Das Jahr 2008 vereinigt eine Reihe von runden Gedenktagen, die uns an wichtige kirchengeschichtliche Ereignisse und Vorgänge des 20. Jahrhunderts heranführen. Sie rufen uns in Gedächtnis, vor welchen Bewährungen und Herausforderungen die Kirche im letzten Jahrhundert stand, sie rufen uns aber auch auf über unser Verhalten angesichts der gegenwärtigen Aufgaben und Sorgen nachzudenken.
Im Herbst vor 50 Jahren vollzog sich der epochale Pontifikatswechsel von Papst Pius XII. zu Papst Johannes XXIII. Am 25. Januar 1959, also knapp drei Monate nach seiner Wahl am 28. Oktober 1958, kündigte Papst Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil an, das die schon lange erwartete große Selbstbesinnung der Kirche auf ihren Auftrag angesichts der Umbrüche der Moderne leisten sollte. Schon Papst Pius XII. hatte ein Konzil erwogen, es wurden sogar intern erste Vorbereitungen getroffen. Papst Pius XII. wollte aber dann doch nicht dieses Wagnis eingehen.
Als Papst Pius XII. am 9. Oktober 1958 verstarb, war er eine allseits hochgeachtete Persönlichkeit und es war damals nicht zu erwarten, dass nur wenige Jahre später eine bis heute andauernde und heftige Kontroverse über sein Verhalten angesichts der nationalsozialistischen Gräueltaten, in erster Linie angesichts der Judenvernichtung, anbrechen sollte. Es wurde und wird ihm eine falsche Zurückhaltung und zu großes diplomatisches Kalkül vorgeworfen. Gleichzeitig wird aber auch sein Einsatz für die Juden Roms gewürdigt. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, in die Diskussion der Historiker einzugreifen. Herausheben möchte ich aber, dass dem Papst selbst bereits die ganze Problematik seiner Situation bewusst war und ihm die Entscheidung zu seinem Verhalten keineswegs leicht gefallen ist. Dies wird eindrucksvoll in einem Schreiben des Papstes an den Würzburger Bischof Matthias Ehrenfried aus dem Jahr 1941 deutlich, das Hubert Wolf in seinem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum 50. Todestag des Pacelli-Papstes zitiert. Pius XII. betont hier ausdrücklich: „Wo der Papst laut rufen möchte, ist ihm leider manchmal abwartendes Schweigen, wo er handeln und helfen möchte, geduldiges Harren geboten“.
Der genaue Zusammenhang des päpstlichen Schreibens an den Würzburger Bischof bedarf noch der näheren historischen Erforschung. Zu vermuten ist, dass Bischof Ehrenfried den Papst auf den sich im Jahr 1941 verschärfenden Kampf der Nationalsozialisten gegen die Kirche hinwies.
Bischof Ehrenfried, dessen Todestag sich am 30. Mai zum 60sten Mal jährte, scheute nämlich keineswegs das deutliche Wort in der Öffentlichkeit. Ein Beispiel mag dies unterstreichen. Wie aus dem Gaubericht Mainfranken für die Monate April bis Juni 1941 hervorgeht, habe er bei Firmungsreisen nach Marktheidenfeld, Lohr und Gemünden in seinen Predigten bemerkt: „Es ziehen falsche weltliche Propheten im Land umher, glaubt ihnen nicht; man lehrt heute statt der Unsterblichkeit der Seele die Unsterblichkeit des Blutes…“ Dann sei er, so die weiteren Ausführungen des Gauberichtes, auf die Entfernung der Kreuze in den Schulen zu sprechen gekommen; im lautesten Ton und seine Worte mit einem Faustschlag auf die Kanzel unterstreichend, habe er gerufen: „Ich fühle mich vor meinem Gewissen verpflichtet dagegen zu protestieren.“
Schon im Jahre 1933, dem Jahr der nun 75 Jahre zurückliegenden nationalsozialistischen Machtergreifung, hatte Bischof Matthias Ehrenfried mit großer Skepsis auf die scheinbar versöhnlichen Töne Hitlers, ja dessen Werben um die katholische Kirche reagiert. Manche Kirchenführer dagegen ließen sich im Jahr 1933 blenden und glaubten, Hitler würde sich durch Verträge und Absprachen binden und bändigen lassen. Herr Prof. Altgeld wird im wissenschaftlichen Vortrag „Der deutsche Katholizismus im Jahr 1933“ zu dieser Problematik sprechen. Ich darf die Gelegenheit nutzen, Herrn Prof. Altgeld nicht allein dafür zu danken, dass er heute dieses Referat übernommen hat, sondern dass er auch im Zuge der Stangl-Ausstellung im letzten Jahr so bereitwillig und uneigennützig wertvolle Mitarbeit geleistet hat und auch in anderen Projekten mit Rat und Tat zur Seite steht.
Danken möchte ich auch der katholischen Akademie Domschule und dem Diözesangeschichtsverein, dass er in der morgigen Tagung zum Thema „Der ‚schwarze Gau’. Das Bistum Würzburg unter nationalsozialistischer Herrschaft“ diese Fragestellung weiterführt und die Erinnerung an 75 Jahre nationalsozialistischer Machtübernahme zum Anlass nimmt, zentrale Aspekte der kirchlichen Situation im Dritten Reich zu erhellen.
Mit Recht wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Bischof, Klerus und Kirchenvolk im Bistum Würzburg im Einsatz für ihre Kirche und ihren Glauben die Auseinandersetzung mit dem Regime wagten und zu großem Risiko bereit waren. Ebensowenig ist aber die historische Tatsache zu leugnen, dass auch in Würzburg Christen angesichts der nationalsozialistischen Judenverfolgung schwiegen, nur von einem Versagen der Kirche „auf der ganzen Linie“ (wie es eine Überschrift im Sonntagsblatt kundtut) kann nicht die Rede sein.
Dennoch darf in dieser Stunde die Erinnerung an die Ereignisse vor genau 70 Jahren in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 nicht unterdrückt werden, als der nationalsozialistische Mob die Synagoge in der Domerschulstraße zerstörte, Wohnungen jüdischer Mitbürger plünderte, jüdische Mitbürger schlug und zu Tode hetzte. Beklemmend bleibt, dass ein klares Wort aus christlicher Verantwortung von Seiten der kirchlichen Autoritäten fehlte.
Aus der Zeit des Nationalsozialismus nimmt die Kirche die bleibende Mahnung mit, die das Zweite Vatikanische Konzil in der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen formuliert: „Wir können aber Gott, den Vater aller, nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die ja nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Liebe verweigern… Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht.“ (NA 5)
Geschichtliche Erinnerung an Gedenktage und Jubiläen ist daher im christlichen Verständnis immer mehr als ein bloßes Zurückschauen, sondern Wegsuche zu Umkehr und Erneuerung.