Würzburg/Bangkok (POW) Robert Neuendorf (29), ein gebürtiger Berliner, der jetzt in Bangkok lebt, hat 2004 die Webseite beichthaus.com gestartet, auf der anonyme Beichten veröffentlicht werden. Bei dem selbstständigen Marketing-Kommunikationswirt gehen nach eigenen Angaben pro Monat zwischen 2000 und 4000 ganz unterschiedliche Geschichten ein, von denen ein Zehntel veröffentlicht wird. Im Interview spricht der evangelische Christ über seine Gründungsidee, über den Erfolg der virtuellen Beichte und darüber, was vielleicht die katholische Kirche vom Beichthaus lernen kann.
POW: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Beichthaus zu eröffnen?
Robert Neuendorf: Viele Menschen wollen im Internet etwas loswerden, was sie in der Offline-Welt ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis niemals offen sagen könnten. Hier haben sie die Möglichkeit, sich den Kummer von der Seele zu schreiben. Auch wenn die Beichten im Beichthaus anonym abgegeben werden, erhält der Schreibende eine große Aufmerksamkeit von den Lesern in den Folgekommentaren. Der Beichtende erhält also gleich mehrere Rückmeldungen und Meinungen von anderen.
POW: Warum benutzen Ihrer Meinung nach so viele Leute Ihr Beichthaus?
Neuendorf: Viele Menschen lieben das Beichthaus, weil sie teilhaben möchten an dem, was andere Menschen erleben, denken und fühlen. Beichthaus ist ein Ort, an dem sich die Menschen gegenseitig helfen können.
POW: Ist Ihr Beichthaus als reiner Spaß gedacht, oder wie viel Ernst ist dabei?
Neuendorf: Beichthaus ist keineswegs als reiner Spaß gedacht. Der Grundgedanke ist jedem Menschen, egal welchen Glauben er hat, eine Plattform zu bieten, auf der er seinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Vielen Menschen tut es in schwierigen Situationen gut, sich den Kummer von der Seele zu schreiben. Für viele ist dies die einzige Möglichkeit etwas loszuwerden.
POW: Wie gläubig sind Sie?
Neuendorf: Ich bin getauft und konfirmiert, schaffe es aus beruflichen Gründen aber leider nur zu Feiertagen wie Ostern oder Weihnachten, zu Gottesdiensten zu gehen. Ich gehe aber durchaus schon mal allein in die Kirche und lasse die Ruhe und die ganze Atmosphäre auf mich einwirken. Manchmal gibt es auch bei jedem Menschen eine Art von Glauben, wenn man in einer Notsituation an seinen ganz persönlichen Engel appelliert, dass er helfen soll. Ich bin also schon auf spirituelle, emotionale Weise gläubig.
POW: Was ist Ihrer Meinung nach überhaupt eine Sünde?
Neuendorf: Jeder Mensch definiert eine Sünde sicherlich anders. Daher kann ich auch gar nicht genau sagen, was ist nun Sünde und was nicht. Da gehen die Meinungen auseinander. Auch auf meinem Portal gehen die Auffassungen, wann etwas eine Sünde ist, sehr stark auseinander. Ich glaube, es hängt viel von der eigenen Moralvorstellung ab.
POW: Welche Sünden sind die häufigsten im Beichthaus?
Neuendorf: Die häufigsten Sünden, die im Beichthaus gebeichtet werden, handeln vom Fremdgehen. Für die meisten Männer und Frauen ist das die größte Sünde, und gerade junge Menschen bedrückt dieses Thema sehr. Es wird viel darüber diskutiert.
POW: Denken Sie, dass der Mensch irgendwann für seine Sünden büßen muss?
Neuendorf: Dies kommt auf die Größe der Schuld an. Ich denke, dass jeder Mensch, der seine Taten bereut und versucht, sie wieder gut zu machen, eine Chance auf Vergebung verdient hat.
POW: Überprüfen Sie persönlich alle Beiträge?
Neuendorf: Bevor eine Beichte freigeschaltet wird, muss sie kontrolliert werden. Dafür gibt es strenge Regeln, die die Qualität des Portals aufrecht erhalten sollen. Politische, pornografische oder offensichtliche Fantasiebeichten werden nicht veröffentlicht. Auch Beichten mit zu vielen Rechtschreibfehlern kann ich aus Zeit- und Kostengründen leider nicht veröffentlichen.
POW: Wie viele Geständnisse sind Ihrer Meinung nach wirklich wahr, wie viele erfunden?
Neuendorf: Oftmals ist schon am Schreibstil zu sehen, ob etwas ernst gemeint ist oder nicht. Viele Beichten mögen beim Leser sicherlich den Anschein erwecken, nicht der Wahrheit zu entsprechen. Jedoch sollte man bedenken, dass eine Sünde in der Regel auch etwas Außergewöhnliches ist, was nicht jeden Tag passiert. Verschiedene Menschen – verschiedene Lebenssituationen. Dementsprechend ungewöhnlich können die Geständnisse und Erlebnisse dann auch sein.
POW: Die meisten der Autoren scheinen ihre Missetaten gar nicht zu bereuen. Was meinen Sie: Woran liegt das?
Neuendorf: Für einige Autoren ist es wie ein eigenes Schutzschild zu sagen, dass die eigene Beichte ja eigentlich gar nicht so schlimm ist. Die Tatsache, dass diese Beichte aber doch geschrieben wurde, weist meist darauf hin, dass der Autor sich mit der Tat beschäftigt und er es letztendlich eben doch bereut.
POW: Was haben die katholische Beichte und Ihr Beichthaus gemeinsam?
Neuendorf: Das Beichthaus ersetzt natürlich nicht das Gespräch mit einem Priester, einem Seelsorger oder einer anderen Vertrauensperson. Es nimmt den Menschen aber oft eine seelische Last ab. Allein über ein Problem zu schreiben wirkt befreiend. Zudem können die vielen anderen Nutzer hilfreiche Ratschläge und Lösungswege vorgeben, die eine einzelne Person vielleicht nicht geben kann. Dennoch wird auf der Website natürlich auch auf die Einrichtungen der evangelischen und katholischen Kirche hingewiesen.
POW: Hätten Sie einen Tipp für die katholische Kirche, was sie machen könnte, damit wieder mehr Leute beichten gehen?
Neuendorf: Sicherlich sollte auch die katholische Kirche das Internet nicht vernachlässigen. Für viele Menschen sind die Hemmungen sehr groß, in die Kirche zu gehen, um eine Beichte abzulegen. Zudem wissen heute gerade junge Menschen gar nicht, wo und wann das Angebot der Kirche genutzt werden kann. Würden die Menschen mehr darüber informiert werden, so würden auch mehr Leute beichten gehen.
(0909/0262; E-Mail voraus)