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Was ist und was zu tun ist

Predigt von Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele am Hauptfest der Maria-Schmerz-Bruderschaft, 18. September 2005, am Käppele Würzburg

Mehr als 2200 Jahre ist es her, dass der griechische Naturforscher Archimedes den Satz prägte: „Gib mir einen festen Punkt, wo ich stehen kann, und ich werde die Welt aus den Angeln heben.“ Das ist ein kühnes Wort, aber auch ein Wort, das menschliche Not bezeugt. Offenkundig findet der Weise, dem die Menschheit wichtige Erkenntnisse verdankt, in der ganzen Welt keinen Punkt, der ihm einen festen Halt bietet. Alles ist im Fluss, alles verändert sich, auf nichts kann man sich ganz und gar verlassen. Archimedes ist davon überzeugt: Gebe es diesen Punkt, könnte man von dort aus die Welt entscheidend verändern.

Liebe Schwestern und Brüder! Diesen Punkt gibt es. Er wird uns heute am Hauptfest der Maria-Schmerz-Bruderschaft aufs neue vor Augen gestellt. Das Evangelium lenkt unseren Blick auf ihn: Dieser Punkt ist uns mit dem Kreuz Christi gegeben. Dort können wir Fuß fassen; dort finden wir die Sicherheit, die uns sonst niemand geben kann; von dort aus können wir in der Tat die Welt bewegen. Das Kreuz Christi sagt uns, was ist und was zu tun ist. Unsere liebe Frau hat das unter dem Kreuz als erste aufs beste wahrgenommen. Sie möge uns helfen, dass wir mit klarem Blick die wichtigsten Wahrheiten erfassen und überdies lernen, was unbedingt zu tun ist, worauf es in unserem Leben ankommt.

Was ist –

Wie unsere Welt ist

Als erstes sagt uns das Kreuz Wichtiges über die Welt, in der wir leben. So großartig vieles ist, so schön und gut es uns erscheint, es gibt unsagbar großes Leid in ihr. Wenn der Käppeles Kreuzweg reden könnte, würde er uns sagen, wie viele Nöte Ungezählte gequält haben, die hier hochgegangen sind. Wenn das Gnadenbild unserer lieben Frau berichten könnte, was alles an menschlichem Leid der Mutter des Herrn anvertraut worden ist, wir könnten es nicht fassen. Wenn wir uns vergegenwärtigen, was allein in diesem Jahr Menschen in aller Welt erlitten haben, kommen wir an kein Ende. Denken wir an die Opfer der Tsunami-Katastrophe und an die Tausende die dem Hurrikan Katrina im Süden der Vereinigten Staaten zum Opfer gefallen sind. Unübersehbar groß ist das Heer derer, die Tag für Tag und Nacht für Nacht Schwerstes zu verkraften haben. Vieles davon geschieht in aller Stille ohne dass es anderen groß auffällt. Manches was Eltern oder Eheleute erleben müssen, kann mehr weh tun als äußere Verletzungen. Ja, so faszinierend unsere Welt ist, sie ist kein Paradies. Zu ihrem Licht gehören tiefe Schatten. Deshalb forderte die Entscheidung des Gottessohnes, Mensch zu werden, die Bereitschaft, Schmerz und Leid, Angst und Not auf sich zu nehmen. Er tat es aus Liebe zu den Leidenden und selbst zu denen, die Leid bereiten. Auch darauf weist uns das Kreuz hin.

Wie die Menschen sind

Durch das Kreuz kann uns bewusst werden, wie viel Not den Menschen zu schaffen macht. Der Schrei, den ein Menschenkind nach seiner Geburt hören lässt, ist der erste von vielen, die Schmerzen und Nöte im Lauf des Lebens auslösen. Wir haben eben gehört, wie der Hebräerbrief bezeugt, dass der Heiland „mit lautem Schreien und unter Tränen“ sich an seinen himmlischen Vater gewandt hat. Nicht vergessen seien die Leiden, die in aller Stille ertragen werden. Oft müssen wir staunen, wie viel einzelnen Menschen zugemutet wird. Schlimmer noch als die zu ertragenden Leiden ist die Tatsache, dass Menschen in der Lage sind, anderen unermessliches Leid zuzufügen. Das kann unbewusst geschehen, aber leider auch mit Absicht und bösem Willen. Die Psalmen der Heiligen Schrift wissen davon. Mehrfach beklagt der Psalmist die Not, die speziell Nahestehende einem bereiten können. Das Kreuz Christi stellt uns vor Augen, zu welchen Untaten Menschen fähig sind. Mehr noch zeigt es uns, wozu Gott fähig ist.

Wie Gott ist

Während die Nöte und Leiden uns Menschen treffen, ohne dass wir das wollen, nimmt der Sohn Gottes die größten Nöte und Leiden freiwillig auf sich. Der ewige Gott lebt bewusst unter sterblichen Menschen; der heilige Gott ist bereit, unter lauter Sündern zu sein; der selige Gott verzichtet auf die Seligkeit, um uns an ihr Anteil zu geben. Im Hebräerbrief heißt es: „Er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen“ (Hebr 12,2). Das macht sein Kreuz zum Zeichen der Hoffnung, das macht es zum Schlüssel für ein glückliches, segensreiches Leben. An uns ist, diesen Schlüssel in der rechten Weise zu gebrauchen. Das Kreuz selber kann uns klar machen, was näherhin zu tun ist.

Was zu tun ist:

Mit Maria Christus lieben

Was Christi Kreuz für mich persönlich und für die ganze Menschheit bedeutet, geht einem erst auf, wenn der Funke der Liebe vom Gekreuzigten zu uns überspringt und zündet. Das ist bei seiner Mutter in vollkommener Weise geschehen. Sie war mit ihrem Sohn so innig verbunden, dass man zurecht sagen kann: „Ein Kreuz genügte, um Sohn und Mutter das Kreuzesgeschick erleiden zu lassen.“ Es war so, wie wir es im Lied singen: „Angst und Jammer, Qual und Bangen, alles Leid hielt sie umfangen, das nur je ein Herz durchdrang.“ So wurde Maria die Königin der Märtyrer. Dankbar und bewundernd können wir uns mit der Kirche den Ruf vor dem Evangelium zu eigen machen: „Ohne den Tod zu erleiden, hast du die Palme des Martyriums verdient unter dem Kreuz des Herrn.“ Als Mitliebende wurde sie Mitleidende und Mithelfende. Wie niemand sonst kann sie uns helfen, dass wir ihren Sohn, den gekreuzigten Erlöser, von ganzem Herzen lieben. Auf Golgota erfüllte sie voll und ganz, was sie gesagt hat, als sie zur Mutter des Herrn berufen wurde: „Mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38). An ihrer Hand können wir lernen, in allen Situationen unseres Lebens unserem Heiland zu sagen: „Ich bin die Magd es Herrn“ (Lk 1,38). „Ich bin dein Knecht, ein Sohn deiner Magd.“ Die Liebe zu ihrem Sohn wird uns umso mehr geschenkt, als wir unsere Mutter lieben. Tun wir das, dann bewegen wir uns in den Spuren unseres Erlösers.

Mit Christus Maria lieben

Mitten in der Sterbensnot zeigt der Gekreuzigte, wie sehr er seine Mutter liebt. Der Evangelist berichtet: „Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe dein Sohn“ (Joh 19,26). Sterbend vertraut er ihr seinen Freund an und mit Johannes uns alle. Die Mutter des Erlösers wird berufen, die Mutter aller Erlösten zu sein. Wenn sie ihn nicht mehr leibhaftig vor sich sieht, soll sie ihn in allen seinen Brüdern und Schwestern finden. Wie sie ihm als Mutter aufs innigste verbunden war, soll sie allen Menschen nicht nur mit mütterlichen Gefühlen, sondern in echter, liebender Mutterschaft verbunden sein. Dem „Jünger, den er liebte“, sagt der Gekreuzigte: „Siehe, deine Mutter“ (Joh 19,27). Ihm und uns allen legt er damit ans Herz: „Liebt meine Mutter, wie ich sie geliebt habe. Liebt sie mit mir.“ Deshalb gehört die echte Marienliebe zur konsequenten Nachfolge des Herrn. Manche verstehen das nicht. Sie meinen: Was Maria an Zuneigung und Vertrauen geschenkt wird, geht ihrem Sohn ab, mindert das, was wir ihm schulden. In Wahrheit verbindet uns die Liebe zu Maria mit ihrem Sohn und seiner Liebe. Er will uns ja nicht nur Gaben seiner Liebe zuteil werden lassen; er will uns in sein Lieben hineinnehmen. Vom Kreuz herab sagt uns der Heiland: „Liebt mit mir und meiner Mutter euren Nächsten!“

Mit Christus und Maria den Nächsten lieben

„Da er die Seinen liebte, liebte er bis zum äußersten“ (Joh 13,1). Diese Worte, mit denen Johannes den Passionsbericht beginnt, finden im Kreuzestod Jesu ihre tiefste Erfüllung. Alles Leid nimmt der Herr für uns auf sich; alles, was er ist und hat, gibt er für uns hin. Er verwirklicht die Ganzhingabe in höchster Vollendung. Zu seiner Liebe gehört, dass er für seine Mutter und für seinen Lieblingsjünger und so für uns alle sorgt. Maria wird ausdrücklich in sein Lieben hineinberufen, wenn er ihr sagt: „Frau, siehe dein Sohn.“ Seither gilt für sie und für uns: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34). Entsprechend heißt es im Ersten Johannesbrief: „Wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit“ (1 Joh 3,18). Noch konkreter fordert uns Vinzenz von Paul auf: „Lieben wir Gott, meine Brüder, aber auf Kosten unserer Arme und im Schweiße unseres Angesichts“. Die Liebe zum Heiland wie zu seiner Mutter muss sich in Taten bewähren. Mit Nachdruck lehrt uns das II. Vatikanische Konzil, dass die wahre Andacht zur Mutter des Herrn „weder in unfruchtbaren und vorübergehendem Gefühl … besteht, sondern aus dem wahren Glauben hervorgeht, durch den wir … zur Nachahmung ihrer Tugenden angetrieben werden.“

Der Gekreuzigte und seine Mutter sagen uns durch ihr Leben und Sterben, worauf es ankommt. Wir können es mit den Worten des Konvertiten Angelus Silesius auf den Punkt bringen:

„Ein einzig’s Wort spricht Gott zu mir, zu dir und allen: Lieb! Tun wir dies durch ihn, wir müssen ihm gefallen.“ Amen.

(3805/1195)