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Im Gespräch

„Was dir wertvoll war, werde ich achten“

Pfarrer Bernhard Stühler über den Umgang mit dem Tod – Was Angehörigen schwer erkrankter Menschen helfen kann

Würzburg (POW) An Allerheiligen gedenken viele Menschen ihrer Verstorbenen, besuchen deren Gräber und beten für sie. Angehörige schwer erkrankter Menschen werden in ihrem Alltag oft mit den Themen Trauer und Tod konfrontiert. Pfarrer Bernhard Stühler, Seelsorger der Juliusspitalpfarrei Sankt Kilian Würzburg, begleitet regelmäßig Menschen auf ihrem letzten Lebensabschnitt. Er erzählt von seinen Erfahrungen im Umgang mit schwer erkrankten Menschen und deren Angehörigen.

POW: Herr Stühler, wie sieht ein typischer Tagesablauf bei Ihnen aus? Gibt es den überhaupt?

Pfarrer Bernhard Stühler: Jein. Dadurch, dass täglich eine Gottesdienstfeier am Morgen und zwei Feiern am Nachmittag stattfinden, hat jeder Tag eine feste Struktur. Dazwischen bleibt Zeit für die Besuche im Seniorenstift oder bei den Patientinnen und Patienten auf den Stationen. Gemeinsam mit der Heimleitung besuche ich außerdem die Geburtstagkinder des jeweiligen Tages. Ich versuche, mir einen Überblick darüber zu verschaffen, was an dem Tag ansteht, bei wem sich eventuell der Zustand verschlechtert hat. Dabei ergeben sich Gespräche, Gebetswünsche und Anfragen für Krankensalbungen.

POW: Was erleben Sie im Umgang mit Angehörigen schwer erkrankter Menschen?

Stühler: Gestern rief eine Frau an, die selbst als Pflegerin arbeitet. Sie fragte, ob ich kommen könne, um ihrer Mutter beizustehen. Sie hatte große Sorge und stellte sich die Frage, ob sie alles richtig gemacht habe. Obwohl sie selbst Pflegerin ist und weiß, dass medizinisch alles richtig gelaufen ist, verunsicherte sie das Menschliche. Die Angst, nicht richtig beistehen zu können. Diese Begegnungen sind sehr bewegend.

POW: Schaffen Sie es, sich selbst gut abzugrenzen?

Sühler: Die Abgrenzung ist nicht einfach. Es geht um Menschen und ihre Emotionen. Das ist keine Routine und lässt einen nicht kalt. Es berührt mich. Genau deshalb versuche ich, mein Gebet so zu formulieren, dass die spürbare Trauer in eigene Worte gefasst wird. Ich hatte eine Patientin, die das Gebet erst ablehnte. Sie wollte über ihre Ängste sprechen. Nach einem langen Gespräch fragte sie mich, ob ich ihre Sorgen nicht doch in einem Gebet zusammenfassen könne. Ich sagte ihr, wenn sie Ergänzungen habe, könne sie diese mit einbringen. Dadurch entstand ein dialogisches Gebet. Das sind besondere Momente, die im Gedächtnis bleiben.

POW: Viele Menschen haben Angst vor dem Tod. Kann man diese ein Stück weit nehmen? Wenn ja, wie?

Stühler: Oft ist es weniger die Angst vor dem Tod als eher Angst vor dem Sterben. Der Tod kommt für jeden, darauf sind wir vorbereitet. Egal, ob man glaubt, dass das Leben danach vorbei ist oder dass das ewige Leben beginnt. Aber die letzte Wegstrecke, die jeder allein gehen muss, das Sterben, macht unruhig. Selbst ein Priester, der als Seelsorger gewirkt hat, kann oft nicht loslassen. „Das Leben zu segnen“, wie ich gerne sage, fällt selbst ihm schwer. Auch wenn man ein Leben lang positiv darüber gepredigt hat, ist es bei einem selbst etwas anderes.

POW: Sie selbst sind täglich mit dem Tod konfrontiert. Haben Sie durch Ihren Beruf weniger Angst vor dem Sterben als andere?

Stühler: In meiner Tätigkeit als Seelsorger hat sich meine Einstellung zum Leben und zum Sterben verändert. Besonders, wenn ich jüngere Menschen begleite, etwa einen 27-Jährigen, der gerade sein Studium abgeschlossen hat, werde ich oft mit der Gottesfrage konfrontiert: „Das ist dein Gott, der das zulässt?“ In diesen Momenten hat mir das Buch Hiob sehr geholfen. Es geht darum, das Leben und den Glauben hochzuhalten, auch am Ende des Lebens. Egal, was andere sagen. Wir müssen für den Tod bereit sein, weil wir endliche Wesen sind. Aber wenn Menschen ihr Leben zuversichtlich bejahen, gibt das auch mir Mut.

POW: Worin finden die Menschen Halt und Sicherheit?

Stühler: Der Glaube an Gott gibt oft Halt. Doch viele Menschen sind auch auf der Suche. Selbst wenn sie immer geglaubt haben, fühlen sie sich am Ende ihres Lebens oft leer. Die Diskrepanz eines Glaubens an einen Gott, von dem ich nicht spüre, dass er an meiner Seite ist, lässt sich schwer aushalten. Die Frage: „Hat mein Beten mir wirklich geholfen?“ treibt viele Menschen um.

POW: Was ist das Schönste an Ihrer Tätigkeit?

Stühler: Die Teilhabe am Leben der Patientinnen und Patienten. Besonders die Gespräche, wenn sie noch möglich sind. Vor allem wenn jemand sagt: „Kommen Sie bitte wieder.“ Es ist schön, mit den Menschen über ihr Leben und das, was sie bewegt hat, zu sprechen. Aber auch der Umgang mit Angehörigen, die viel erzählen, wenn Patienten nicht mehr selbst sprechen können, ist wertvoll. Ich bin immer wieder erstaunt, was in einem einzigen Leben alles passieren kann. Mich bewegen auch die Gespräche mit den Pflegekräften, zum Beispiel bei einem Espresso auf der Palliativstation. Auch sie sind oft von den Geschichten der Menschen, die sie pflegen, mitgenommen. Neben all den Gesprächen sind auch das gemeinsame Gebet und die Krankensalbung wichtig, denn es ist eine Wegbegleitung aus dem Glauben heraus.

POW: Was haben Sie durch die Arbeit mit schwer erkrankten Menschen gelernt?

Stühler: Man muss sich mit dem eigenen Leben auseinandersetzen. Man muss sich selbst reflektieren und erkennen: Ich muss immer gut zu mir selbst sein. Ich muss mein Leben segnen können. Das sage ich auch zu Patientinnen und Patienten. Was ich auch gelernt habe: Wenn ich etwas erlebe, was ich lange mit mir herumtrage, gehe ich in die Kirche hier im Spital und sage: „Ich lasse das jetzt hier.“ Das gibt mir Halt als Seelsorger, dass ich auch etwas abgeben kann. Ich kann es bei Gott lassen.

POW: Was wollen sie den Angehörigen schwer erkrankter Menschen noch mit auf den Weg geben?

Stühler: Zuallererst: Besuchen Sie Ihre Angehörigen. Begleiten Sie sie, solange es geht. Viele denken, dass sie es nicht aushalten oder dass sie nicht wissen, was sie sagen sollen. Aber kommen Sie vorbei, bleiben Sie und sprechen Sie mit Ihren Angehörigen. Noch ein Tipp: Halten Sie die Hand. Und wenn Sie das tun, achten Sie darauf, dass Ihre Hand unter der des Angehörigen liegt. So geben sie die Chance, loszulassen. Das ist ein wichtiges Zeichen um zu zeigen: „Ich bin da für dich, du darfst aber jederzeit auch loslassen.“ Noch eine Botschaft, die Sie Ihren Angehörigen mitgeben sollten: „Du warst mir wertvoll. Und das, was dir wertvoll war, werde ich achten.“ Das zeigt, dass Sie das Leben respektieren und es in Erinnerung halten werden.

Das Interview führte Judith Reinders (POW)

(4424/1140; E-Mail voraus)

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