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Vorauserkannt, vorausbestimmt und berufen

Predigt von Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele beim Wallfahrtsgottesdienst am Maria Ehrenberg am Fest Mariä Geburt, 11. September 2005

Mariä Geburt

Nur dreimal im Jahr lädt uns die Kirche ein, einen irdischen Geburtstag zu feiern. Die Feste der Heiligen, die uns geschenkt sind, werden normalerweise an deren Todestag begangen. Das ist ihr Geburtstag für die Ewigkeit. Anders ist es am Weihnachtstag. Da feiern wir die Geburt des Herrn, den Beginn seines irdischen Lebens. Anders ist es auch bei den beiden Menschen, die am engsten mit der Geburt Christi verbunden waren: Johannes und Maria. Ihre Geburt war eine Vorbereitung der Geburt des Herrn in Betlehem und überdies in uns. Daher hängt unser Leben mit dem Geheimnis des heutigen Festes zusammen.

Für Maria und für uns gilt das Wort des Evangeliums, in dem die gesamte Frohbotschaft zusammengefasst ist, das Wort: Immanuel: Gott ist mit uns (Mt 1,23). Er liebt uns so sehr, dass er auf die persönlichste Weise mit uns verbunden sein und bleiben will. Diese Liebe ist Gott nicht eines Tages in den Sinn gekommen, sie hat nicht irgendwann in der Weltgeschichte ihren Anfang genommen, um sich dann langsam zu steigern. Sie lebt in Gott seit eh und je. In diese Liebesgeschichte führt uns die Lesung aus dem Römerbrief ein.

Mariä Erwählung

Unsere liebe Frau gehört zu denen, „die nach seinem ewigen Plan berufen sind“ (Röm 8,28).

Vorauserkannt

Es ist anders als bei irdischen Eltern: Diese können sich ein Kind wünschen und ihm alles Gute zudenken. Ob das wahr wird steht auf einem anderen Blatt. Die heutige Technik macht es möglich, dass man ein Kind schon im Mutterschoß erkennen kann. Da können die Eltern es zum ersten Mal sehen. So großartig das ist, es ist doch nur ein begrenztes Bild, wenn wir es mit dem vergleichen, was Vater und Mutter nach der glücklichen Geburt sehen können, wenn sie den Säugling in ihren Händen halten. Fortan können sie ihr Kind immer mehr erkennen. Nach und nach gewinnen sie ein realistisches Bild von ihm. Im Laufe des Lebens geht ihnen dann freilich auf, dass sie trotz aller Erfahrungen und Einsichten ihr Kind nie voll und ganz erkennen können.

Bei Gott ist es anders, ganz anders. Er hat uns „im voraus erkannt“ (Röm 8,29). Mit unserer lieben Frau gehören wir alle zum ewigen Leben und zum ewigen Lieben Gottes. Er hat die Frau, die die Mutter seines Sohnes werden sollte, in der Ewigkeit erdacht. Er hat ihr alle die Gaben zugedacht, die sie für ihren Heilsdienst nötig hatte. Er hat sie nicht vorgefunden, um sie sodann zu lieben; er hat sie in ewiger Liebe erfunden. Das schönste Marienbild, das es gibt, ist sei eh und je im Geist Gottes gegeben.

Vorausbestimmt

Paulus führt uns noch tiefer in dieses wunderbare Geheimnis ein. Er schreibt den Römern und uns: „Die er im voraus erkannt hat, hat er auch im voraus dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben“ (Röm 8,29). Maria sollte mehr werden als irgendein liebenswertes Geschöpf unter anderen. Sie sollte von Anfang an und für immer auf das innigste mit dem eingeborenen Sohn Gottes verbunden sein. Bevor er in unserer Zeit von seiner irdischen Mutter als Mensch geboren wurde und von ihr alles erbte, was nur zu erben war, bevor er so der Gestalt nach seiner irdischen Mutter ähnlich wurde, hatte sie Teil an seinem Wesen und seiner Gestalt. Bevor Maria ihrem Sohn in Treue zur Seite stand bis hin zu seinem Kreuzestod, war sie durch die Liebe des Vaters in sein Denken und Wollen einbezogen. Zurecht preisen wir sie im Lied als „die edle Rose, ganz schön und auserwählt, die Magd, die makellose, die sich der Herr vermählt“ (GL 588,2). Zugleich gilt, was wir ihr in der nächsten Strophe sagen dürfen: „Du strahlst im Glanz der Sonne, Maria, hell und rein; von deinem lieben Sohne kommt all das Leuchten dein“ (GL 588,3). Bevor sie als irdische Mutter ihrem Sohn irdische Güter vererbt, empfängt sie von ihm in der Ewigkeit Licht, Leben und Liebe. Deshalb haben die Kirchenväter sie mit dem Mond verglichen, der alles Licht vom Sohn, der ewig sich verschenkenden Sonne empfängt und es so weitergibt.

Berufen

Auf diese ihre Lebensaufgabe werden wir hingewiesen, wenn Gott uns durch den Völkerapostel wissen lässt: „Die aber, die er voraus bestimmt hat, hat er auch berufen“ (Röm 8,30). Die Liebe Gottes hat Maria eine einzigartige Berufung zugedacht. Als allerliebste Tochter des Vaters und als Braut des Heiligen Geistes ist sie berufen, die irdische Mutter des ewigen göttlichen Sohnes zu werden. Das, was in der Ewigkeit beschlossen wurde, sollte sich in der Zeit erfüllen. In ihrem irdischen Leben hat sie der Ruf des Herrn erreicht. So hat sie erfahren, was der Herr mit ihr vorhatte. Es ging über ihr Begreifen hinaus, so wie es auch unser Begreifen unendlich übersteigt. In ihr sollte wahr werden, was Gott durch den Propheten Jesaja verheißen hat: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns“ (Mt 1,23). In einzigartiger Weise sollte Gott mit ihr sein und sollte sie mit Gott sein. Zugleich gehört zu ihrer Berufung, dass sie uns allen als Mutter mit auf den Lebensweg gegeben ist.

Unser Heil

Ihr Sohn ist unser aller Immanuel. Vom Kreuz herab sagt er seiner Mutter: „Siehe, Dein Sohn“ (Joh 19,26), „siehe, deine Tochter!“ Die Liebe, die diese Worte beseelt, hat ihren Ursprung im ewigen Leben und Lieben des dreieinen Gottes. Es ist nicht zu fassen, aber es ist so: Auch von uns gelten die Worte: „im voraus erkannt, im voraus bestimmt, berufen“. Paulus gibt diese Worte ja allen Christgläubigen in Rom weiter. Er schließt die nicht aus, deren Sünden er zuvor in seinem Schreiben massiv herausgestellt hat. So dürfen wir uns darüber von Herzen freuen, dass auch wir seit eh und je von Gott geliebt werden. Diese Wahrheit tut gerade uns modernen Menschen not. Viele kommen sich einsam und verlassen vor. Sie fragen: „Was ist schon der Einzelne unter den vielen Millionen, ja Milliarden Menschen, die auf dieser Erde leben? Ist er nicht wie ein Sandkorn in der Wüste, wie ein Tropfen im Ozean? Ist er nicht so gut wie nichts?“ Der Herr schenkt uns die entscheidende Antwort. Er gibt uns zu verstehen: „Ja, in der Tat, aus dir selbst bist du so gut wie nichts. Für mich bist du so gut wie mein Kind. Seit eh und je habe ich dich geliebt. Ich habe dich im voraus erkannt, ich habe dich im voraus bestimmt, an Wesen und Gestalt meines ewigen Sohnes teilzuhaben. Ich habe dir eine Berufung zugedacht, die kein anderer empfangen hat. Ich verlasse dich nicht. Ich bin und bleibe dein Immanuel. Ihr alle sollt wissen: Ich bin und bleibe bei euch allen.“ Amen.

(3805/1194)