Würzburg (POW) Leicht ist der Schritt für ihn nicht: In wenigen Wochen seine Gemeinden zu verlassen, den Pastoralen Raum, die Menschen, die ihm seit knapp zwei Jahren ans Herz gewachsen sind. „Meine Gefühlslage ist eher von Sorge bestimmt, wie es dort gut weitergehen kann, wo ich derzeit eingesetzt bin“, sagt er.
Die Sorge trägt er seit dem Tag in der Nuntiatur in Berlin Mitte März 2024, nachdem er kurz zuvor mit einer Pilgergruppe aus Assisi und Rom zurückkam. „Hiermit beehre ich mich ihnen mitzuteilen, dass Seine Heiligkeit Papst Franziskus Sie zum Titularbischof von Petina und Weihbischof in der Diözese Würzburg ernannt hat“, teilt ihm der Päpstliche Nuntius Erzbischof Dr. Nikola Eterovic mit. Aus dem Teampfarrer Paul Reder im Pastoralen Raum Schweinfurter Mainbogen mit Sitz in Heidenfeld wird von heute auf morgen der ernannte Weihbischof in Würzburg.
Die Möglichkeit einer Berufung, Jesus in der Lebensform des priesterlichen Dienstes nachzufolgen, bewegt Paul Reder schon in Schul- und Studienzeiten. Nach dem Abitur studiert er bis 1996 an der Universität Würzburg Katholische Theologie und Philosophie mit den Nebenfächern Pädagogik und Psychologie. Ins Priesterseminar tritt er aber nicht ein, noch nicht. „Wenn ich jetzt ins Priesterseminar gehe, löst sich die Situation zuhause auf“, wägt er ab, wo der an einer schweren Gehirnerkrankung leidende Vater in der Familie gepflegt wird.
Was sich mit der häuslichen Pflegesituation gut verbinden lässt, ist die Tätigkeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg, die er nach dem Studienabschluss 1996 aufnimmt. Zunächst arbeitet er am Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Altertums, Christliche Archäologie und Patrologie bei Professor Jakob Speigl, dann bei dessen Nachfolger Professor Franz Dünzl als Dozent. „Dünzl hat mich auch als Lehrerpersönlichkeit geprägt“, sagt Reder rückblickend. Zuletzt wirkt er ein Jahr als Assistent von Professor Otmar Meuffels am Lehrstuhl für Dogmatik.
In seiner Dozentenzeit übersetzt Reder den Kommentar von Thomas von Aquin zur Hebdomaden-Schrift des Boethius aus dem 13. Jahrhundert aus dem Lateinischen ins Deutsche. Reders Übersetzung mit Einleitung wird von Professor Andreas Speer vom Thomas-Institut in Köln betreut und 2009 in Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters als 18. Band veröffentlicht. Im selben Jahr stirbt Reders Vater. Ein neues Vertragsangebot von der Universität Würzburg führt ihn in die Entscheidung. „Mir war klar, dass die Frage nach einer priesterlichen Berufung noch offen ist und eine Antwort braucht“, erzählt er. So tritt Reder 2010 als 39-Jähriger ins Priesterseminar Würzburg ein, um seinen Berufungsweg zu klären.
Am 28. September 2013 weiht Bischof Dr. Friedhelm Hofmann Reder im Kiliansdom mit vier Mitbrüdern zum Diakon, am 7. Juni 2014 mit ihnen zum Priester. Die Primiz feiert Reder in seiner Heimatgemeinde Sankt Peter und Paul in Würzburg, Primizprediger ist Domdekan Prälat Günter Putz. Der Kontakt zu Putz geht auch über den seligen Georg Häfner, in dessen Seligsprechungsverfahren der Domdekan Postulator ist. Der selige Pfarrer Häfner gehörte der Studentenverbindung Unitas Hetania an, bei der auch Reder Mitglied ist. Für Reder ist Häfner ein Vorbild darin, Lebensentscheidungen bis in die letzte Konsequenz durchzutragen. Und er bewundert den im Konzentrationslager Dachau ums Leben gebrachten Märtyrerpriester für dessen Haltung, trotz der dramatischen Situation und seiner Leiden im KZ zu sagen: Ich bin versöhnt, auch mit denen, die mich denunziert und hierher gebracht haben. „Häfner hat eine stille Größe“, sagt Reder.
Das Seelsorgepraktikum und die Zeit als Diakon und Kaplan in der Pfarreiengemeinschaft „Oberleichtersbach/Schondra“ in der Rhön bedeuten für den damaligen Neupriester Reder den „Eintritt in neue Erfahrungswelten“, wie er beschreibt. Der Stadtmensch aus Würzburg kommt aufs Land. Er begegnet im ländlichen Raum mit seinen landwirtschaftlichen Rhythmen aber auch ganz konkreten Herausforderungen, zum Beispiel, wie Pflege organisiert werden kann oder wo der nächste Arzt zu finden ist, aber auch welche Wegstrecken Kinder und Jugendliche zur Schule zurücklegen müssen und dass für Berufstätige mitunter viel Zeit für das Pendeln an entfernte Arbeitsplätze auf der Strecke bleibt. Für Reder sind es erste Geh- und Stehversuche in der Pastoral. Sehr dankbar ist er seinem damaligen Pfarrer Armin Haas, der ihn in der zweijährigen Ausbildungszeit ins Pfarrhaus aufnimmt und in den Dienst der Seelsorge einführt.
Nächste Station des Kaplans ist ab September 2014 die Pfarreiengemeinschaft „Jesus – Quelle des Lebens, Bad Kissingen“. In der Kurstadt erwarten Reder andere gesellschaftliche Milieus: Die Anforderungen an Seelsorge sind folglich auch anders gelagert, auch im Blick auf die ältere Generation und das kulturelle Leben. Das Seelsorgeteam steht in dieser Zeit zusätzlich unter einer besonderen Herausforderung: Pfarrer Thomas Keßler muss sehr kurzfristig das Team verlassen. Bischof Hofmann ernennt Keßler 2015 zum Generalvikar und ruft ihn nach Würzburg. So gilt es, sich unter veränderten Umständen neu als Team zu finden und die Situation der Vakanzzeit gut zu meistern. „Seelsorge gewinnt durch gute Teamarbeit an Qualität“, fasst Reder diese Erfahrung zusammen, in der es für ihn auch erstmals um die Einbindung von Priestern aus der Weltkirche mit afrikanischen und indischen Wurzeln in die Pastoral geht. 2016 wird dann Gerd Greier zum Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft ernannt.
Nach drei Jahren erfolgt 2017 der Wechsel in die Pfarreiengemeinschaften „Franziska Streitel, Mellrichstadt“ und „Fladungen-Nordheim“ zu Pfarrer Thomas Menzel, später kommt noch die Pfarreiengemeinschaft „Besengau, Bastheim“ hinzu. Für den mittlerweile zum Pfarrvikar ernannten Reder eröffnet sich hier der neue Horizont, innerhalb mehrerer eigenständiger Seelsorgeeinheiten zu wirken, die später zu einem Pastoralen Raum zusammengefasst werden. Es gilt, neue Wege in der Pastoral zu vermitteln. „Im Pastoralen Raum ist es vor allem wichtig, gut miteinander zu kommunizieren angesichts massiver Veränderungen und unter neuen Vorzeichen“, sind Reders Erfahrungen.
Sieben Jahre wirkt er als Kaplan und Pfarrvikar in verschiedenen Seelsorgeräumen in der Rhön. Für die Bistumsleitung ist die Zeit gekommen, Reder eine größere Aufgabe als Pfarrer anzuvertrauen. 2020 ernennt Bischof Dr. Franz Jung Reder zum Pfarrer in der Würzburger Zellerau mit den Pfarreien Heiligkreuz, Sank Elisabeth und Sankt Burkard. Hinzu kommt noch der Kirchenverwaltungsvorsitz für das Käppele. Auf den Seelsorger kommen enorme Verwaltungsaufgaben und massive wirtschaftliche Verantwortung zu, die er allein mit Ehrenamtlichen stemmen muss: Wirtschafts- und Personalverantwortung für über 60 Mitarbeitende der drei kirchlichen Kindertageseinrichtungen und des Schülerhorts, die an den Kirchenstiftungen hängen, Zuständigkeit für das Jugendzentrum und das Altenbetreuungszentrum sowie Mitverantwortung für die Kirchenverwaltung des Käppele, das vor einem Renovierungsprojekt steht. Reder sorgt sich vor allem um die Ehrenamtlichen, die in ihrer Verantwortung an Belastungsgrenzen kommen. Nach seiner Sicht brauchen die Einrichtungen und Kirchenstiftungen dringend eine Professionalisierung in Wirtschafts- und Verwaltungsfragen, um die Zukunft zu sichern. Parallel zur Seelsorge lässt sich das für ihn nicht leisten. Nach einem Jahr in der Zellerau nimmt Reder schließlich Abschied von den Pfarreien, und die Situation kann mit der Anstellung eines Verwaltungsreferenten und neuen Zuständigkeiten im priesterlichen Dienst geordnet und stabilisiert werden. Die zweimonatige Auszeit in der Abtei Münsterschwarzach dient Reder zur Klärung, ob und wie er seinen Weg im Dienst im Bistum weiterführen kann.
Bis zu seinem Wechsel im Juni 2022 als Teampfarrer in den Pastoralen Raum Schweinfurter Mainbogen übernimmt er seelsorgliche Aushilfen im Pastoralen Raum Mellrichstadt und in Gemeinden im Landkreis Würzburg. Sein nächster Dienstsitz wird Heidenfeld, wo die Gebeine des seligen Liborius Wagner in der Pfarrkirche ruhen. Auch hier gilt es, sich mit der Pfarreiengemeinschaft „Heidenfeld-Hirschfeld-Röthlein“ in einem neu gebildeten, größeren Seelsorgegebiet zu orientieren und im Zusammenwirken von Pastoralteam, ehrenamtlich Engagierten und Gläubigen „gemeinsam den Geschmack am Glauben zu finden“, wie er sagt. Nach all seinen bisherigen Stationen als Priester sieht er eine qualitätvolle Seelsorge vor allem im Angebot von persönlicher Zuwendung und Begegnung, nicht zuletzt in Krisen und Grenzerfahrungen des Lebens.
In allen Jahren priesterlicher Seelsorge sind bei Reder die ökumenische Zusammenarbeit und der Religionsunterricht eine pastorale Konstante. „Weil der Unterricht letztlich ja immer auch persönliche Begegnung ist – nicht nur Umgang mit Lehrplanthemen. Auch wenn man sich manchmal dabei ein ‚blaues Auge‘ holt“, sagt er schmunzelnd. Im „Laboratorium Schule“ steckt die Herausforderung, Wissen über Religion zu vermitteln und Werthaltungen, die sich durch den Glauben ergeben, in verständlichen Elementen zu kommunizieren. Schule ist für Reder aber auch „ein Lernfeld für die große Welt im Kleinen“, gerade wenn es darum geht, wer welche individuellen Prägungen mitbringt und wie sie im Konfliktfall miteinander ausgehandelt werden können. „Wenn Polarisierungen und Auseinandersetzungen nicht schon in dieser kleinen Welt durch gewaltfreie Kommunikation einer Lösung zugeführt werden können, dann gibt es am Schluss in der großen Welt nur noch die Trennung in Gewinner und Verlierer, Sieger und Besiegte. Das kann nicht die Zukunft sein.“
Nach all diesen Erfahrungen seiner Priesterjahre ist es nicht verwunderlich, wenn der frisch ernannte Weihbischof heute sagt: „Ich bin gefühlt noch Pfarrer, und das bin ich gerne.“ Die neue Aufgabe müsse bei ihm erst ankommen. „Ich hatte ja kein Praktikum für das Amt des Weihbischofs“, fügt er lächelnd an. Doch Paul Reder ist zuversichtlich und voller Hoffnung mit Blick auf die bevorstehende Zeit und die größere Aufgabe: „Ich vertraue darauf, dass mein Dienst vom Herrn mitgetragen und von seinem guten Geist begleitet wird.“
Bernhard Schweßinger (POW)
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