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„Von welcher ‚Aufarbeitung‘ reden wir?“

Akademieabend der Domschule thematisiert Macht und Verantwortung im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt in der Kirche – Bischof Jung: „Beim Thema Missbrauch besteht ein großes Dunkelfeld“

Würzburg (POW) Welche Rolle haben Macht und Verantwortung, wenn es darum geht, dass Kirche das Thema sexualisierte Gewalt glaubwürdig angeht und aufarbeitet? Und was genau heißt es überhaupt, etwas „aufzuarbeiten“? Mit diesen Fragen haben sich am Montagabend, 23. Mai, Bischof Dr. Franz Jung, Professor Dr. Dr. Hans-Joachim Sander, Professor für Dogmatik an der Katholischen Fakultät der Universität Salzburg, und Jesuitenpater Dr. Hans Zollner vom Centre for Child Protection in Rom bei einem Akademieabend der Domschule Würzburg auseinandergesetzt. Die Betroffenen lehrten, dass die Organisation Kirche Opfer produziere, sagte Bischof Jung. „Wir müssen gemeinsam versuchen, zu verstehen, wie das Problem zu lösen ist. “

Wenn es um das Thema Missbrauch geht, erlebten Betroffene wie Verantwortliche in der Kirche jeweils Ohnmacht, erklärte der Dogmatiker Sander. Auch wenn hier zwei Seiten etwas gemeinsam teilten, bleibe das in diesem Kontext ohne die sonst üblichen positiven Folgen, die beispielsweise ein Teilen von Essen untereinander habe. Zudem stelle jeder Fall von Missbrauch den Gläubigen die Frage, wie sie trotz dieser Fälle Ja zum kirchlichen Glauben sagen können. Die Betroffenen erlebten sich, oft verstärkt durch die Unverschämtheit der Täter, beschämt und isoliert. Der Synodale Weg, der auch die Ursachen von Missbrauch thematisiert, werde laut Sander wahrscheinlich scheitern, unter anderem deswegen, weil er der Verbindung von Sexualität und Wahrheit ausweiche. Dieses Scheitern aber werde bedeutsam, da es die Nichtreformierbarkeit der Kirche aufzeige. „Sie ist aber sehr wohl revoltierbar“, betonte Sander. Zum Beispiel, indem sie sich glaubwürdig dem aussetze, was scheinbar unglaubwürdig sei, also den von Missbrauch Betroffenen Gehör schenke. Sander verglich diesen Vorgang mit dem „Free solo“ am Berg. Der Vorgang sei gefährlich, wer jedoch ohne Angst sei, schaue dabei auch nicht nach unten, blicke also auch nicht ständig auf mögliche Risiken.

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Jesuitenpater Zollner sprach in seinem Vortrag davon, dass das Thema sexualisierte Gewalt weltkirchlich nicht unbedingt zentral sei, ja selbst in Europa nicht überall auf der Agenda stehe. „Das Wort Rechenschaftspflicht hat im Englischen mit accountability eine Entsprechung, in romanischen Sprachen dagegen müssen sie den Sinngehalt umschreiben. Das sagt viel aus“, erklärte Zollner. Erst kürzlich habe ein portugiesischer Bischof sich geweigert, beim Verfolgen mutmaßlicher Missbrauchstäter mit staatlichen Stellen zusammenzuarbeiten. Leid und Traumata der Betroffenen seien groß, wie Studien zeigten. Da sexualisierte Gewalt oft als Machtmissbrauch erlebt werde, werde als tiefste Wunde oft die verlässliche Gottesbeziehung wie auch die Vertrauensfähigkeit beschädigt oder gar zerstört. Während einige Betroffene psychisch, emotional wie körperlich gut darüber hinwegzukommen schienen, führe das bei anderen zu Entwicklungsstörungen, gestörten Beziehungen und bis hin zu Depressionen und Suizid.

Zollner kritisierte, dass innerhalb der Kirche oft Verantwortung und Verantwortlichkeit abgeschoben würden. Zudem habe es zumindest früher oft unterschiedliche Standards beim Beurteilen von Verhalten gegeben: Wo Nichtkleriker bei Vergehen umgehend entlassen worden seien, habe man bei Klerikern vergleichsweise Milde walten lassen. In den deutschen Bistümern sei damit begonnen worden, die Vergangenheit „aufzuarbeiten“, sagte Zollner. „Der Duden kennt sechs verschiedene Sinngehalte des Worts: von ‚Liegengebliebenes erledigen‘ über ‚zusammenfassend betrachten, bearbeiten‘ bis hin zu ‚sich aufraffen, sich unter Anstrengung langsam erheben‘. Von welcher ‚Aufarbeitung‘ reden wir?“

Nach Zollners Worten ist unter anderem nicht wirklich geklärt, was aus und auf das Thema Aufarbeitung folgt. Für ihn seien in Folge die Psychologie (zum Beispiel für die Kriterien, nach denen Entscheider ausgewählt werden), die Verwaltungswissenschaften (für Fragen von Compliance und Nachvollziehbarkeit von Vorgängen) wie auch die Organisationswissenschaften gefragt. Letztere unter anderem, wenn es um Gremienstrukturen, Hierarchien und Kompetenzen geht. Beim Beichten seien zunächst eine ernsthafte Gewissenserforschung, dann ehrliche Reue, ein klares Bekenntnis der Sünden und schließlich eine Wiedergutmachung als Schritte erforderlich. Für eine Wiedergutmachung bei Missbrauch bedeute das, dass auf die Analyse in Form von Gutachten und Untersuchungen äußere Zeichen wie eine redliche Entschuldigung, dann ein persönliches und institutionelles Bekenntnis und schließlich Umkehr, Beistand für Betroffene oder auch der Rücktritt der Verantwortlichen folgen müssten.

Bei der Podiumsdiskussion hob Bischof Jung hervor, dass die Kirche reformierbar sei, das aber ein sehr herausfordernder Prozess sei. Beim Thema Missbrauch bestehe ein großes Dunkelfeld. Sich diesem zu stellen, erfordere Mut und Kraft. „Das Vertrauen der Betroffenen muss man sich hart erarbeiten.“ Es sei ganz natürlich, dass bei dieser Arbeit immer wieder Fehler passierten. Auch er als Bischof erlebe eine Ohnmacht. Er setze großes Vertrauen auf die Aufarbeitungskommission im Bistum Würzburg, die unabhängig arbeite, aber vom Bistum unterstützt werde, wo immer das nötig und möglich sei. Bischof Jung plädierte zudem dafür, nicht vorschnell bei von Betroffenen geschilderten Vorfällen davon zu sprechen, dass die Schilderungen nicht plausibel seien. Ein solches Vorgehen könne dazu führen, sich aus der Verantwortung zu ziehen.

 „,Die‘ Kirche und ‚den‘ Vatikan gibt es beim Thema Aufarbeitung von Missbrauch nicht“, sagte Jesuitenpater Zollner. Natürlich sei es vorhersehbar, dass Institutionen zunächst dazu neigten, eigene Schuld zu verdrängen. Wenn die kritische Masse jedoch stark genug sei, gelinge Veränderung. Sander sah gerade in der Konfrontation der Kirche mit den eigenen Abgründen eine große und wertvolle Chance für die Kirche. „Wer, wenn nicht diese Institution, ist in der Lage zu scheitern?“ Die Kirche müsse sich durch die Betroffenen ihre eigene Unglaubwürdigkeit vor Augen halten lassen. Dieser Weg führe in einen offenen Raum, „von dem wir nicht wissen, ob wir dort nicht scheitern. Wenn wir aber Angst vor diesem Raum haben, scheitern wir garantiert.“

Das Problem sexualisierter Gewalt in der Kirche lasse sich nicht „ex cathedra“, also durch päpstliche Gesetzgebung lösen, erklärte Sander. Wichtig sei, Macht zu teilen, was aber mehr beinhalten müsse als irgendwie geartete Formen von Synodalität. „Wir müssen einen Termin und Felder benennen, an denen ein Scheitern des Teilens von Macht messbar wird.“ Zollner sah ein solches Vorgehen beispielsweise für Deutschland als durchaus realistisch an. „Nichts ist weiter entfernt von der Wirklichkeit als zu glauben, dass in der katholischen Kirche jeder das tut, was der Papst sagt.“ Beim Thema Missbrauch ändere sich die Mentalität der Verantwortlichen nur über Generationen. Zollner sagte, es sei in seinen Augen einfach, als Bischof den Papst vorzuschieben und darauf zu warten, dass dieser einem den Rücktritt nahelege. Stattdessen sollten die Bischöfe den Mut haben zu sagen: „Ich tue es, weil mein Gewissen mir das sagt.“

„Es geht um Ehrlichkeit. Wir müssen aufräumen. Nicht dass am Ende der Eindruck bleibt: Als Betroffener bleibe ich am Ende alleine unten stehen“, fasste ein Betroffener den Abend zusammen.

mh (POW)

(2122/0624; E-Mail voraus)

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