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Warum Demokratie Helden braucht

Diözesanempfang in Würzburg mit Professor Dr. Dieter Thomä als Festredner – Thema: „Wie Menschen über sich hinauswachsen. Ein demokratisches Plädoyer für Heldentum“ – Rund 1100 Gäste aus Politik, Kirche, Caritas und Gesellschaft

Würzburg (POW) „Wir haben nie in einem goldenen Zeitalter der Demokratie gelebt. Sie ist angewiesen auf die, die sie verteidigen.“ Das hat der Philosoph Professor Dr. Dieter Thomä vor rund 1100 Gästen beim Diözesanempfang am Montagabend, 13. Januar, in der Universität am Würzburger Hubland gesagt. In seinem kurzweiligen Vortrag mit dem Titel „Wie Menschen über sich hinauswachsen. Ein demokratisches Plädoyer für Heldentum“ legte er dar, warum die Demokratie Helden braucht und unter welchen Umständen Menschen zum Helden werden können. Jeder müsse selbst überlegen, was er dazu beitragen könne, damit Demokratie gelinge, sagte Bischof Dr. Franz Jung. Zugleich dankte er den Anwesenden für ihren Einsatz in Kirche und Gesellschaft. „Glaube muss sich in der Welt von heute bewähren. Durch Ihr Engagement leisten Sie einen wichtigen und unersetzlichen Beitrag, der Anerkennung und Wertschätzung verdient.“

Thomä begann mit einem „Helden“ aus dem Bistum Würzburg – dem seligen Georg Häfner, gestorben am 20. August 1942 im Konzentrationslager Dachau. Pfarrer Häfner sei „felsenfest in seinem Glauben und unbeirrbar in seiner Ablehnung der Nationalsozialisten“ gewesen, die er „braune Mistkäfer“ genannt habe. Zu seiner Lebensgeschichte gehöre aber auch, dass er streng gewesen sei mit sich selbst und anderen. „Beliebt ist Pfarrer Häfner bei seinen Gläubigen nicht“, zitierte Thomä aus einem Porträt über Häfner, in dem es auch hieß, er habe Kinder geschlagen. Das Beispiel Häfners zeigt laut Thomä: „Menschen sind nicht perfekt, auch die, die wir verehren nicht.“

Heutzutage gebe es zwei Strategien im Umgang mit Helden. Zum einen die „Heldenabschaffung“ in der „postheroischen Gesellschaft“, in der es für Helden keine Verwendung mehr gebe. Zum anderen die „Heldenschrumpfung“, bei der die Latte für das Heldentum niedriger gelegt werde. Als Beispiele nannte der Referent unter anderem eine Ministrantengruppe namens „Himmlische Helden“ oder das Spielzeugset „Alltagshelden“ mit Polizist, Krankenschwester, Feuerwehrmann und Bauarbeiter. Mit der „wundersamen Heldenvermehrung“ würden die Helden allerdings nicht gesund-, sondern krankgeschrumpft: „Echte Helden sind und bleiben selten.“

Laut Thomä erkennt man einen Helden an drei Merkmalen: „Helden widmen sich einer großen Sache. Zu Helden schaut man auf. Helden begeben sich in Gefahr.“ Es gebe Menschen wie den österreichischen Extremsportler Felix Baumgärtner, der mit dem Fallschirm aus fast 40 Kilometern Höhe sprang. Ein Held sei er deshalb nicht. „Zum Helden wird man erst, wenn man nicht auf einem Egotrip ist, sondern sich für eine große, gute Sache einsetzt.“ Dabei würde man über sich selbst hinauswachsen, fuhr Thomä fort. Es gebe einen „Höhenunterschied“ zwischen Helden und anderen Menschen. William Shakespeare habe das in seinem Stück „Was ihr wollt“ so beschrieben: „Einige werden groß geboren, einige erringen Größe, und einigen wird Größe aufgedrängt oder auferlegt.“ In letztere Kategorie falle etwa Rosa Parks, die sich 1955 weigerte, ihren Sitzplatz in einem Bus für einen Weißen zu räumen. Schließlich begebe sich ein Held in Situationen mit ungewissem Ausgang.

Auch die Demokratie sei durch drei Merkmale gekennzeichnet: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die stehen nach Ansicht von Thomä in einem spannungsvollen, aber produktiven Zusammenhang mit den Eigenschaften eines Helden. Der Einsatz für die Freiheit etwa – ob in der Gemeinde oder bei „Fridays for Future“ – könne eine erfüllende Erfahrung und eine große Sache sein. Helden seien zwar „erfahrungsgemäß ungleich“, hätten aber nicht die Absicht, sich zu erhöhen. „Man erkennt demokratische Helden daran, dass sie ihre Größe nicht daraus beziehen, dass sie andere kleinhalten. Deshalb ist Donald Trump eben kein demokratischer Held“, erklärte Thomä.

Obwohl eine der „kostbarsten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte“, befinde sich die Demokratie derzeit „in ihrer schwersten Krise seit 1945“. Von außen werde sie durch Terroristen, Fundamentalisten, autokratische Regime bedroht. Die zweite Bedrohung sei die Erosion von innen durch das Aufkommen populistischer Parteien. „In der Demokratie brauchen wir zwei Typen von Helden: Helden der Verfassung und Helden der Bewegung“, erklärte der Referent. Helden der Verfassung stünden für die demokratische Ordnung ein und gingen dabei auch über das Erwartbare hinaus – sie bewiesen Zivilcourage. Silvia Kugelmann etwa, Bürgermeisterin des bayerischen Kutzenhausen, habe sich für einen friedlichen Umgang mit Ausländern eingesetzt. Dafür seien an ihrem Auto die Reifen zerstochen worden und sie habe Drohbriefe erhalten. „Sich in dieser Weise in den Sturm zu stellen, ist bewundernswert“, betonte Thomä. Helden der Bewegung wiederum gingen davon aus, dass Demokratie nur durch Wandel Bestand habe. Zu ihnen gehört nach Thomäs Ansicht Edward Snowden. Dieser habe den Schutz der individuellen Freiheit durch die staatliche Überwachung gefährdet gesehen und deshalb das Gesetz durch seinen Geheimnisverrat gebrochen. Greta Thunberg wiederum sei eine „Heldin in der Probezeit“. Sie setze sich zweifelllos für eine große Sache ein. „Wir sollten ihr etwas Zeit lassen, um zu sehen, ob sie den Anfechtungen und der Verehrung gewachsen ist und ob ihre Agenda eine gewisse Nachhaltigkeit entfaltet“, sagte der Referent.

„Wenn wir in der Nacht unterwegs sind und sehen, wie ein jüdischer Mitbürger belästigt, ein dunkelhäutiger Mensch angegriffen, eine Frau belästigt wird – greife ich jetzt ein oder nicht?“, fragte Thomä die Zuhörer. Die Pflicht zur Hilfeleistung ende dort, wo man sich selbst gefährde, erklärte er. „Wir sind in einer Situation jenseits des Rechts und müssen nach unserem Gewissen entscheiden. Damit geben wir auch ein bisschen die Antwort auf die Frage, wer wir sind, wer wir sein wollen. Wen will ich sehen, wenn ich morgens in den Spiegel gucke?“

Mit einem weiteren Würzburger „Helden“ – dem seligen Engelmar Unzeitig – beendete Thomä seinen Vortrag. „Eindrucksvoll ist nicht nur die Lebensgeschichte, sondern auch der Nachname. Menschen wie er sind nie einfach nur Zeitgenossen, sie folgen auch nicht dem Zeitgeist“, erklärte der Referent. „Sie sind unzeitgemäß oder eben unzeitig, auch deshalb, weil sie über ihre Zeit hinausdenken. Das zeichnet auch Helden aus – sie sind Unzeitige.“

Bischof Jung: Heiligenverehrung zeigt Nuancen des Heldenbegriffs

Der Satz „Demokratie braucht Helden“ lasse zunächst ein wenig zusammenzucken, hatte Bischof Jung zuvor in seiner Begrüßung gesagt. Denn der Begriff „Held“ habe eine belastete Vorgeschichte. Im Dritten Reich seien aufgrund eines übersteigerten und zynischen Heldenbegriffs „Kinder an den Fronten verheizt“ worden. In islamistischen und rechten Kreisen erlebe man eine Beschwörung des Heldentums als Gegenbild zu einer verweichlichten Kultur des Westens. Ein Beispiel dafür, wann man Helden braucht und wann man sie nicht mehr braucht, sei der britische Premierminister Sir Winston Churchill, fuhr der Bischof fort. Er sei genau an dem Tag eingesetzt worden, an dem die Westoffensive der Wehrmacht begann, und genauso konsequent wieder abgewählt worden, nachdem der Krieg gewonnen war. „Die Demokratie entledigte sich umgehend eines Helden nach Erfüllung der Aufgabe, für die man ihn gebraucht hatte.“

Die Heiligenverehrung in der katholischen Kirche zeige die vielen Nuancen des Heldenbegriffs. Diese spiegelten das Heiligkeitsideal der verschiedenen Epochen der Kirchengeschichte wider – von den Märtyrerinnen und Märtyrern der Alten Kirche über die Kirchenreformer der frühen Neuzeit bis hin zu den heutigen Mystikerinnen und Gottsuchern. „So viele Facetten, wie das Leben hat, so viele Helden der Heiligkeit gibt es.“ Auch das Jahresmotto des Bistums aus dem Epheserbrief passe hier sehr gut: „Die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe der Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übersteigt.“ Dies umreiße „die vielfältigen Dimensionen gelebter Heiligkeit, die jeder Epoche neu nach allen Seiten hin auszuloten aufgetragen ist“, erläuterte Bischof Jung. Es zeige aber auch die Vielfalt des Engagements der an diesem Abend versammelten Gäste: „Die in der Länge seit vielen Jahren ausdauernd und frohgemut ihren Dienst tun in ihrer Kirchengemeinde und weit darüber hinaus, die repräsentativ die Breite des gesellschaftlichen, religiösen und kirchlichen Engagements abbilden, die auf der Höhe der Zeit ringen um die richtigen Antworten auf die bedrängenden Zukunftsfragen und die Tag für Tag neu in die Tiefe und die Abgründe menschlicher Not und Bedürftigkeit schauen.“

Zu Beginn des Abends hieß Bischof Jung die Gäste willkommen, darunter Vertreter der Kommunal-, der Landes-, der Bundes- und Europapolitik und die Mitarbeiter der Kirche auf Pfarrei-, Dekanats- und Diözesanebene. Besonders begrüßte er die ehemalige Landtagspräsidentin Barbara Stamm, Bundesminister a. D. Michael Glos, Regierungspräsident Dr. Eugen Ehmann und Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt sowie Bischof em. Dr. Friedhelm Hofmann, seinen Vorgänger im Amt. Zu den Gästen zählten auch Bundes- und Landtagsabgeordnete, Landräte, Bezirks- und Kreisräte, Bürgermeister, Dekane, Pfarrer, pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Ordensleute, Mitglieder des Diözesanrats und der Dekanatsräte, der Pfarrgemeinderäte und Kirchenverwaltungen, Vertreter der Caritas sowie Professoren der Universität Würzburg mit Vizepräsidentin Professorin Dr. Barbara Sponholz. Vertreter der Justiz, der Polizei, der Behörden und Ämter, der Kammern sowie der evangelischen Kirche standen weiter auf der Grußliste. Bischof Jung begrüßte besonders Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Organisiert wurde der Diözesanempfang von der Domschule Würzburg und dem Caritasverband für die Diözese Würzburg. Für die musikalische Gestaltung sorgte das Vokalensemble „The Quints“.

sti (POW)

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