Bastheim (POW) Der Winter war in diesem Jahr lang und kalt in der Rhön: kniehoher Schnee und Temperaturen, die beständig am Gefrierpunkt kratzten; mal darüber, meist aber knapp darunter lagen. Wer bei diesem Wetter vor die Türe ging, der trug zumeist mehrere Schichten wärmender Kleidung auf dem Leib. Und wer anstatt der Arbeit im Freien einer Tätigkeit in der warmen Stube nachgehen konnte, der war um diesen Tausch zumeist nicht böse. Etwas anders gestaltete sich die Situation jedoch am Simonshof bei Bastheim in der Rhön: Eine Gruppe Männer ist nicht nur bei Frühlingstemperaturen im März oder sonnigen Sommertagen fast täglich auf dem Gelände unterwegs. Die Männer arbeiteten auch bei Minustemperaturen des langen Winters, um Wege und Flächen von Eis und Schnee zu befreien, das Gelände in Schuss zu halten. Für diese Menschen ist die Kälte in der Regel zweitrangig. Viele von ihnen haben in ihrem Leben schon ganz andere Umstände erlebt. Auf dem Simonshof gehen die Uhren eben ein wenig anders, schließlich leben in der Einrichtung Menschen, die einen Teil des Lebens auf der Straße verbracht haben, ohne Wohnung und ohne Obdach waren.
„Für diese Menschen ist zu einem Zeitpunkt der rote Faden im Leben gerissen. Sie geraten irgendwann in eine Krise, die sie nicht mehr beherrschen können“, sagt Nikolaus Schmidt, der die Abteilung soziale Dienste im Simonshof leitet. Scheidung, Tod von Eltern oder Lebenspartnern – dies seien typische Schicksalsschläge, die dazu führten, dass Menschen die Orientierung im Leben verlören und schließlich auf der Straße landeten. „Die ordnende Instanz geht da in vielen Fällen einfach verloren.“ Oftmals letzte Anlaufstelle für diese Menschen ist der Simonshof in Bastheim: Insgesamt haben derzeit rund 180 Menschen einen Platz in der Einrichtung gefunden. Einen Platz zum Wohnen und Arbeiten, aber auch einen Platz für ihren Weg zurück ins Leben. „Bedarfsgerechte Hilfe“ ist in diesem Fall das Stichwort. „Das Leben auf der Straße ist ruinös: die Menschen altern vorzeitig, werden schneller krank“, umreißt Schmidt die prekäre Situation, in der sich viele Bewohner der Einrichtung befinden. Im Simonshof finden viele von ihnen Zuflucht, können dank des sozialtherapeutischen Angebots, das bedarfsgerecht externe Fachdienste und seelsorgerische Hilfen umfasst, wieder Halt finden, einen Schritt zurück in ein geregeltes Leben machen und am Aufbau einer normalen Existenz arbeiten. „Es ist das Ziel, dass diese Menschen eine Lebensperspektive finden, wieder aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen oder notfalls sich dauerhaft in das Leben in der Gemeinschaft des Simonshofes einfinden können.“
Insgesamt 130 Mitarbeiter begleiten die ehemals Obdachlosen dabei auf ihrem Weg. So gibt es im Simonshof Werkstätten, in denen Kartonagen, Fahrradklingeln oder Wäscheklammern zusammengebaut, ein eigenes Sägewerk, in dem bei Bedarf Holzpaletten gefertigt werden. Wer nicht in den Werkstätten und Betrieben des Hofes arbeitet, der hat die Möglichkeit, sich um die Instandhaltung des Geländes zu kümmern. Die Arbeit ist ein erster Schritt zurück in ein geregeltes soziales Umfeld, „sie bringt in der Vergangenheit verlorene Struktur zurück ins Leben“, weiß Schmidt.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde das über 200 Hektar große Areal mit mehreren kleinen Gehöften vom „Verein für Arbeiterkolonien in Bayern“ erworben. 1951 ging er aus dem Besitz des Freistaates an die Caritas über – mit der Auflage, ihn als Heimat- und Fürsorgehof zu erhalten. Aus der ursprünglich stark landwirtschaftlich geprägten Einrichtung ist mittlerweile eine kleine Siedlung bei Bastheim entstanden: Werkstätten, Wohnhäuser und ein Pflegeheim, ein zum Freizeitbereich umgebauter Rinderstall, eine Kirche sowie eine Cafeteria mit kleinem Laden. Sogar ein einrichtungseigener Friedhof schließt sich an. Die Landwirtschaft ist aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung inzwischen weitgehend vom Simonshof verschwunden. 80 Hektar landwirtschaftliche Fläche ist verpachtet, auf die übrigen Ländereien verteilen sich Waldflächen, Wohn- und Arbeitsgebäude.
Doch hat sich der Simonshof im Laufe seiner Geschichte nicht nur beständig gewandelt, auch das Angebot der Einrichtung wurde kontinuierlich erweitert. So ist mit dem Camillus-Haus ein modernes Pflegeheim mit beschützender Station entstanden. 115 Pflegeplätze stehen dort zur Verfügung, 22 davon im beschützenden Bereich, in dem demente Heimbewohner optimal versorgt und betreut werden können. Zum beschützenden Bereich gehört ein großzügig und abwechslungsreich angelegter Gerontogarten. Das besondere an diesem Part des Simonshof-Angebots: Das Pflegeheim, das als erstes Altenheim für wohnsitzlose Menschen in Bayern anerkannt wurde, steht nicht nur den Bewohnern des Simonshofes, sondern auch für Menschen aus der Region offen. „Dieses Angebot richtet sich auch an Menschen, die für ihre Angehörigen eine wohnortnahe Betreuung und Versorgung wünschen“, erklärt die Pflegedienstleitung, Gudrun Völkner. Seit einiger Zeit bietet die Einrichtung mit großem Erfolg auch Kurzzeitpflegeplätze an.
Die Mehrzahl der Bewohner des Hofes lebt allerdings nicht im Heim, sondern in Wohngruppen mit Einzelzimmern und Einzelwohnungen. Diese sind in unterschiedlichsten Gebäuden über das gesamte Gelände verstreut. Ob im großen Block oder der kleinen Einheit – die Möglichkeiten der Unterbringung variieren. Doch haben alle Wohnform ein Ziel: In der Gemeinschaft, dem täglichen Beisammensein, soll wieder ein soziales Umfeld für die Bewohner entstehen. Darüber hinaus lernen sie in der Einrichtung auch wieder Verantwortung zu übernehmen: Neben den verschiedenen Arbeiten auf dem Hof oder den diversen Werkstätten kümmern sich die Bewohner auch um die häuslichen Aufgaben, übernehmen teilweise die Verpflegung in den Wohnbereichen in Eigenregie. Dieser dörfliche und gemeinschaftliche Charakter soll die Chancen für einen Neubeginn erhöhen. Ziel, so Simonshof-Leiter Albrecht Euring, sei es, „dass die Menschen unserer Hilfe entwachsen und irgendwann wieder einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen“. Die letzten Überreste des Winters zu beseitigen, war nur ein erster Schritt auf diesem Weg, aber ein wichtiger Schritt in Richtung Frühling.
(1209/0370; E-Mail voraus)
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