Óbidos/Würzburg (POW) Wo sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Würzburg und seinem brasilianischen Partnerbistum? Was tut die Kirche dort für die Indigenen? Und wie feiert Bischof Bernardo Johannes Bahlmann, gebürtiger Deutscher, bei sommerlichen Temperaturen in Brasilien Weihnachten? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt er im folgenden Interview.
POW: Herr Bischof, das Bistum Óbidos ist so groß wie halb Deutschland, hat aber im Verhältnis zur Fläche wenig Priester. Wie funktioniert die Seelsorge hier am Amazonas?
Bischof Bernardo Johannes Bahlmann: Wir sind in der letzten Zeit dazu übergegangen, die größeren Pfarreien, die mitunter aus 150 kleinen Gemeinden bestehen, in kleinere Einheiten mit rund 30 Gemeinden aufzuteilen. So kommen wir seelsorgerisch besser zu den Menschen, sind näher an ihnen dran. Auch die Gläubigen selbst haben das Gefühl, dass die Kirche präsent ist. Natürlich sollen sie das auch konkret erfahren: Wenn die Einheiten kleiner sind, ist zum Beispiel die Chance für Besuche viel eher gegeben. Mittlerweile haben wir auch einige Priester von außerhalb, zum Beispiel aus anderen Bistümern oder Ordenspriester. Das gibt uns die Möglichkeit, öfter mit den Gläubigen Eucharistie zu feiern und sie zu besuchen. Früher konnte der Priester vielleicht ein oder zwei Mal im Jahr vorbeischauen, heute kann er drei, vier oder sogar fünf Mal in die kleinen Gemeinden reisen. Das ist sehr positiv. Außerdem können sich neue Führungspersönlichkeiten entwickeln. Wenn wir eine große Pfarrei hätten und dort wäre zum Beispiel eine Pfarrgemeinderatssitzung, dann kämen vielleicht 30 Leute. Werden die Einheiten kleiner, dann kommen 100 oder 150 Leute. Man gibt dann auch anderen Menschen die Möglichkeit sich zu engagieren.
POW: Wie gehen die Gemeinden selbst mit dieser Situation um?
Bischof Bahlmann: Wir versuchen die Gemeinden so aufzubauen, dass wir sie nicht vom Priester, sondern von der Gemeinde her strukturieren. Das heißt, wenn wir die Pfarrgemeinden aufbauen, schauen wir auf die Gemeindestruktur und nicht, ob sie jetzt mehr oder weniger Priester haben. Wir achten darauf, dass das kirchliche Leben in den Gemeinden gewährleistet ist. Und das liegt eben nicht nur am Priester, sondern an den Gemeinden selber – vor allem an den Laien. Es gab hier in Amazonien eine Zeit mit sehr, sehr wenig Priestern. Über rund 100 Jahre wurde die Kirche aufgrund von bestehenden Gesetzen innerhalb des Kaiserreichs und auch während der Kolonialzeit hauptsächlich von den Laien getragen und gelebt. Das hat den Laien innerhalb der Kirche eine ganz andere Rolle gegeben. Aus diesem Grund sind wir auch heute noch sehr laienorientiert. Natürlich müssen wir darauf achten, dass die Liturgie stimmt und nicht irgendwie gefeiert wird; rund 85 Prozent unserer Gottesdienste am Sonntag sind Wortgottesdienste. Unsere Laien werden deswegen ausgebildet und begleitet. Ein Andockpunkt ist da die Katechese. Manchmal denke ich, dass unsere Katecheten, unter denen auch viele Frauen sind, wirkliche Helden sind. Zu diesem Dienst gehört eine große Begeisterung und Motivation, denn manchmal gibt es auch Schwierigkeiten, wenn zum Beispiel bei Jugendlichen die Verbundenheit zur Kirche fehlt und man sie als Katechet trotzdem immer begeistern soll. Diese Bedeutung der Katecheten wird auf unserer Seite manchmal unterschätzt, weil man oft von den Gemeinde- oder Gottesdienstleitern spricht. Gleichzeitig steckt in der Katechese noch viel Potential: Hier geht es nicht nur um das Vermitteln von Informationen, sondern auch von Werten und einem Lebensstil.
POW: Im Bistum Óbidos wird im kommenden Jahr die Gemeinde Juruti Velho zur Pfarrei erhoben. Was ändert sich dann für solche Gemeinden?
Bischof Bahlmann: In Juruti Velho werden dann vier Ordensleute eingesetzt sein, zusätzlich zu den Schwestern, die ohnehin schon dort leben. Kirche wird dann ganz anders sichtbar und erfahrbar für die Menschen. Auch die Referenz ändert sich: Die Menschen aus Juruti Velho mussten vorher immer in die Pfarrgemeinde nach Juruti-Stadt fahren. Da sind sie eine Stunde mit dem Schnellboot oder eineinhalb Stunden mit dem Auto unterwegs. Nun sind die einzelnen Gemeinden näher am Zentrum der Pfarrei dran. Sie merken: Wir sind eine Pfarrgemeinde. Das gibt ein ganz anderes Bewusstsein und eine andere Struktur. Das ist aber auch ein Prozess; es muss wachsen, dass sie sich als Pfarrgemeinde verstehen. Das geht nicht von heute auf morgen.
POW: Eine Delegation aus dem Bistum Würzburg hatte bei ihrer jüngsten Reise ins Partnerbistum die Möglichkeit, die Tiriyó – ein indigenes Volk, das ganz im Norden des Bistums Óbidos lebt – zu besuchen. In ganz Brasilien gibt es noch indigene Stämme, aber viele sind in ihrer Kultur und Lebensweise bedroht. Was tut das Bistum Óbidos, um sie zu schützen?
Bischof Bahlmann: Die Mission Tiriyó ist vor über 50 Jahren entstanden, sie wurde vom ersten Bischof der Prälatur Óbidos, Floriano Loewenau, gegründet. Die damalige Indianerpopulation war sehr reduziert, es gab nur noch etwa 120 Personen aus drei Stämmen, die höchste Anzahl hatten die Tiriyó-Indios. Man hat alle drei zusammengeführt, damit sie überleben können. Franziskaner aus der Nordprovinz mit Sitz in Recife begleiten die Indios bis heute. Unterstützt werden sie dabei von Franziskanerinnen von Maria Stern. Die Stämme haben sich dann auch wieder ausweiten können. Heute gibt es über 20 kleinere Dörfer mit fast 3000 Menschen in einem Umkreis von etwa 150 Kilometern. In den vergangenen Jahren haben wir verstärkt versucht, mit den Indios und auch den Quilombolas, den Nachfahren der Sklaven, zusammenzuarbeiten. Hier in unserem Bistum haben wir die größte Gemeinde der Quilombolas in Amazonien. Wir wollen sie unter anderem mit unserer Landpastoral unterstützen. Dazu gehört es beispielsweise, dass sie die Rechte für das Land bekommen, auf dem sie seit vielen Jahren leben. In Oriximininá wollen wir außerdem ein Sozialzentrum einrichten, wo die Seelsorge für Quilombolas und Indios gewährleistet ist. Am Fluss Nhamundá, dem Grenzfluss zwischen unserem Bundesstaat Pará und dem Nachbarbundesstaat Amazonien, haben wir zudem eine Pfarrei. Dort leben auch einige Indiostämme. Gemeinsam mit unserem Nachbarbistum Parentins wollen wir einen Seelsorgeplan für die Völker erstellen, die an diesem Fluss leben. Das ist natürlich immer eine langwierige Geschichte, aber wir gehen schrittweise immer weiter. Ich bin froh darüber, dass das so wächst und wir die Leute begeistern können.
POW: Im Bistum Würzburg wird derzeit über die Pastoral der Zukunft beraten. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, unter anderem gibt es immer weniger Priester. Gibt es etwas, was die Kirche im Bistum Würzburg von der Kirche im Bistum Óbidos lernen kann?
Bischof Bahlmann: Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, weil ich in diesem Prozess nicht eingebunden bin. Aber wir arbeiten hier in einer ähnlichen Situation, auch wir haben einen Mangel an Priestern. Ich habe einmal ausgerechnet, dass wir 80 Priester statt 30 haben müssten, wenn wir Óbidos und Würzburg prozentual vergleichen würden. In Deutschland weiß man also noch gar nicht, was Priestermangel eigentlich bedeutet – wir haben hier noch viel weniger Priester. Wir müssen darauf achten, dass die Lebendigkeit der Kirche innerhalb der Gemeinde gewährleistet ist. Das kirchliche Leben einer Gemeinde darf nicht wegrationalisiert werden. Es werden aber zum Beispiel auch Gemeinden zusammengelegt. Da muss man sich fragen: Wie geht das dann? In welcher Form versteht man sich dann als Pfarrgemeinde? Wie kann man das leben, ohne dass zu große Einbrüche innerhalb der Pfarrgemeinden entstehen? Wir versuchen dadurch, dass wir kleinere Einheiten schaffen – verglichen mit Deutschland wären die wohl immer noch riesig –, das kirchliche Leben zu vergrößern. Das ist eine strategische Frage. Wir reden sehr viel von Priestermangel und sehen die Gemeinde vom Priester her. Aber die Frage, wie wir heute evangelisieren können, hängt nicht nur vom Priester ab, sondern auch von den Laien. Ich frage mich immer, wie das hier funktionieren kann. Ähnlich müsste man sich auch im Bistum Würzburg fragen. Welche Funktionen können Laien übernehmen? Gleichzeitig ist aber klar, dass man nicht alles eins zu eins von Óbidos auf Würzburg übertragen kann.
POW: Die Partnerschaft zwischen Würzburg und Óbidos besteht seit fast fünf Jahren. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Bischof Bahlmann: Ich habe diese Zeit als sehr intensiv erlebt. Es sind wirklich Freundschaften entstanden, zum einen zum Bistum selbst als auch zu Bischof Friedhelm Hofmann. Wir treffen uns fast jedes Jahr und tauschen uns aus. Auch der Austausch über das Missionsreferat mit Christiane Hetterich und Domkapitular Christoph Warmuth ist sehr intensiv. Man kann wirklich sagen, dass diese Partnerschaft gewachsen ist, auch, weil schon viele Gruppen aus Deutschland hier waren und viele von hier in Deutschland, dazu gehören auch die Freiwilligen. Das ist sehr, sehr wichtig. Seit knapp eineinhalb Jahren haben wir außerdem einen Partnerschaftsbeauftragten aus Deutschland hier, Achim Lieth. Das ist eine wunderbare Sache. So können beide Bistümer sehr intensiv miteinander kooperieren. Mittlerweile wollen auch Pfarreien hier eine Partnerpfarrei in Deutschland haben. Oder andere Gruppen wollen eine Partnerschaft übernehmen. Wir verstehen uns wirklich als Weltkirche und schauen über unseren eigenen Tellerrand. Wir können unseren Horizont gegenseitig erweitern und voneinander lernen. Es ist wichtig, dass wir Impulse bekommen.
POW: Was wünschen Sie sich für die kommenden Jahre?
Bischof Bahlmann: Ich wünsche mir, dass die Partnerschaft noch ausgeweitet wird. Ich merke schon jetzt, dass immer mehr Leute auf die ein oder andere Weise eingebunden werden, um sie zu intensivieren. Außerdem wollen wir unsere Partnerschaft zu Mbinga in Tansania ausbauen, die durch Würzburg entstanden ist. Wir haben diese Partnerschaft schon seit zwei Jahren, müssen aber daran arbeiten, dass sie noch konkreter wird. Eine Herausforderung sind die unterschiedlichen Sprachen, die wir haben. Hier müssen wir schauen, was geht und was nicht.
POW: Sie sind gebürtiger Deutscher, leben aber schon lange in Brasilien. Wie erleben Sie Advent und Weihnachten hier am Amazonas? Immerhin ist es hier ja doch deutlich wärmer als in Deutschland.
Bischof Bahlmann: Es fällt mir schwer (lacht). Man muss sich schon hineindenken, dass jetzt die Weihnachtszeit beginnt. Wir haben zum Beispiel eine internationale Krippenausstellung organisiert, damit es noch etwas adventlicher wird. Wir haben auch die ein oder andere Feier, bei der wir uns auf Weihnachten einstimmen können. Natürlich ist das vom Gefühl her etwas schwierig – gerade angesichts der hiesigen Temperaturen, weil wir als Nordeuropäer mit Weihnachten doch eher Kälte und das Gemütliche in den Häusern verbinden. Bei 32 Grad ist es schwierig, das nachzuvollziehen. Das Wichtigste an Weihnachten ist aber, dass wir die Menschwerdung Gottes erfahren und feiern. Und das geht überall.
POW: Es gibt nichts, was Ihnen fehlt?
Bischof Bahlmann: Am meisten fehlt mir das gemütliche Beisammensein mit der Familie und Freunden. Am ersten Adventssonntag habe ich nachmittags mit meiner Mutter via Skype gesprochen. Sie ist 85 Jahre alt und lebt allein. Ich fragte, ob sie schon zum Advent gesungen hätte, so wie wir es früher getan haben. Hatte sie noch nicht. Dann haben wir gemeinsam Adventslieder gesungen (lacht).
Interview: Sophia Michalzik (POW)
(5116/1403; E-Mail voraus)
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