zu diesem Thema stehe. Schätzungsweise 30 bis 40 Prozent der italienischen Wähler würden heute die rechtsgerichtete Lega wählen. Das werde sicher Auswirkungen haben: nicht nur auf Städtepartnerschaften, sondern auch beispielsweise auf die Lehrpläne der Schulen. Möglicherweise sei auch das eine Folge der bis heute fehlenden Aufarbeitung des italienischen Faschismus.
(1719/0429; E-Mail voraus)
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