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„Von dem Einen, der starb, damit die Vielen das Leben haben“

Interview mit Bischofssekretär Simon Mayer zu seinem neuen Buch „Auf Leben komm raus“ mit Betrachtungen zur Lohrer Karfreitagsprozession

Würzburg/Lohr am Main (POW) Betrachtungen zu den einzelnen Figuren der großen Lohrer Karfreitagsprozession hat Domvikar Simon Mayer (32), Sekretär von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann, in dem Buch „Auf Leben komm raus“ geschrieben. Das Werk des aus Lohr am Main stammenden Priesters ist im Würzburger Echter Verlag erschienen. Mayer tritt in Dialog mit den einzelnen Figuren der Prozession und bietet umfassende Gedanken zur Passion Jesu Christi. Im folgenden Interview spricht Mayer über das Buch, über seine Beziehung zur Lohrer Karfreitagsprozession und über deren Botschaft.

POW: Was verbindet Sie mit der Lohrer Karfreitagsprozession?

Simon Mayer: Ich bin in Lohr geboren und in einer Handwerkerfamilie aufgewachsen, die über Generationen eng mit der Lohrer Karfreitagsprozession verbunden ist. Meine Familie betreut eine der Figuren, die „Ecce-Homo“-Darstellung, die der Metzgerinnung zugeordnet ist. So gehörte die Prozession zum Jahresablauf und zum Leben dazu. Ich kann mich an keinen Karfreitag erinnern, wo ich nicht bei der Prozession mitgelaufen wäre: als kleines Kind mit meinem Vater hinter der Figur der Metzger her, als Ministrant über viele Jahre mit dem Kreuz vorweg und jetzt bei den Priestern hinterher. Im vergangenen Jahr habe ich die Prozession deshalb auch zum ersten Mal von außen, an mir vorbeiziehen sehen, als Weihbischof em. Helmut Bauer sie besucht hat. Wir haben sie zusammen mit Stadtpfarrer Johannsen von außen angeschaut, bevor wir uns dann eingereiht haben.

POW: Was ist das Besondere dieser Prozession?

Mayer: Die Lohrer Karfreitagsprozession ist die letzte und größte ihrer Art. In der Vergangenheit gab es viele solcher Karfreitagsprozessionen auch im Bistum Würzburg, sei es in Würzburg selbst, in Aschaffenburg oder in Kitzingen. Als einzige hat die Prozession in Lohr überlebt und alle Versuche überstanden, sie abzuschaffen, die es in der Zeit der Aufklärung und im 19. Jahrhundert gab. Sie ist tief im Bewusstsein der Lohrer und der umliegenden Bevölkerung verwurzelt. Sie ist eigentlich primär keine kirchliche Prozession. Die einzelnen Figuren, die mitgetragen werden, sind früher den Handwerkszünften und heute den Innungen, bestimmten Berufszweigen und Gruppierungen zugeordnet, die sich um den Erhalt der Figuren kümmern und die Träger stellen. So hat die Prozession im wahrsten Sinn des Wortes viele Träger. Es stellt für viele eine Ehre und auch eine Verpflichtung dar mitzutragen. Das ist das Eine. Das andere ist, dass die Prozession eine Botschaft hat. Sie erzählt in den einzelnen Figuren vom Leiden und Sterben Jesu, von dem Einen, der starb, damit die Vielen das Leben haben. Sie erzählen von einem Gott, der sich in die tödlichen Abgründe des menschlichen Lebens begibt, um die Menschen aus ihrem Leid, ihrer Not und ihrer Schuld zu befreien und ihnen Leben zu schenken. Gott macht in Jesus nicht halt vor dem Schrecken des Leids, vor der Brutalität der Menschen, vor dem Abgrund von Schuld und Sünde, sondern er durchlebt und durchleidet das, dass wir neu und befreit leben können. Diese Sehnsucht, die in den Menschen lebt, spricht die Prozession an und gibt die Ahnung einer Antwort.

POW: „Auf Leben komm raus“ – ein ungewöhnlicher Buchtitel: Was wollen Sie damit ausdrücken?

Mayer: Wer die Prozession als Ganze sieht oder einzelne Figuren für sich betrachtet, bekommt eine Leidensprozession vor Augen geführt. Das Leiden und Sterben Jesu wird bisweilen drastisch und in seiner abgründigen Brutalität und Menschenverachtung gezeigt. Aber das Ziel der Darstellungen ist nicht das Leid für sich und zuletzt der Tod. Es geht nicht darum, den Tod darzustellen, das wäre sadistisch, sondern es geht um das Leben, das aus diesem Tod Jesu für die Menschen erwächst; das Leben in einer neuen und ungeahnten Qualität, ein Leben, das letztlich von keinem Tod tot zu bekommen ist. Es ist die Verheißung des Lebens in Fülle – trotz Tod und sogar durch den Tod hindurch. Dieser Verheißung des Lebens in Fülle versuche ich in den Figuren nachzuspüren. Und alle zeigen irgendwie – manchmal mehr versteckt, manchmal offen – Spuren von einem Leben, das nicht tot zu bekommen ist. Sei es die Würde, die Jesus in der Figur der Verspottung ausstrahlt, sei es die Stärke, die der an der Geißelsäule zu Boden gegangene Jesus ausdrückt. Da sind zum Beispiel in der Dornenkrone der „Ecce-Homo“-Figur grüne Spitzen, also eher Knospen als Dornen, oder über dem Grab als der tödlichste und gottfernste Ort blickt das Auge Gottes auf den Leichnam Jesu. So betrachte ich die Figuren nach diesen Spuren des Lebens, die in ihnen aufleuchten, und frage sie nach der Hoffnung, die dieses Geschehen für die Menschen heute geben kann. Ich suche ganz bewusst, wo an diesen Leidensfiguren und damit im Passionsgeschehen Jesu selbst das Leben sichtbar wird und raus kommt.

POW: In den einzelnen Betrachtungen treten Sie mit einzelnen Figuren beziehungsweise Figurengruppen der Prozession in den Dialog. Mit welcher Figur „sprechen“ Sie dabei am liebsten?

Mayer: Am engsten bin ich von meiner Lebensgeschichte her mit der Figur der Metzgerinnung, der „Ecce-Homo“-Figur verbunden. Als Kind und Jugendlicher nahm mich jedes Jahr in den Tagen vor der Karfreitagsprozession meine Großtante mit in die Kapuzinerkirche, wo die Figuren das Jahr über stehen, um diese Station wieder sauber zu machen und für die Prozession herzurichten. Wenn man einer Figur auf diese Weise nahe kommt, entwickelt sich mit der Zeit auch eine Beziehung. Wie sehr mich diese Darstellung des „Ecce-Homo“-Christus auch in meiner Spiritualität geprägt hat, ist mir erst in meiner Zeit im Priesterseminar bewusst geworden. So war es dann nur folgerichtig, dass ich diese Figur für mein Primizbildchen verwendet habe und auch mein Primizspruch „Ecce Homo – Ecce Deus“ – „Seht der Mensch – Seht unser Gott“ ist von ihr inspiriert.

POW: Ist die Prozession auf dem aktuellen Stand oder müssten neue Akzente gesetzt werden?

Mayer: Die Lohrer Karfreitagsprozession ist dann auf dem aktuellen Stand, wenn sie den Menschen heute, die am Rande stehen und sie betrachten, oder denen, die die Figuren tragen, etwas sagt von dem Erlösungsgeschehen des Karfreitags damals in Jerusalem und von dem Leben, das uns dadurch – trotz Leid und Tod – geschenkt ist. Wenn sie das nicht mehr sagen kann, beziehungsweise wenn diese Botschaft nicht mehr verstanden werden kann, muss sich die Karfreitagsprozession ändern und sie wird sich auch ändern. In der Geschichte dieser Prozession hat es immer wieder solche Veränderungen gegeben, zum Beispiel wenn die Darstellung einer Station nicht mehr verstanden wurde oder wenn sich Betrachtungsweisen verändert haben. So hat diese Prozession als Tradition eine Kraft entwickelt, die ein Feuer weitergibt und nicht Asche hütet. Im Moment gibt es keine Bestrebungen, an den Figuren etwas zu verändern. Aber verschiedene Innungen sind dabei, neue Prozessionsstangen zu stiften, die auch bei der Karfreitagsprozession mitgetragen werden. Diese werden im Rückgriff auf ehemals vorhandene und im Laufe der Zeit verloren gegangene Prozessionsstangen mit den Patronen der Berufe gestaltet. Im vergangenen Jahr kam so die Stange der Metzger neu hinzu, in diesem Jahr wird es die Stange der Küfer sein; weitere stehen an. Dahinter steht der Wunsch dieser Berufsgruppen, weiter für und in der Prozession präsent zu sein, auch wenn die Organisationseinheiten der Innungen sich auf ein immer größeres Gebiet erstrecken und so der Bezug zu Lohr geringer wird.

POW: Weshalb zieht eine solche Prozession aus der Zeit der Gegenreformation im 17. Jahrhundert viele Menschen des 21. Jahrhunderts an?

Mayer: Viele Menschen kommen, weil sie etwas nahezu Einmaliges sehen wollen. Bei ihnen überwiegt die Neugierde. Sie erwarten etwas Folkloristisches, das man gesehen haben muss, das man fotografiert haben muss, von dem man erzählen können muss. Diese Menschen stehen oft am Ende als Betroffene da. Die Figuren und das dargestellte Geschehen haben sie im Innersten berührt und etwas zum Klingen gebracht. Sie haben gespürt, dass es hier um mehr geht, als einen religiösen Historienzug, sondern dass das, was da gezeigt wurde, etwas mit ihnen und ihrem Leben zu tun hat. Viele kommen dann immer wieder und es gehört bei ihnen zur Karwoche und den Ostertagen dazu, bei der Lohrer Karfreitagsprozession gewesen zu sein. Viele gebürtige Lohrer, die es im Leben an andere Orte verschlagen hat, kommen ganz bewusst am Karfreitagmorgen in ihre Heimatstadt, um die Prozession zu sehen, denn sie sagt ihnen was. Sie hat eine Botschaft und sie ist in unserer heutigen Zeit auch missionarisch, denn sie erzählt von dem, der starb, damit wir das Leben haben.

POW: Welche Botschaft hat die Prozession heute?

Mayer: Was die Prozession darstellt, das Leiden und Sterben Jesu – und damit dann auch verbunden seine Auferstehung am dritten Tag, als Hoffnungszeichen dargestellt in der Figur des Jona im Fisch – hat etwas mit dem Leben der Menschen zu tun. Was in der Prozession dargestellt ist, bezieht sich nicht nur auf ein längst vergangenes Geschehen in Jerusalem vor nahezu 2000 Jahren, sondern es hat etwas mit mir und meinem Leben heute zu tun. Auch heute erlebe ich Leid im eigenen Leben, Krankheit und Tod, Scheitern und Fallen, Schuld und Abgründe, die mein Leben betreffen. Das Passionsgeschehen zeigt, dass es da einen gibt, der das alles auch durchlitten hat und jetzt mit mir leidet und bei mir ist. Einer, der mir so eine neue Möglichkeit zum Leben eröffnet hat, einer, der mir auch in meinem Leiden die Spuren des Lebens zeigen kann, das nicht tot zu kriegen ist, weil Gott selbst es schenkt. Es zeigt, dass auch bei mir, trotz Schuld und Versagen, trotz Leiden und Krankheit, trotz Abgründen und Tod das Leben raus kommen will, das nicht tot zu bekommen ist.

Simon A. Mayer: Auf Leben komm raus. Betrachtungen zur Lohrer Karfreitagsprozession. Mit Fotografien von Helmuth Rößlein. 146 Seiten, 9,90 Euro. Echter Verlag, Würzburg 2011, ISBN 978-3-429-03409-2.

(1311/0357; E-Mail voraus)

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