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„Wir dürfen uns nicht damit abfinden“

Gedenken an Deportation Würzburger Juden vor 78 Jahren – Weihbischof Boom: „Wir können nicht Christen ohne Juden sein“ – Dr. Josef Schuster warnt vor wachsendem Antisemitismus in Deutschland

Würzburg (POW) „Wenn Antisemitismus der Seismograph für den Zustand einer Gesellschaft ist, dann ist er nicht gut.“ Das Dr. Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, beim Gedenken an die erste Deportation von Juden aus Würzburg im Jahr 1941 am Donnerstagabend, 28. November, betont. Der Anschlag von Halle habe die jüdische Gemeinschaft zutiefst erschreckt und verunsichert. „Lassen Sie uns gemeinsam dafür einstehen, dass wir in unserer Stadt, in unserem Land solidarisch füreinander einstehen und einander achten. Wir sind es denen schuldig, zu deren Gedenken wir heute diesen Weg gegangen sind.“ Gemeinsam mit weiteren Rednern warnte er davor, wohin die Ausgrenzung von Menschen führen kann. Vom Domvorplatz zogen rund 300 Menschen schweigend mit Kerzen zum Mainfrankentheater. Dort befand sich damals die Schrannenhalle. Da der Vorplatz aufgrund der Theatersanierung derzeit eine Baustelle ist, führte der Zug in diesem Jahr weiter durch die Eichhornstraße bis kurz vor der Theaterstraße. Organisiert wurde die Gedenkveranstaltung von der Gemeinschaft Sant’Egidio und der Israelitischen Kultusgemeinde.

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„Es ist wichtig, dass wir uns daran erinnern, was hier und vielerorts geschah“, sagte Weihbischof Ulrich Boom vor dem Kiliansdom. Nach dem Besuch der Ausstellung „Sieben Kisten mit jüdischem Material“ sei er „erschüttert und nachdenklich zugleich“ gewesen. Besonders erschüttert habe ihn eine Tafel, auf der zu lesen war, dass in der Pogromnacht 1938 in Miltenberg die Synagoge von Schülern unter der Aufsicht ihrer Lehrer geschändet wurde. „Geschändet wurde sie von jungen Leuten, unter denen vielleicht auch Ministranten aus der benachbarten Pfarrkirche waren.“ Die Anschläge auf die Synagoge in Halle und auf Menschen jüdischen Glaubens seien nicht vom Himmel gefallen, mahnte Weihbischof Boom. „Wir können nicht Christen ohne Juden sein. Wenn Gott der Vater aller Menschen ist und wir alle seine Kinder, dann dürfen wir nicht unsere Geschwister diskriminieren, abführen und in den Tod führen.“

Sie sei jedes Jahr aufs Neue berührt von den Bildern der Menschen, die damals deportiert wurden, sagte Dekanin Dr. Edda Weise. „Plötzlich sollten sie aus der Bürgerschaft herausgerissen und vernichtet werden. Es darf nicht in Vergessenheit geraten, was damals Furchtbares geschehen ist.“ Kein Schüler dürfe die Schule verlassen, ohne sich mit dieser Zeit auseinandergesetzt zu haben. Vor den damaligen Geschehnissen, aber auch mit Blick auf die aktuellen Ereignisse werde deutlich, „wie verteidigungswürdig unsere Demokratie ist“, sagte Weise. „Wir sind es den Opfern zutiefst schuldig, dass wir alles dafür tun, um unsere Demokratie zu erhalten und gegebenenfalls zu verteidigen. Eine menschenverachtende Ideologie darf nie mehr Mehrheiten finden. Stehen wir zusammen und engagieren wir uns!“

In eindringlichen Worten ließ Zentralratsvorsitzender Schuster die Schrecken jener Nacht im Jahr 1941 nochmals aufleben, als 202 Würzburger Juden bei Nacht und Kälte durch die Stadt getrieben und schließlich in das Vernichtungslager in Riga gebracht wurden. Dieser ersten seien sieben weitere Deportationen gefolgt. Von insgesamt 2068 Deportierten hätten nur 50 überlebt. Doch der Schrecken habe schon davor begonnen – mit der schrittweisen Ausgrenzung, dem Schulverbot für Kinder, dem Verbot jüdischer Vereine, Gewerbe und Handwerksbetriebe, der Schändung von Synagogen und Betstuben. „Wir können uns heute das Grauen nur schwer vorstellen. Sollten die Würzburger damals wirklich nichts davon mitbekommen haben?“

„Können wir uns wirklich sicher sein, dass es nicht mehr zu solchen Gräueln kommen kann?“, fragte Oberbürgermeister Christian Schuchardt. Antisemitismus trete heute immer unverhohlener in Erscheinung. „Was man früher nur gedacht hat, spricht man heute aus, und kann sich durch die Äußerungen mancher Politiker noch ermutigt fühlen“, verwies er auf den AfD-Vorsitzende Alexander Gauland, der die NS-Zeit als einen „Vogelschiss in der Geschichte“ bezeichnet hatte. Es müsse Schluss sein mit einer Politik der Tabubrüche, forderte er. „Wir dürfen uns nicht damit abfinden, denn aus Worten werden Taten. Ich will mich nicht damit abfinden, dass Synagogen bewacht werden müssen. Lassen Sie uns gemeinsam einstehen für die uneingeschränkte Achtung der Würde ausnahmslos aller Menschen. Lassen Sie uns eine offene, tolerante und friedliche Stadtgesellschaft verwirklichen.“

Es schaudere ihr angesichts des Attentats von Halle, sagte Pfarrerin Angelika Wagner von der Gemeinschaft Sant’Egidio. Doch in Bayern würden regelmäßig Attentate auf jüdische Mitbürger oder Gebäude verübt. Dem müsse man entgegentreten. „Wir brauchen ein denkendes Herz, gebildet durch Fakten, den Besuch von Gedenkstätten und die Auseinandersetzung mit der Schuld“, sagte Wagner. In Würzburg würden eine ausgeprägte Erinnerungskultur und ein herzliches Miteinander der Religionen gepflegt. „Diese Kraft dürfen wir nicht unterschätzen, wir sollten uns aber auch nicht darauf ausruhen“, sagte sie. Sie rief dazu auf, sich klar von jeder Form von Gewalt abzugrenzen.

Zum Abschluss der Veranstaltung sprachen junge Menschen von der Gemeinschaft Sant’Egidio. Magdalena Poraj-Zakiej berichtete von einem Besuch der Bewegung „Jugend für den Frieden“ in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau: „Wenn man dort läuft, ist es furchtbar leicht zu glauben, dass es die Welt von damals nicht mehr gibt. Es ist schmerzhaft zu realisieren, dass es die gleiche Ignoranz und den gleichen Hass noch heute gibt.“ Doch das bedeute nicht, dass sich die Geschichte wiederholen müsse. „Wir wollen uns nicht damit abfinden. Wir werden Vorurteilen mit der Macht der Liebe und Freundschaft entgegentreten“, erklärte sie. Elias Oppenrieder las eine Passage aus dem Buch „weiter leben“ von Ruth Klüger vor. Darin beschreibt sie, wie sie als Kind die Ankunft im Konzentrationslager erlebte: „Ich wollte weinen, oder doch greinen, doch die Tränen versiegten vor der Unheimlichkeit des Orts.“

sti (POW)

(4919/1312; E-Mail voraus)

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