Würzburg/Uganda (POW) Mit 25 Jahren hat Miriam Odongo ihre Zelte in Würzburg abgebrochen und ist in das 8000 Kilometer entfernte Uganda gezogen. Dort gründete das Mitglied der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) aus dem KAB-Ortsverband Lengfeld eine Hilfsorganisation für Kinder und Jugendliche, die auf der Straße leben: die Children Care Uganda (CCU). Im Gespräch erzählt sie von den Herausforderungen und Schätzen der Arbeit vor Ort.
POW: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie vor zwei Jahren nach Uganda aufgebrochen sind und die CCU ins Leben gerufen haben?
Miriam Odongo: Das hat sich über die Jahre entwickelt, bis ich dazu bereit war. Ich war davor schon öfter in Uganda und habe in Waisenhäusern freiwillig mitgeholfen. Das erste Mal war das 2013, um eine Freundin zu besuchen, die dort ein halbes Jahr Freiwilligenarbeit leistete. Bei den nächsten Besuchen lernte ich Land und Leute kennen und lieben. 2018 traf ich in Uganda meinen jetzigen Ehemann Charlie, der sich ehrenamtlich um Straßenkinder kümmerte. Seine Vision war es, Kindern Hoffnung zu schenken und ihnen zu zeigen, dass sie etwas wert sind. Wir merkten, dass Gott uns dieselbe Vision geschenkt hat, und haben beschlossen, die CCU zu gründen. Als ich 2018 meine Möbel verkauft habe, wollte ich offen sein für das, was Gott von mir möchte. Ich wusste damals noch nicht so sicher, wo mein Platz ist. In Uganda haben sich dann viele kleine Fäden meines Lebens zu einem Knoten gefügt. Da es vor Ort nur eine weitere Organisation gibt, die sich um Straßenkinder kümmert, die aber nicht sehr aktiv ist, war der Bedarf sehr groß. Außerdem konnte und kann ich bei unserer Arbeit alles einsetzen, was ich durch meine Erzieherinnenausbildung und als Heilpädagogin kann.
POW: Wie ist das Leben in Uganda ganz konkret?
Odongo: Gulu ist die zweitgrößte Stadt in Uganda mit rund 150.000 Einwohnern. Viele Menschen leben in Hütten oder kleinen Wohnungen. Das Leben ist hier sehr arbeitsreich. Die meisten Menschen arbeiten am Wochenende zusätzlich noch auf dem Dorf, um Gemüse anzubauen und sich damit abzusichern, da kein Job sicher ist. Kaffee geht fast komplett in den Export. 250 Gramm Kaffee kosten vor Ort fünf bis sechs Euro. Das ist für den normalen Ugander unerschwinglich. Die Einheimischen trinken eher importierten Nescafé oder lokalen Schwarztee. Wir selbst essen oft Reis, Bohnen und Posho, einen Brei aus Maismehl. Einmal pro Woche gibt es Fleisch oder Fisch.
POW: Was haben Sie mit Ihrer Arbeit bisher erreicht?
Odongo: Wir haben 15 Jungs von der Straße geholt. Zehn davon leben jetzt in unserem Rehabilitationszentrum und fünf haben wir zu ihren Familien zurückgeführt. Wir geben den Kindern ein Zuhause, Essen und medizinische Versorgung. Wir feiern viele kleine Erfolge, die nach außen gar nicht so sichtbar sind. Wie zum Beispiel, dass sich die Jungs, die bei uns wohnen, nicht mehr wegen jeder kleinen Auseinandersetzung prügeln müssen, sondern miteinander reden können. Jedes Gespräch, das wir führen, hat Einfluss. Wir feiern aber auch die großen Erfolge. Zum Beispiel, dass wir Land gekauft haben, auf dem unser Rehabilitationszentrum entstand. Dorthin sind die Kinder von unserer Übergangsunterkunft und dem offenen Jugendzentrum im vergangenen Jahr gezogen.
POW: Warum wohnen ausschließlich Jungs in dem Rehabilitationszentrum?
Odongo: Wir mussten uns für ein Geschlecht entscheiden, weil wir nur einen Schlafraum haben. Mein Mann Charlie kannte schon einige Jungen, die auf der Straße lebten. Durch die hat er auch den Traum von einer Hilfsorganisation entwickelt. Außerdem ist es in Gulu schwer, Mädchen zu identifizieren, die auf der Straße leben. Oft prostituieren sie sich über Nacht und verkriechen sich über den Tag dann zum Schlafen oder haben Jobs als Haushälterinnen. Wir haben aber ein Nähprogramm für Mädchen gestartet. Das richtet sich besonders an alleinerziehende Mütter, die während der Schulzeit schwanger geworden sind. Damit wollen wir ihnen eine Zukunftsperspektive schaffen.
POW: Wie hat Corona die Situation vor Ort verändert?
Odongo: Corona ist neben HIV, Malaria und Ebola nur ein weiteres Problem. Uganda ist offiziell kein Corona-Risikogebiet. Aufgrund des Klimas sind die Bedingungen für die Ausbreitung des Virus schlechter. Aber es wird auch wenig getestet. Ich selbst kenne zwei Menschen, die an Corona gestorben sind. Aufgrund des Bürgerkriegs, HIV und der schwierigen Lebensbedingungen sowie der schlechteren medizinischen Versorgung ist der Altersdurchschnitt in unserer Gesellschaft viel jünger. Wir haben weniger alte Menschen. Dementsprechend hat Corona nicht die ganz große Relevanz. Aber wir versuchen uns, soweit es geht, bestmöglich zu schützen.
POW: Gab es Anfeindungen, weil Sie aus dem Westen kommen, woher auch der Virus kommt?
Odongo: Im März haben wir Charlies und meine Hochzeit mit Freunden aus Deutschland gefeiert. Als wir in einer größeren Reisegruppe unterwegs waren, habe ich das erste und einzige Mal Fremdenfeindlichkeit gespürt. Die Menschen haben uns zum Beispiel „Corona“ hinterhergerufen, weil sie wussten, dass das Virus aus dem Westen kommt. Diese Kommentare waren aber nur vereinzelt. In meiner Nachbarschaft kennen mich die Menschen, deshalb hatte ich da keine Probleme. Diese Stimmung hat sich nach der anfänglichen Panik sehr schnell verflüchtigt.
POW: Welche Probleme ergeben sich in Ihrem Arbeitsalltag?
Odongo: Bei unserer konkreten Arbeit sind die Vergangenheiten der Kinder eine Herausforderung. Sie sind von ihrem Leben auf der Straße traumatisiert. Häufig haben sie selber Straftaten begangen, Gewalt erfahren und wurden ausgenutzt. Die Kinder haben auf der Straße ein Erwachsenenleben geführt. Jetzt dürfen sie wieder Kind sein. Für viele ist das schwierig zuzulassen und uns zu vertrauen. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit Sozialarbeitern und Psychologen zusammenarbeiten. Die Stigmatisierung der Kinder ist ein weiteres Problem. Als wir das Rehabilitationszentrum gebaut haben hieß es auch: „Ihr holt uns die Kriminellen ins Viertel.“ Da bedarf es noch viel Aufklärungsarbeit! Schwierig ist für uns auch, dass wir keinerlei Unterstützung von der Regierung erhalten. Eher möchte die Regierung noch von unserer Arbeit profitieren, indem sie zum Beispiel für das Unterschreiben von Papieren Schmiergeld verlangt. Wir versuchen, uns vor Ort mit verschiedenen Organisationen zu verbinden, dennoch ist es ein einsamer Kampf, den wir führen.
POW: Wie haben Sie die Aufstände rund um die Wahl in Uganda wahrgenommen? Haben diese und die erneute Wahl des Präsidenten Yoweri Museveni einen Einfluss auf Ihre Arbeit?
Odongo: Die meisten Aufstände waren in Kampala. Wir haben zwar von Schüssen und Tränengas in Gulu gehört, aber es gab keine Toten. Die Aufstände, die es dort gab, wurden von der Polizei und dem Militär sofort aufgelöst. Auf unsere Arbeit hat es keinen Einfluss. Yoweri Museveni wird seine Arbeit vermutlich so weiterführen wie gehabt. Es war mir auch klar, dass er Präsident bleibt, egal wie die Menschen wählen. Ich bin zu 100 Prozent dafür, dass es Veränderungen braucht. Jedoch war sein Herausforderer ein bekannter Musiker, kein Politiker. Ich denke nicht, dass er für den Posten qualifiziert gewesen wäre.
POW: Was sind Ihre Ziele mit der CCU für 2021?
Odongo: Wir möchten den zehn Jungs, die bei uns im Rehabilitationszentrum wohnen, die Möglichkeit geben, in die Schule zu gehen. Dafür haben wir ein Patenschaftsprogramm entwickelt. Wir möchten außerdem eine kleine Landwirtschaft auf unserem Grundstück beginnen, um uns selbst versorgen zu können und Einnahmen zu generieren. Bisher arbeiten bei uns alle ehrenamtlich. Wir hoffen, dass wir in diesem Jahr damit beginnen können, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bezahlen.
POW: Wie finanzieren Sie die Arbeit denn bisher?
Odongo: Wir finanzieren uns bisher nur über Spenden. Die kommen aus aller Welt, vor allem aber aus Deutschland. Hier fällt es mir leichter, Kontakte zu knüpfen. Gemeinsam mit Freunden habe ich 2019 den gemeinnützigen Verein „Children Care Uganda Deutschland e. V.“ hier in Würzburg gegründet, um ein größeres Netzwerk zu bilden. Uganda ist mittlerweile Außenstelle des Vereins.
Weitere Informationen im Internet unter www.childrencareuganda.org, E-Mail deutschland@childrencareuganda.org. Spendenkonto: Children Care Uganda Deutschland e. V., IBAN DE50 7905 0000 0048 7790 86, BIC BYLADEM1SWU.
Interview: Magdalena Rössert (POW)
(0521/0115; E-Mail voraus)
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