Liebe Schwestern und Brüder,
wir haben uns hier in ökumenischer Verbundenheit am heiligen Berg der Franken versammelt. Dieser Kreuzberg ist ein durch viele Jahrhunderte durchbeteter Ort. Wie viele Menschen sind schon vor uns hier hinauf gepilgert und haben im Angesicht des Gekreuzigten ihre Nöte und Sorgen abgeladen.
Wir tun dies heute aus ökumenischer Verbundenheit, weil wir der Bitte Jesu um Einheit im Glauben nicht nur verpflichtet sind, sondern uns aus innerem Antrieb heraus dazu gerufen wissen. Die letzten Worte Jesu, bevor er den Blicken seiner Jünger entzogen wurden, sind gleichsam sein kostbares Testament an uns. Sie haben ein großes Gewicht, das uns verpflichtet und durch die Zeiten bis zu seiner Wiederkunft herausfordert.
Tröstlich ist es, dass der Herr zu Beginn seiner Abschiedsworte auf seine Allmacht verweist. „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde.“ (Mt,28,28) Er bleibt Herr der Geschichte. Er lässt sich nicht das Heft aus der Hand nehmen – weder durch kosmische, globale Naturereignisse noch durch menschliches Tun jedweder Art.
Ist uns dies im Ausmaß dieser Aussage wirklich bewusst? Gott kann alles zum Guten ändern – und er tut es auch. Aber erkennen wir dies?
Wenn ich an die Karfreitagssituation denke: der geschmähte, gefolterte blutüberströmte Christus hängt am Kreuz und steigt nicht – wie es seine Peiniger höhnend fordern – vom Kreuz herab. Er lässt sich verspotten und misshandeln, obwohl er die Macht hatte ‚Legionen von Engeln’ herbei zu zitieren, wie er vor Pilatus gesagt hatte.
Wie schwer ist es zu begreifen, dass in dieser ‚Erniedrigung’ die eigentliche ‚Erhöhung’ steckt! Gottes Wege sind nicht unsere Wege – mag so mancher denken. Und in der Tat: Wer begreift schon, dass in dieser Liebeshingabe Gottes an die Menschheit die größte Stärke liegt, die wir uns vorstellen können.
Weil dies so ist, fordert Jesus mit Nachdruck die Zeugen seines Lebens, Sterbens und Auferstehens auf, in die Welt hinaus zu ziehen und die Menschen zu ihm zu führen. „Macht alle Menschen zu meinen Jüngern.“ Das heißt: Wir haben den missionarischen Auftrag, allen Menschen die Liebe Gottes aufzuschließen und sie durch die Taufe in die neue Gemeinschaft des Gottesvolkes einzugliedern.
Wir haben heute Morgen schon über die Bedeutung des Wassers nachgedacht. Hier wird das Wasser zum sichtbaren Träger eines Geburtsvorgangs zum neuen, ewigen Leben.
Das ist doch der Sinn des Leidensweges Jesu, dass er uns durch seine Lebenshingabe in die Liebe Gottes hinein befreit. Die Taufe aus Wasser und dem Heiligen Geist, die Taufe „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ ist nicht nur das Reinigungsbad von jeglicher Schuld, sondern Sinnbild von Tod und Auferstehung in die Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes hinein. Durch die Taufe sterben wir dem Bösen, der Sünde, ab und stehen als neue, für die Ewigkeit bestimmte, Menschen aus dem Taufwasser wieder auf. Tod und Auferstehung Jesu Christi greifen ganz konkret.
Gibt es ein schöneres Vermächtnis?
Natürlich bleibt die Teilhabe mit Ausblick auf ein ewiges, übervolles, glückliches Leben in Gott nicht ohne Konsequenzen für das jetzige, irdische Leben. Der Auftrag Jesu: „und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“ hat Konsequenzen: Wir bleiben verpflichtet, immer wieder neu nach dem Willen Jesu zu fragen. Wir sind nicht ermächtigt, seinen Willen nach unserem Gusto zurechtzubiegen. Alle seine Gebote sind bindend. Aber lassen sie sich nicht wunderbar zusammenfassen in dem einen Gebot der Gottes- und Nächstenliebe: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“?(Vgl. Mt 22,37ff.)
Hier lässt sich auch unsere Gewissenserforschung auf die Ökumene ausrichten. Ich will nicht den Blick auf Versäumnisse oder Schuld anderer lenken, sondern nur uns fragen: Haben wir füreinander den Blick der Liebe? Leiden wir mit all’ denen, die durch die konfessionelle Aufspaltung der Kirche ganz persönlich in Schwierigkeiten stecken?
Zurzeit findet die Heilig-Rock-Wallfahrt in ökumenischer Ausrichtung in Trier statt. Für uns heute ist es wichtig, den Leibrock Jesu als Symbol für die Einheit der Kirche zu sehen. Kardinal Cassidy hat vor Jahren als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen in Trier gesagt, dass „heute (der Leibrock Jesu) in Fetzen und Stücken, in Konfessionen und Denominationen, die sich in der Geschichte oft gegenseitig bekämpften, anstatt den Auftrag des Herrn zu erfüllen, eins zu sein“ zerteilt sei.
Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, das zusammenzuführen, was getrennt ist. Das Leid der getrennten Christen, das sich oft auch in konfessionsverschiedenen Familien abspielt, darf nicht einfach so hingenommen werden. Wir müssen nach Wegen suchen, die Einheit des Leibes Christi wieder herzustellen.
Kardinal Koch schrieb zum Leitwort der diesjährigen Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier: „Während von nicht wenigen aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften die ökumenische Einheit bereits in der gegenseitigen Anerkennung der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften gesehen wird, hält demgegenüber die katholische Kirche zusammen mit den orthodoxen Kirchen an der ursprünglichen ökumenischen Zielvorstellung einer sichtbaren Einheit im gemeinsamen Glauben, in den Sakramenten und in den kirchlichen Ämtern fest, wie Papst Benedikt XVI. unlängst mit klaren Worten ausgesprochen hat: ‚Die Suche nach der Wiederherstellung der Einheit unter den gespaltenen Christen darf sich … nicht auf die Anerkennung der jeweiligen Unterschiede und das Erreichen eines friedlichen Zusammenlebens beschränken.’“
Hier sind wir alle gefragt. Wir sind – so denke ich – auf dem richtigen Weg. Aber der Weg ist noch nicht das Ziel.
Wenn diese Heilig-Rock-Wallfahrt und auch unsere Kreuzbergwallfahrt mit dazu beitragen, dass die Einheit im Glauben weiter gefördert wird, dann hat dies einen ganz besonderen Stellenwert und Sinn. Kardinal Koch: „Wenn wir … (die Ökumene) nicht nur zwischenmenschlich oder philantropisch sondern wirklich aus der Mitte des Glaubens heraus verstehen, dann kann sie nur unser Einstimmen in das Hohepriesterliche Gebet Jesu und unser Einswerden mit ihm sein, indem wir uns sein Herzensanliegen zu eigen machen.“ (Ebd.)
Ich kenne wunderbare Beispiele aus meiner eigenen Verwandtschaft, in denen Ökumene nicht nur vorbildlich gelebt wurde, sondern zu einer gegenseitigen Hochschätzung geführt hat, die auch den eigenen Glaubensvollzug stark vertieft hat.
Ich kenne allerdings auch genügend Beispiele, wo das Aneinanderreiben in der eigenen Familie Ehegatten und Kinder große Probleme gebracht hat.
Wir brauchen füreinander den Blick der Liebe, der nicht zwingt, nicht nivelliert, nicht verharmlost sondern in der eigenen Glaubensüberzeugung den anderen wertschätzt. Wenn wir die Liebe leben, ist der größte Teil auf dem Weg zur Einheit getan. Dann können wir auch ertragen, dass es noch Unterschiede im Glaubensverständnis gibt, die wir nicht aus bloßem Wollen überwinden können, sondern die auch einem vom Gebet getragenen professionellen Diskurs unterliegen.
Ist es nicht zutiefst tröstlich, dass der letzte Satz vor der Himmelfahrt Jesu lautet: „ Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (20) Alles, was wir so im Namen des Herrn tun, geschieht in und mit seinem Segen. Diese wunderbare Gewissheit dürfen wir auch am heutigen Tag auf dieser Kreuzbergwallfahrt mitnehmen. Atmen wir tief durch und tragen wir gemeinsam unsere Bitten um Einheit im Glauben dem vor, der sie uns letztlich schenken kann. Amen.