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„Wer die Fakten kennt, kann nur lachen“

Bibelexperte Professor Dr. Bernhard Heininger hält zentrale Aussagen von Dan Browns Roman „Sakrileg“ für hanebüchen – Verfälschung von Jesu Worten und Leben hat lange Tradition

Würzburg (POW) Viel Lärm um nichts macht nach dem Urteil von Professor Dr. Bernhard Heininger, Inhaber des Lehrstuhls für Neutestamentliche Exegese an der Universität Würzburg, der Autor Dan Brown in seinem Bestseller „Sakrileg“. Die Verfilmung des Romans kommt als „The Da Vinci Code“ am 18. Mai in die deutschen Kinos. Im folgenden Interview klärt Heininger, welche grundlegende Missverständnisse sich hinter den angeblich verschwiegenen „Fakten“ verbergen, und ruft zur vertieften Beschäftigung mit den biblischen Texten auf.

POW: Herr Professor Heininger, was steckt hinter dem Erfolg von Sakrileg?

Professor Heininger: Schon der Name Dan Brown ist ein Publikumsmagnet. Der Autor hat mehrere erfolgreiche Thriller geschrieben. Dann ist es sicher auch der Stoff, der interessant ist für breitere Bevölkerungsschichten: Die Kirche kommt vor und wird – wie in diesem Genre fast schon üblich – kritisch gesehen. Weiter finden sich Dinge, um die sich sowieso Gerüchte ranken – wie Opus Dei. Und nicht zuletzt elektrisiert die Massen sicher die Tatsache, dass Jesus eine Beziehung mit Maria Magdalena angedichtet wird. Dann wird noch unterstellt, die Kirche verschweige diese grundlegende Wahrheit und erst Dan Brown enthülle dieses Geheimnis. All das trägt in der Summe zum Erfolg dieses Romans bei. Ganz abgesehen davon, dass sich Thriller einer bestimmten Güteklasse ohnehin relativ gut verkaufen. Wenn ein solches Buch in den einschlägigen Magazinen besprochen wird und die entsprechenden Stichworte fallen, dann ist das allemal ein Kaufanreiz. Das ist auch in der Sachliteratur häufig ganz ähnlich: Ob das Buch inhaltlich etwas taugt, ist nebensächlich, solange der Titel reißerisch genug ist.

POW: Wo liegt denn für eine an sich säkulare Gesellschaft der Reiz eines religiösen Themas, wie es Sakrileg behandelt?

Heininger: Die Gesellschaft ist von Dingen, die ihr fremd sind, immer fasziniert, besonders, wenn sich darum auch noch Mysterien ranken. Da möchten die Leute hineinschnuppern. Selbst die kanonischen Evangelien sind – wie ich glaube – der säkularen Gesellschaft in der Breite nicht mehr geläufig. Das macht anfällig dafür, Romanwahrheiten als authentisch zu betrachten.

POW: Einer der letzten großen Buch- und Kinoerfolge mit einem religösen Thema war Umberto Ecos „Der Name der Rose“. Wo sehen sie den grundlegenden Unterschied zu Sakrileg?

Heininger: Umberto Eco hat wesentlich gründlicher recherchiert. Bei Brown ist der Anteil des Fiktionalen sehr hoch. Eco dagegen hat sich präzise mit dem Mittelalter und seinen theologischen Auseinandersetzungen beschäftigt und liefert ein authentischeres Bild. Dennoch bleibt ein Roman ein Roman. Ecos „Name der Rose“ wirkt aufgrund der sauber recherchierten und in das fiktionale Genre eingebauten historischen Versatzstücke glaubwürdiger.

POW: Der Kernpunkt bei Sakrileg ist die Behauptung, dass Jesus mit Maria Magdalena Nachkommen hatte. Wie sind diese Aussagen aus der historisch-kritischen Jesus-Forschung zu bewerten?

Heininger: Es handelt sich um ein reines Fantasieprodukt. Neutestamentlich ist da ohnehin nichts zu holen, wenn man von dem Umstand absieht, dass Maria Magdalena an gewissen Stellen im Neuen Testament eine zentrale Rolle spielt: Sie ist Zeugin der Kreuzigung Jesus und seines Begräbnisses. Auch bei der Auffindung des leeren Grabs ist sie präsent. Insgesamt gibt das Neue Testament nicht so viele Informationen über Maria Magdalena her: Sie stammt aus einem Ort, der für seine Fischverarbeitung bekannt war; bei Lukas wird noch erwähnt, dass Maria Magdalena von sieben Dämonen geheilt wurde und fortan mit Jesus, den Zwölfen und noch anderen Frauen durch Galiläa zog. Im Johannes-Evangelium spielt sie im 20. Kapitel eine sehr prominente Rolle als erste Osterzeugin. Über die Darstellung bei Markus hinaus wird sie bei Johannes einer Erscheinung des Auferstandenen gewürdigt und bekommt auch einen Verkündigungsauftrag. Viel mehr erfahren wir über Maria Magdalena in den Evangelien nicht. Und ob die Stelle bei Johannes ausreicht, um eine Beziehung zu konstruieren, möchte ich doch in Frage stellen. Ich halte das für reine Spekulation oder Fantasie.

POW: Wie gesichert darf denn der Tod Jesu gelten? Im seinem Buch zieht Dan Brown unter anderem auch einem Kreuzestod Jesu in Zweifel.

Heininger: Das ist Unsinn. Es gibt kein historisch sichereres Faktum im Neuen Testament als den Kreuzestod Jesu. Denn dafür finden sich auch außerbiblische Belege: bei dem römischen Historiker Tacitus, bei dem jüdischen Schriftsteller Flavius Josephus. Dessen Zeugnis ist zwar umstritten, weil es wahrscheinlich christlich überarbeitet wurde. Am Faktum des Todes Jesu ändert das aber nichts. Tacitus ist ganz sicher kein Christ gewesen und spielt explizit darauf an, dass Jesus unter Pontius Pilatus gekreuzigt worden ist.

POW: Woher stammt die Überlieferung, dass Jesus die Kreuzigung überlebt habe?

Heininger: Diese Tradition verdanken wir dem Umstand, dass apokryphe Texte, also Texte, die nicht in die Bibel aufgenommen wurden, herangezogen werden. Einige davon berichten von einem Weiterleben Jesu beziehungsweise davon, dass nicht Jesus, sondern zum Beispiel Simon von Cyrene an seiner Stelle gekreuzigt wurde. Der Denkfehler liegt darin, dass solche Quellen in der Regel nicht vom irdischen Jesus, sondern von einem himmlischen Geistwesen sprechen. Das ist ein großer Unterschied. Und genau diese Fehldeutung erfährt auch immer wieder das Philippus-Evangelium, ein ebenfalls apokrypher Text.

POW: Genau diesen Text führt auch Dan Brown als Beleg für seine These an. Wie bewerten Sie als Bibelwissenschaftler die Beweiskraft dieser Quelle?

Heininger: Ein angebliches Liebesverhältnis zwischen Jesus und Maria Magdalena lässt sich – wenn überhaupt – nur anhand des Philippus-Evangeliums konstruieren. In vielen anderen apokryphen Texten kommt Maria Magdalena als Osterzeugin, dann an prominenter Stelle als Dialogpartnerin Jesu vor. Beim so genannten Evangelium der Maria wird Maria Magdalena als eine Art Lieblingsjüngerin dargestellt, die besondere Offenbarungen erhält. Das hat aber nichts mit einer Liebesbeziehung zu tun. Nur im Philippus-Evangelium ist an zwei Stellen davon die Rede, dass Maria Magdalena die Gefährtin Jesu sei, weil er sie mehr liebte als alle anderen Frauen und weil er sie auf den Mund küsste. Was viele übersehen: Dieser Text ist ungefähr auf das Ende des zweiten oder den Anfang des dritten Jahrhunderts zu datieren. Er stammt aus dem Umfeld der Gnosis. Der Autor lässt offen, ob das Gespann Maria Magdalena und Jesus ein irdisches ist. Die valentinianische Gnosis, der das Philippus-Evangelium zugehört, stellt sich den Himmel nämlich voller so genannter Syzygien, Gespannen, vor, zum Beispiel von 30 Äonenpaaren. Eines davon besteht aus dem Erlöser und der Weisheit. Dem entspricht die Kombination Jesus und Maria Magdalena. Das ist der Denkrahmen. Ansonsten gibt das Philippus-Evangelium – im Gegensatz zu den biblischen Evangelien – nichts zum Leben Jesu her. Es enthält nur Aussprüche. Es muss schon sehr viel Fantasie aufgewandt werden, um hier eine Liebesbeziehung zu konstruieren. Kurz: Für mich ist das reine Spekulation. Das ist in einem Roman ein Stück weit erlaubt. Aber mit dem Anspruch, historisch recherchiert zu haben, darf Brown definitiv nicht auftreten. Das Philippus-Evangelium ist für die Erforschung des frühen Christentums ein wichtiger Text, aber für das Leben Jesu gibt er keine brauchbaren Anhaltspunkte.

POW: Dan Brown behauptet in „Sakrileg“, Jesus selbst habe eine Chronik seines Lebens verfasst, und Maria Magdalena habe ein Tagebuch geschrieben. Sind die beiden Texte ihnen im Zuge ihrer Studien schon untergekommen?

Heininger: Beide Schriften sind mir nicht bekannt. Ich kenne lediglich das bereits erwähnte Evangelium der Maria, das ich aber ganz bestimmt nicht als Tagebuch bezeichnen würde. Das fände ich extrem kühn. Es handelt sich dabei um einen Text, der mit unseren Vorstellungen von einem Evangelium nur sehr wenig zu tun hat und in dem Maria im Dialog steht mit Jesus, Petrus, Andreas und Levi. Sie hat eine Vision und erhält Sonderoffenbarungen. Darüber spricht sie mit den Jüngern. Es geht darin letztlich um die Frage der Offenbarung. Was ist Offenbarung? Wer kann sie empfangen? Deswegen ist der Text wissenschaftlich bedeutsam.

POW: Es wird auch behauptet, Kaiser Konstantin habe aus 80 Evangelien die vier für die Bibel ausgewählt, die frei von der unbequemen „Wahrheit“ von Jesus und Maria Magdalena sind. Hält diese Aussage der wissenschaftlichen Untersuchung stand?

Heininger: Der Prozess der Kanonisierung, also die Festlegung, welche Texte für den Gottesdienst und die Verkündigung genutzt werden, hat länger gedauert. Die vier Evangelien bildeten sich schon ab der Mitte des zweiten Jahrhunderts als kanonisch heraus. Ob die Zahl 80 stimmt, kann ich nicht bestätigen. Mir sind etwa 30 apokryphe Evangelien bekannt, wobei natürlich immer strittig ist, ob die Texte das Prädikat Evangelium überhaupt verdienen. Viele von ihnen sind nur sehr fragmentarisch erhalten.

POW: Wie neu ist der Vorgang, dass Jesu Leben, Worte und Handeln im Sinne von Eigeninteressen übermalt und verfälscht wird. Gibt es dieses Phänomen erst bei Dan Brown oder hat ein solches Vorgehen schon Tradition?

Heininger: Schon in der apokryphen Literatur des zweiten Jahrhunderts werden Jesus Worte in den Mund gelegt, die nicht von ihm stammen. Vielfach berufen sich die Autoren dafür auf eine Erscheinung des Auferstandenen. Dieser habe der vorhandenen Lehre wichtige Ergänzungen hinzugefügt. Es ist bei diesen Texten nicht auszuschließen, dass sich ein authentisches Jesuswort finden lässt, weil die vier Evangelien der Bibel sicher nicht alles enthalten, was Jesus gesagt hat. Hier gilt es, im Einzelfall sehr genau hinzusehen. Rund die Hälfte des Thomasevangeliums findet sich bei den Synoptikern, das heißt bei Markus, Matthäus und Lukas wieder. Die Wahrscheinlichkeit, zum historischen Jesus durchzustoßen, ist damit im Thomasevangelium, verglichen mit anderen Apokryphen, durchaus gegeben. Davon abgesehen spielen die apokryphen Evangelien aber in der historischen Jesusforschung so gut wie keine Rolle.

POW: Die italienische Zeitung „Avvenire“ und die griechisch-orthodoxe Kirche rufen zum Boykott von Film und Buch auf.

Heininger: Ob solche Aufrufe etwas nützen, weiß ich nicht. Sicherlich gibt es eine Grenze des guten Geschmacks. Sollte diese im Film verletzt werden, dann ist ein Boykottaufruf überlegenswert. Ich habe das Buch gelesen und war eher enttäuscht. Olle Kamellen, die da wieder herangeschafft werden. Durch einen Boykott bekommen Buch und Film am Ende wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit, als sie verdienen. Theologisch und historisch ist an der Story nichts dran.

POW: Besteht Gefahr, dass jemand durch das Buch oder den Film vom Glauben abfällt?

Heininger: Wer einigermaßen informiert ist, weiß, dass diese Fantasien nicht neu sind. Wir sollten ganz gelassen damit umgehen. Der Roman hat mich als Theologen enttäuscht. Wer die Fakten kennt, kann über die Fiktion nur lachen. Um die absurden Aussagen zu widerlegen, wäre es hilfreich, sich einmal die entsprechenden Bibelstellen anzusehen. Vielleicht ist das auch eine Anfrage an die Kirche, wie biblisch mündig ihre Gläubigen sind.

(2006/0714; E-Mail voraus)

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