Würzburg (POW) Ein einheitliches Bild vom Widerstand der katholischen Kirche in den Ländern der 1. Tschechischen Republik lässt sich schwer machen. So lautete eine Erkenntnis der Diözesantagung der Ackermann-Gemeinde im Bistum Würzburg. Thema der Veranstaltung in Würzburg war „Geschichte und Geschichtsbilder ohne Folgen?“ Thematisiert wurden die „bitteren Jahre zwischen 1938 und 1948“.
Dr. Martin Zückert vom Collegium Carolinum München definierte zunächst, was man unter Widerstand versteht. Es beginnt bei punktueller Unzufriedenheit und kritischen Äußerungen, führt zu Nichtanpassung und passivem Verhalten, geht in aktiven Protest über und rafft sich schließlich zu aktivem, organisiertem Widerstand auf, der auch Perspektiven für die Zukunft entwickelt. „Alle diese Stufen waren in der katholischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien vertreten.“ Der Referent wies aber auf die großen regionalen Unterschiede zwischen Sudetengau, Protektorat und der Slowakei hin sowie auf die Tatsache, dass es nirgends eine einheitliche Linie gegeben habe: „Widerstand war abhängig vom Mut und von der Entschlossenheit einzelner Repräsentanten des Klerus und der Laien vor Ort.“ Offener Widerstand sei selten gewesen. Die Regel sei die Vertretung kirchlicher Interessen gegen die jeweiligen Regimes gewesen. „Die Kirche bot aber Raum für Widerstand im Kleinen.“
Dr. Freia Anders von der Universität Bielefeld beleuchtete die Verantwortung der Sudetendeutschen für die Ereignisse und die weitere Entwicklung im Reichsgau Sudetenland und im Protektorat. Sie wies darauf hin, dass dieses Themenfeld jahrzehntelang aus der politischen Diskussion und auch aus der wissenschaftlichen Forschung ausgeklammert war. „Die Ludwigsburger Kartei ist in dieser Richtung bis heute nicht wissenschaftlich ausgewertet“, sagte Anders. Sie bewertete die Entwicklung vor 1938 als zunehmende „Radikalisierung der Sudetendeutschen“ und belegte dies mit Fakten: mit den Übergriffen gegen Juden und Tschechen im Grenzgebiet, mit der Mitgliedschaft in der SdP – dann NsdAP –, die in der gesamten sudetendeutschen Bevölkerung mit 16 Prozent viel höher lag als im „Altreich“. Die Personalpolitik, die Germanisierungspolitik und die Jurisdiktion der NS-Herrscher haben nach den Erkenntnissen von Anders eine hohe Zustimmung erfahren. „Wirklich nichts gewusst?“, lautete ihre Frage an die sudetendeutsche Seite im Hinblick auf die Judenverfolgung, die Todesmärsche der KZ-Häftlinge durch das Sudetengebiet und auf 160.000 Strafverfahren, die fast ausschließlich auf Grund von Denunziationen in Gang kamen. „Widerstand war in einem solchen mentalen Umfeld nur partiell und nur durch starke Persönlichkeiten möglich.“
Unter der provokanten Frage „Wieviel Beneš durfte es sein?“ ging Dr. Jaroslaw Šebek von der tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag sehr tschechisch-eigenkritisch der Frage nach, welche zentrale Rolle die Figur Edvard Beneš im politischen Geschehen des Zeitraums von 1938 bis 1948 spielte und heute noch in den „Geschichtsbildern“ der Deutschen/Sudetendeutschen und der Tschechen spielt. Šebek stellte fest, dass die Meinungsbildung von 1938 und 1945 im tschechischen Milieu noch immer bestimmend sei. Die Konkurrenz der tschechischen Parteien um die „Lufthoheit“ bei den Stammtischen über die Haltung der tschechischen Bevölkerung gegenüber den sudetendeutschen Nachbarn und Deutschland insgesamt bestimme bis heute die Strategie der tschechischen politischen Parteien im Verhältnis zur EU und zu Deutschland. „Die Argumentation der tschechischen Nationalisten und der Kommunisten nach dem Februarputsch 1948, die die Sudetendeutschen grundsätzlich und ohne Differenzierung als Revanchisten abqualifizierten, spielt im Denken der Mehrheit der Tschechen bis heute eine dominierende Rolle“, sagte Šebek. Der Hintergrund und die Argumentationslinie selbst seien Teil einer Jahrzehnte währenden Manipulation in der Meinungsbildung der tschechischen Öffentlichkeit gewesen. Kritische tschechische Stimmen hätten auch heute noch einen außerordentlich schweren Stand in den Medien. Šebek wies darauf hin, dass es in den Wochen und Monaten nach Kriegsende durchaus kritische tschechische Stellungnahmen – von katholischer und humanitärer Seite – zu den Vorgängen in den Sudetengebieten und zur politischen Entwicklung in der neugegründeten Tschechischen Republik gegeben hat. Sie waren aber im Verhältnis zur Mehrheit der öffentlichen und veröffentlichten Meinung in einer sehr unbedeutenden Minderheitenposition.
Šebek zeichnete anhand von dokumentierten Aussagen die Konkurrenz der tschechischen politischen Parteien vor 1938, im Untergrund zwischen 1938 und 1945 und erst recht nach dem 8. Mai 1945 nach. Es ging um die Frage, wer die „nationalen“ (chauvinistischen) Interessen „des“ tschechischen Volkes am besten vertreten könne. Beneš habe in diesem Streit nie die Rolle des Moderators erreicht wie sein Vorgänger Masaryk. Er sei selbst zu sehr Partei gewesen. Welche Rolle spielt Beneš heute? Šebek kam zum Resümee, dass der Wettbewerb der heutigen tschechischen Parteien um die „nationalste“ Position gegenüber Deutschland und der EU eine Annäherung in den kritischen und offenstehenden Fragen noch immer erschwere.
„Lernen aus der Geschichte?“ stand als Frage über der abschließenden Podiumsdiskussion der Referenten mit den Zeitzeugen Rudolf Küchler und Prof. em. Dr. Werner Strik. Anders und Šebek beklagten, dass die eigentlich eindeutig vorliegenden Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung bisher kaum Eingang in das Denken der Politik gefunden hätten. Die alten Stereotypen würden weiter verwendet und bedient. Wenigstens die Zeitzeugen bekannten, dass sie für sich und ihr politisches Verhalten und ihre humanitäre Einstellung und ihre Tätigkeit die notwendigen Schlüsse aus der Geschichte gezogen hätten. Dankbar bestätigten sie der Ackermann-Gemeinde, dass sie mit ihren Veranstaltungen Foren für eine ehrliche Auseinandersetzung mit Schuld und Verstrickung biete.
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