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Dokumentation

Wer nach der Wahrheit sucht, muss ein streitbarer Mensch sein

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung am Montag, 17. Oktober, in der Schutzengelkirche Eichstätt beim Gottesdienst zur Semestereröffnung der Katholischen Universität

Liebe Studierende, liebe Lehrende,

Ignatius von Antiochien

Die Kirche begeht heute den Gedenktag des Heiligen Ignatius von Antiochien. Ignatius wird unter die sogenannten Apostolischen Väter gezählt. Damit gehört er zu den Heiligen der frühen Kirche, die in unmittelbarer Nachfolge der Apostel standen. Der Überlieferung nach wurde Ignatius von Petrus selbst zum Bischof Antiochiens eingesetzt. Damit wurde er Bischof der Stadt, die sich zum Dreh- und Angelpunkt christlicher Missionsbestrebungen entwickelte. In Antiochien waren die „Anhänger des neuen Weges“ zum ersten Mal „Christen“ genannt worden, wie Lukas in der Apostelgeschichte berichtet (Apg 11,26).

Sehr früh schon entwickelte sich eine ausgeprägte Verehrung des Ignatius. Ausschlaggebend dafür war seine Martyriumssehnsucht. Unter Kaiser Trajan soll er nach Rom überstellt worden sein, wo er im Circus Maximus den Löwen zum Fraß vorgeworfen wurde. In seinem berühmten Brief an die christliche Gemeinde in Rom bat er die stadtrömischen Christen, von möglichen Befreiungsaktionen Abstand zu nehmen. Als Märtyrer wollte er Christus nachfolgen in den Tod. Wir erinnern uns: In den ersten Jahrhunderten wurden nur diejenigen als Heilige verehrt, die den Märtyrertod erlitten hatten.

Ich erzähle Ihnen das alles nicht aus historischem Interesse, so spannend die Figur des Ignatius von Antiochien auch ist. Nebenbei sei bemerkt, dass der Ordinarius für Neues Testament an der KU Eichstätt, Professor Lothar Wehr, bei unserem gemeinsamen Doktorvater Joachim Gnilka mit einer Arbeit über das Eucharistieverständnis bei Ignatius von Antiochien und im Johannesevangelium promoviert. Mir geht es heute aber nicht um einen historischen Rückblick. Vielmehr glaube ich, dass die Figur des Märtyrers uns viel zu sagen hat über den Auftrag der Universität, mehr noch über den Auftrag einer katholischen Universität. Das möchte ich in vier Punkten ausführen.

Dem Märtyrer wie der Universität geht es um die Wahrheit

Ein erstes. Der Universität wie dem Märtyrer geht es um die Wahrheit. Muss das eigens betont werden? Ich denke ja. Denn die Hochschulpolitik legt aktuell gerne den Akzent auf die Nützlichkeit und Verwertbarkeit universitärer Forschungsergebnisse. Das ist unter ökonomischen Gesichtspunkt verständlich und nachvollziehbar, widerspricht aber dem Ideal der Universität. Die Universität begreift sich als Raum der Freiheit für die Forschung im Sinne der Wahrheitserkenntnis.

Allen Nützlichkeitserwägungen und jeder Forderung nach der praktischen Verwertung der Forschungsergebnisse ist deshalb eine Absage zu erteilen. Denn der Universität geht es nicht allein um Ausbildung, sondern primär um Bildung.

Insofern darf sich eine Universität nicht von politischen, ökonomischen oder technischen Interessen vereinnahmen und ihre Themen und ihre Ergebnisse nicht von außen aufzwingen lassen.

Die Lebensgeschichten vieler Märtyrer der Frühzeit erzählen von einem intensiven Klärungsprozess auf der Suche nach einer Wahrheit, die trägt. Als sie in Christus die Wahrheit in Person gefunden hatten, veränderte das ihr Leben grundlegend. Denn sie erkannten, dass alles Streben nach bleibender Erkenntnis und nach einer Wahrheit, die mehr ist als nur praktisches Wissen, letztlich zu Christus führt. „In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen“, heißt es im Kolosserbrief (Kol 2,3) so eindrucksvoll.

Insofern gilt, was Kardinal John Henry Newman allen Befürwortern der These, eine Universität müsse nützlich sein, entgegengehalten hat. Er verwies darauf, „dass das Nützliche nicht immer gut ist, aber das Gute immer nützlich“. Die Universität hat die Wahrheitssuche offen zu halten als ihr eigentliches Gut. Nur so kann auch die Wahrheit Jesu Christi ansichtig werden, die die vielen Wahrheiten der Wissenschaft überragt und ihnen einen letzten Sinn erschließt, der jenseits rein irdischer Erkenntnisbemühungen liegt.

Nach wie vor gilt hier das Diktum aus Wittgensteins berühmten Tractatus logico-philosophicus: „Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. “

Diese werden erst sichtbar im Blick auf eine andere Wahrheit, die allerdings irdischer Logik enträt.

Der Märtyrer entlarvt wie der wahrhaft Gebildete alle falschen Absolutheitsansprüche als Anmaßung

Ein Zweites. Nicht wenige Martyriumsberichte erzählen von dem Gerichtsprozess, in dem sich der oder die Märtyrer vor den Autoritäten ihrer Zeit zu verantworten hatten. In diesen Prozessen ist ein immer wiederkehrender Punkt die Abweisung falscher Absolutheitsansprüche. Diese treten auf in der Forderung, den Göttern zu opfern oder dem Machthaber, oftmals dem Kaiser als Manifestation göttlicher Macht, die schuldige Verehrung zu erweisen. Mit großer Entschiedenheit verweigern sich die Märtyrer dieser Forderung. Sie delegitmieren sie im Blick auf den einen wahren Gott, dem allein Anbetung gebührt.

Auch hier zeigt sich eine Parallele zur universitären Forschung. Denn der Wissenschaftler zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht nur nach Erkenntnis strebt, sondern auch die Fähigkeit mitbringt, das Erkannte zu hinterfragen und immer wieder neu dem methodischen Zweifel zu unterwerfen. Das bedeutet auch offenzulegen, welche Fragen nicht geklärt sind und noch weiterer Bearbeitung bedürfen.

„Der Unterschied zwischen dem Wissenschaftler und dem Laien besteht weniger darin, dass jener mehr weiß als dieser, als vielmehr darin, dass sich der Wissenschaftler darüber im Klaren ist, wie vorläufig und begrenzt unser Wissen ist, wie häufig die Wahrheiten von heute die Irrtümer von morgen sind. Der Wissenschaftler weiß, was Wissenschaft kann und was sie nicht kann.“

So schreibt höchst zutreffend Arnd Morkel in seinem Plädoyer wider die Instrumentalisierung der Universität. Dass diese Selbstbeschränkung bisweilen Zweifel nährt an den Wissenschaften, ist eine Konsequenz, die man in Kauf nehmen muss, die aber die eigene Professionalität auszeichnet. In diesem Sinn gehört die Selbstbeschränkung genuin zum Geschäft universitärer Forschung und kommt so dem entgegen, was der Märtyrer vehement einfordert, wenn er gegen die falschen Götter und deren Verabsolutierung kämpft.

Der Märtyrer beharrt auf die Wahrheit und ist bereit für sie zu streiten, auch wenn er deswegen mit Sanktionen zu rechnen hat

Wer nach der Wahrheit sucht, muss ein streitbarer Mensch sein. Genau dazu sollte ein universitäres Studium erziehen. Im Gegensatz zur Ausbildung, die auf fachspezifische Anforderungen antwortet, geht es darum, den Horizont zu weiten. Die geistige Selbständigkeit der Studierenden muss das Ziel sein, Menschen also, die - etwas überspitzt gesagt - nicht nur „Fachidioten“ sind, sondern gelernt haben, weiter zu denken und grundsätzlicher zu fragen. Es sind dann reife Menschen, die über einen großen Horizont verfügen und den historischen, philosophisch-weltanschaulichen wie den ethisch-moralischen Hintergrund immer mitbedenken.

Wer auf diese Weise ganzheitlich gebildet ist, kennt dann die Grenzen seines Faches. Er weiß aber auch, wie zeitbedingt seine Erkenntnisse sind, und er hat eine Vorstellung davon, wozu die angeblich vorurteilsfreie Wissenschaft herhalten musste und muss und wie sie von den Mächtigen ihrer Zeit missbraucht wurde und wird für deren nicht uneigennützigen, oftmals ideologisch verbrämten Ziele.

In diesem Sinne waren auch die Märtyrer streitbare Zeitgenossen und sind es bis auf den heutigen Tag. Sie melden sich zu Wort, wenn sie sehen, wie Wissen instrumentalisiert wird. Sie stellen die Fragen, die man angeblich nicht stellen darf oder die sich scheinbar erledigt haben. Sie wollen mehr wissen als das, was man ihnen als gesicherte Erkenntnis verkauft. Kurz: Sie sind unbequem, weil wissbegierig und kritischer Zeitgenossenschaft verpflichtet.

Dass man damit aneckt und sich keine Freunde macht, hat jeder schon erfahren. Noch immer hat Karl Marx recht, wenn er daran erinnert, dass die herrschende Meinung die Meinung der Herrschenden ist.

Im Verweis auf die Wahrheit aber haben die Märtyrer aller Zeiten gerade den Herrschenden und ihrer Meinung vehement widersprochen. Und sie haben sich geweigert, jenseits gängiger Auffassungen, praktischer Bedürfnisse, wirtschaftlicher Interessen und politischer Forderungen die Wahrheit zu beugen.

Der Märtyrer steht persönlich ein für die Wahrheit

Ein letztes. Der Märtyrer steht persönlich ein für die Wahrheit. Er weiß um eine Wahrheit, für die es sich zu leben und zu sterben lohnt. Sein Protest ist nicht Starrsinn. Sein Protest ist auch nicht eitle Selbstinszenierung. Sein Protest ist ebenso wenig selbstgefällige Besserwisserei. Besserwisserei höchstens in dem Sinn, dass er mit Verweis auf die Wahrheit es wirklich besser weiß und andere dazu anhalten möchte, dieses Bessere zur Kenntnis zu nehmen.

Er ist davon überzeugt, dass das Missachten der Wahrheit nicht nur dem Einzelnen schadet, sondern der Gesellschaft als Ganzer und der Würde des Menschen insgesamt Schaden zufügt. Denn sein Glaube an die Wahrheit verpflichtet ihn dazu, Gott und den Menschen zu dienen und dem Reich Gottes trotz aller eigenen Begrenztheit dennoch mit Entschiedenheit den Weg zu bereiten. Märtyrer sind eben Menschen, die nicht einfach funktionieren, sondern die nach dem Funktionieren des Ganzen fragen und bei drohender Gefahr das Stoppschild hochheben.

Ich wurde neulich mit Blick auf die KU etwas spöttisch gefragt, ob es denn so etwas gäbe wie eine katholische Mathematik und warum die Kirche sich diesen Luxus leiste. Ich antwortete, dass es natürlich keine katholische Mathematik gäbe und dass ich hoffe, dass man an der KU die Gesetze der Mathematik beherrscht, im besten Fall sogar unter Beweis stellen kann, sie besser zu beherrschen als andere.

Was ich aber erwarte, sind katholische Mathematiker oder Mathematiker, die im christlichen Sinn ihre Wissenschaft betreiben. Sie werden bei Bedarf auch immer wieder darauf hinweisen, dass es in diesem Leben keine Rechnung gibt, die ohne Rest aufgeht; und dass mit Berechnungen allein – so notwendig und hilfreich sie im Einzelnen sind – nicht alle Probleme gelöst werden können, ja dass der gute Mathematiker den Ansatz für die Berechnung kennt und deshalb weiß, was er nicht berechnen kann. Allen anderen Behauptungen zum Trotz wird er offenlegen, was einer seriösen Überprüfung nicht standhält, auch wenn das nicht gerne gehört und gesehen wird.

Immer wieder habe ich als Vorbild die Mitglieder der Jesuitenkommunität der Universidad Centroamericana in El Salvador vor Augen, die am 16. November 1989 ermordet wurden. Die Aufgabe ihrer Hochschule sahen sie nicht darin, die Wissenschaften taufen zu sollen und sie katholisch zu machen. Aber im Blick auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Analyse der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wurden sie zu unbequemen Mahnern, die den Machthabern den Spiegel vorhielten.

Zum Wohl der Gesellschaft sahen sie sich gezwungen, unter Rückgriff auf ihre Studien Einspruch zu erheben und eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse anzumahnen. Allein ihre Unabhängigkeit als Forschende und ihr christlicher Blick machten sie zu Staatsfeinden.

Der wahrhaft gebildete Mensch ist der freie Mensch. Märtyrer sind Inbegriff der Freiheit. Weil sie sich von Gott gehalten wissen, verfügen sie souverän über eine innere Freiheit. Diese erlaubt es ihnen, wie Jesus vor Pilatus zu Protokoll gibt, nicht im Geheimen zu reden (Joh 18,20). In allem Freimut erheben sie das Wort, wo es Not tut, immer in der Zuversicht, dass sich die Wahrheit letztlich durchsetzen wird. Ich wünsche Ihnen allen diesen Geist der Freiheit, der - der Wahrheit verpflichtet - alles daransetzt, diese Welt besser zu machen.

Ihnen allen von Herzen einen guten und gesegneten Beginn des Wintersemesters 2022/2023.