Zu den starken Bildern, die Zeit und Denken auf einen Punkt bringen, gehört für mich der Ostersegen des Papstes am Osterfest 2005. Es ist der sterbenskranke Papst Johannes Paul II., der den Segen „urbi et orbi“ am Ostertag vom Fenster seiner Wohnung der Stadt Rom und dem Weltkreis gibt. Er röchelt, die Sprache ist unverständlich, Speichel läuft aus dem Mund. Sein Segensgestus ist nur der zitternde Arm. Ich weiß, dass viele diese Ansicht nicht mit mir teilen, dass dies ein großes Zeitzeichen war. Ähnlich wie die Rücktrittsworte von seinem Nachfolger Benedikt XVI. liegen hier zentrale Botschaften für das 21. Jahrhundert. Glaube und Vernunft sind Geschwister und Gott ist der, der uns in unserem Ringen und Suchen auf dem Weg in die Zukunft immer nahe ist, dem wir bis in unser Sterben hinein vertrauen dürfen. In der Kar- und Osterwoche ringt Papst Johannes Paul II. mit dem Tod. Am 1. April 2005 schreibt er auf einen Zettel: „Ich bin froh, seid ihr es auch.“ Am Abend des 2. April stirbt er. Sein Sterben war eine letzte stumme Predigt über die Würde der Menschen, die ein jeder vor Gott hat. Nicht unser Leisten, Vermögen und Können bestimmen den Wert unseres Lebens: Ich bin mit meiner Ohnmacht, meinem Unvermögen und meiner Schwäche immer von Gott geliebt von der ersten Stunde meiner Existenz im Mutterleib bis zur letzten Stunde meines irdischen Daseins.
Was ist das Leben wert? Die Frage beschäftigt uns immer wieder in Kirche und Welt, in Politik und Gesellschaft. So in den letzten Wochen. Sie war in vielen großen Zeitungen immer wieder zu finden: Was ist das Leben wert, wenn da ein Mensch in einer Höhle in tausend Metern Tiefe verunglückt? Wer zahlt das? Gott sei Dank war diese Frage in der Freude über die Rettung bald verschwunden. Aber dass wir sie überhaupt stellen?
„Alles, was atmet, lobe den Herrn“ (Ps 150, 6). Dieses Leitwort für 2014 in unserer Diözese und über das diesjährige Kiliani ist das letzte Wort im Psalmenbuch der Bibel. Der Gebetsschatz der 150 Psalmen umfasst ja nicht nur Lob und Dank, in ihm sind Klagen und Bitten zu finden. Wenn unser Leitwort das letzte Wort der Psalmen ist, wird damit gesagt, dass unser ganzes Leben ein Gotteslob ist, weil der Beter sich im Letzten von Gott getragen wissen soll, wie das Leben auch daher kommt – und es kommt in der Regel nie leicht daher.
Was im Psalmwort gesagt ist, wird im Zeichen des Kreuzes zur Sprache gebracht. Es geht um die Würde des Menschen vom Anfang bis zum Ende, von der Zeugung bis zum Tod. Das Kreuz spricht vom Leben bis zuletzt, von Gottes Nähe bis ins Dunkel des Todes. Dass dies uns eine Frage sein kann, schreit der Herr am Kreuz aus, wenn er ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meinen Schreien, den Worten meiner Klage?“ (Ps 22,2). Gott gibt am Kreuz nicht Sterbehilfe, dass er Schluss macht, wenn das Leben unerträglich ist. Es bleiben gewiss all die Fragen, die wir Menschen uns stellen im Angesicht von Leiden uns Sterben. Er will uns am Kreuz Lebenshilfe geben, wie wir Sterbenden und Leidenden Lebenshilfe schenken durch unsere Nähe, durch unser Dasein, Handhalten, Schweigen, Halten und Aushalten. Daran erinnert das Kreuz in unserer Landschaft, in den Schulen, Gerichtssälen und Rathäusern. Es erinnert an Gott, der uns in Jesus Christus seine Nähe gezeigt hat. Es will ermutigen, unserem Nächsten beizustehen, Beistand zu sein, sich vom Geist Gottes stärken zu lassen.
Das ist der Geist, der irische Mönche bewegte, ihr Zuhause zu verlassen und sich auf die Fremde und das Fremde einzulassen. Wer den festen Boden und das Gewohnte verlässt, ist schnell mit Fragen und Unsicherheiten konfrontiert, was der Heilige Kolumban (um 540 bis 615) so ausdrückt: „Von Augenblick zu Augenblick, vom Augenblick zur Stunde, von Stunden zu Tagen, mit allen ungewissen Altersphasen eile ich dem Tod entgegen. Dann werde ich, was für mich hier unmöglich ist, das Sichere und Wahre sehen und alles zugleich in einem.“ (aus: Paul-Werner Scheele. Du bist unser alles. Würzburg 1989. Seite 115).
Kolumban, fast ein Zeitgenosse Kilians (um 640-689), spricht davon, was die irischen Wandermönche prägte. In aller Schwäche und Hinfälligkeit wussten sie sich von Gott gehalten und geführt. Gott ist der, der uns in Jesus Christus immer wieder auf die Beine hilft und unsere Wege, Pilgerwege mitgeht.
Das Kiliansbild am Kreuzberg in der Rhön bringt das zum Ausdruck. Er hält wie so viele Kiliansdarstellungen ein Schwert in der Linken und erinnert damit an sein Martyrium. Aber mit der Rechten hält er das Kreuz hoch, sehr hoch. Er hält es hoch in der Landschaft der Rhön, weit sichtbar über unser Land. Der Heilige Kilian am Kreuzberg spricht nicht von Welt- und Kirchenmacht. Er weist darauf hin, dass in aller Ohnmacht der Herr uns nahe ist. Alles was atmet, auch unsere Atemnot und Kurzatmigkeit, überall da, wo uns die Luft ausgeht, ist Gotteslob.
Ich wünsche uns, dass wir gleich dem Heiligen Kilian und seiner Gefährten dies im eigenen Leben immer wieder erfahren und aus dieser Kraft heraus unsere Zeitgenossen und -genossinnen stärken durch unseren Dienst, durch die Nähe zu den Menschen. Amen.